Süddeutsche Zeitung

Porträt: Mark Knopfler:So gut, dass einem Angst und Bange wird

Der Sänger und Gitarrist Mark Knopfler war einmal derart begabt, dass er das Wesentliche fast schon aus den Augen verloren hatte: seine Geschichten zu erzählen. Das hat er geändert. Und er ist nun besser als je zuvor. Vor seiner Welttournee: ein Besuch bei Knopfler in London. Von Alexander Gorkow

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On Charlotte Street I take A walking stick from my hotel The ghost of Dirty Dick Is still in search of Little Nell (What It Is, 2000)

Nichtmal Bob Dylan ist Gott, aber sein Einfluss auf Erden ist ja so gewaltig. Mark Knopfler spielt viel besser Gitarre als Dylan und singt besser als Dylan und schreibt heute mindestens so gute Texte wie Dylan, aber wer wäre Mark Knopfler ohne Bob Dylan? Der Musiker Mark Knopfler war mal ein brillanter Geschichtenerzähler, dann kam er etwas vom Weg ab, nun ist er wieder ein brillanter Geschichtenerzähler. Nicht nur das verbindet ihn mit seinem Idol, das auch mal einen Durchhänger hatte, dass es die Sau grauste, bevor es wieder zu Bob Dylan wurde.

An einem Vormittag in London, der Schneeregen, aber auch ein wenig Sonne bereithält, erzählt Mark Knopfler eine kleine Geschichte, die am Ende eine große Geschichte ist.

Er und Dylan standen sich, nachdem sie sich lange nicht gesehen hatten, vor ein paar Jahren in einer Hotellobby gegenüber. Zuvor hatten sie zufällig am selben Abend in Berlin ein Konzert gegeben. Sie krächzten, dass das ja eine Überraschung sei, es gab wohl ein mittelgroßes "Hallo" und "Wahnsinn", dann saßen sie bis tief in die Nacht gemeinsam herum.

"In so einer Art Bistro, frag mich nicht, wo genau." Der Ort spielt eigentlich keine Rolle, denn dass zwei Männer wieder da ankommen, wo sie mal losgegangen sind, sowas meinen Männer natürlich metaphysisch-dramatisch, mit Orten hat das wenig zu tun.

Sie sprachen darüber, wer sie waren, wer sie sind, wie es weitergehen könnte, es ging um Kleinigkeiten, die zur tragischen oder auch komischen Sache werden können. Man muss sich das so vorstellen, dass beide nicht arg viel redeten, denn beide sind der Meinung, dass zu viel geredet wird. Das Treffen wird ausgesehen haben wie ein Theaterstück über zwei weit gereiste und leicht lädierte Kerle. Womöglich kein besonders aufregendes Stück. Aber getragen von, das Feuilleton würde sagen: zärtlich knisternder Hintergründigkeit.

Von guten Sachen und eher nicht so guten Sachen konnten die beiden Männer an diesem Abend berichten, von alten Sünden und neuen Kindern, schon wieder gescheiterten Ehen, so genannten Phasen, die die Hölle waren. An der Stelle haben sie vermutlich gegrinst wie zwei Zeichentrick-Kater. Mit einem feinen Lied von Mark Knopflers neuer Platte könnte man diese Phasen so zusammenzufassen, dass man, wenn es gerade wieder dicke gekommen ist, nicht auch noch die Aufräumarbeiten torpedieren sollte: "Don't crash the ambulance / Whatever you do." Dann haben sie noch ein paar Gläser getrunken, soviel, bis sie müde genug waren. Irgendwann müssen die Geschichten mal ein Ende nehmen.

Unter den Geschichtenerzählern ist Mark Knopfler der Landvermesser, und als Landvermesser ist er heute, was er vor langer Zeit schon einmal war: einer der coolsten Hunde unter der trüben Sonne des Unterhaltungsgeschäfts.

Er hat die Welt, Amerika, Großbritannien und hier besonders die Stadt London in seinen Liedern auseinandergenommen, er hat die Einzelteile mit dem Lack aus dem Mythentopf der Weltliteratur neu angestrichen, er hat diese Einzelteile wieder zusammengesetzt, so dass sie ihre Form behielten, aber in neuen Farben glänzten: Elvis jung und schön in Tupelo und dann als Hollywoodleiche - die Malocher auf der Telegraph Road, die zugrunde gehen, weil sie an der Moderne bauen - der Dandy, der das Hotel auf der Charlotte Street in Bloomsbury mit Spazierstock verlässt und Gespenster sieht, weil Charles Dickens' "Old Curiosity Shop", in dem die kleine, unschuldige Nell den Tod findet, durch seinen Kopf zieht. Realismus plus Märchen plus Whiskey.

All das schwirrt durch Lieder, in denen sich die Helden mit dem Stolz jener behaupten, die ihre paar Überzeugungen nicht aufgeben, und sei es, dass sie sich, wie in dem großen und profanen Song "News" (1979), von ihrer Frau verabschieden, um mit dem Motorrad in den Tod zu fahren: "He makes a line in the news."

Wenn Mark Knopfler heutzutage nicht über London hinausreist, so lebt er in etwa wieder dort, wo alles mal angefangen hat. Im Süden der City, zwischen Kings Road und Chelsea Harbour, und wenn man sich hier mit ihm verabredet, dann in einem Hotel in der Nähe, von wo aus man auf den Hafen schaut, auf die londonbacksteinroten Amüsier- und Industriedenkmäler und auf die Themse, auf der vorm Hotel ein paar olle Boote schaukeln.

Auf ein Gespräch mit diesem Musiker freut man sich selbst dann nicht bedenkenlos, wenn man ihm seine paar Fehler schon verziehen hat - zum Beispiel die Phase mit dem Neon-Stirnband, das so raffiniert gedacht war wie einst Dylans weiß geschminktes Gesicht, das, zwinkerzwinker, Selbstentfremdung durch einen rudolfsteinerhaften Theaterakt versinnbildlichen sollte. Geschenkt.

Es eilt aber Mark Knopfler der Ruf voraus, dass er Fehler eines Journalisten ungern verzeiht, und die unter ihnen, die (seiner Meinung nach) blöde Fragen stellten, berichten von einem Musiker, der dann lange nur noch böse geschaut und kaum mehr geredet habe.

An diesem Vormittag nun ist er aber ein aufmerksamer Mann, dessen Nettoredezeit bei einem Gesamtzeitfenster von einer Stunde und auch mit ersichtlich guter Laune: bei höchstens 15 Minuten liegt.

Das ist quantitativ nicht viel, qualitativ schon. Er hat eine Angewohnheit, die dem Ticken von Armbanduhren Lautstärke verleiht. Er denkt nach, bevor er spricht, und dann kommen Sätze, die selbst oder gerade dann unumstößlich klingen, wenn sie Normales besagen. Manchmal schaut er auch stumm aus dem Fenster. Wenn man dann den Faden verliert, reißt er plötzlich die blauen Augen weit auf und sagt: "Ich rede zu viel. Rede ich zu viel?"

Man wird im Alter nicht wie seine Eltern, sondern wie seine Helden. Gesegnet ist, wer in der Jugend die richtigen hatte.

Als Sohn ungarischer Einwanderer war Knopfler 1949 in Schottland auf die Welt gekommen, dann ging es nach London, wo man sich ein gebildetes, aber armes Architekten- und Immigrantenelternhaus vorstellen muss. "Moderater Sozialismus. Was im Guardian stand, wurde von meinen Eltern sehr ernst genommen, man schüttelt das nicht ab, ich habe es bis heute nicht abgeschüttelt, natürlich nicht."

Die Helden? Er war zwölf Jahre alt, als er Anfang der 60er Jahre zum ersten Mal den Wahl-New-Yorker Bob Dylan und später den Südstaatler J.J.Cale im Radio hörte.

Beide waren sie groß und magisch, und unter den Magiern waren sie die mystic men, die noch aus dem Gesang der Prärie-Kojoten die Weltgeschichte heraushörten. Das, dachte der Pubertist aus Südlondon, reicht für ein Leben. A man must have an attitude.

Knopfler nahm zweifelsfrei die Haltung des Meisters an: Halt dich von den Idioten auf diesem Planeten fern und sing. Sing, als ob du erzählst. Erzähl, was du siehst. Beobachte die Männer und Frauen. Verwebe es mit dem, was du liest. Knopfler fraß sich (und frisst sich bis heute) durch die Weltliteratur, vor allem durch die englische und amerikanische des 19.Jahrhunderts.

Und lernte also: wenig zu reden und gut zu erzählen.

Als er viel später - 1977 und mit 28 Jahren - nach einer langen, lehrreichen und tragikomischen Phase finanzieller Totalklammheit mit seiner Band Dire Straits ("Totale Pleiten") die erste Platte herausbrachte, da dachten die, die nun wiederum ihn im Radio hörten: Der hier kommt ja mindestens aus Oklahoma.

Und er hat die längste Zeit seines Lebens auf einem Pferd gesessen. Und vor allem hat er die längste Zeit seines Lebens hinter sich. Aber war nicht auch der junge Dylan ein besonders alter Kerl gewesen? Die weisen Sachen machen solche Typen am Anfang und nochmal gegen Ende der großen, großen Reise.

Dass er, anders als Dylan, fantastisch die Gitarre zu bedienen lernte, war und ist ein Segen. Zwischendurch war es ein Fluch. Man tut Knopfler keinen Tort an, wenn man ihn fragt, ob er sich, kurz bevor er die Dire Straits 1993 auflöste, womöglich ein wenig verzettelt hatte.

Aus dem storyteller war ein Großer Meister geworden, der nicht mehr seine knappen Geschichten mit der Gitarre verstärkte, sondern mit jener Gitarre endlose Melodieschleifen in die Open-Air-Arenen schickte, wo sie so übergrell leuchteten wie zum Beispiel ein neonfarbenes Stirnband. Seine Filmmusik zu Local Hero (mit Burt Lancaster, 1982) gehört zum Schönsten, was das Genre hergibt, aber dass der, der so gut Geschichten erzählen konnte, nun mehr und mehr nur noch die Geschichten anderer vertonte, so war ja nicht gewettet, seitdem er mit zwölf Jahren vorm Radio gesessen hatte.

Da zieht er heute bedrohlich die Brauen hoch, sagt aber: "Ich habe kein Interesse mehr an Filmmusik." Und dann: "Auch nicht mehr an Bands - in dem Sinne." Er hat aber auch heute seine Band dabei. "Das sind Musiker, die ich nicht nur liebe, weil wir uns blind verstehen. Ich liebe sie, weil sie im Zweifelsfall tun, was ich ihnen sage. " Pause. "Mit der Demokratie ist das so eine Sache. Es nervt manchmal." Pause. "Sehr."

Lange bevor es nervte, Ende der 70er, saß der junge Knopfler plötzlich mit dem Leibhaftigen - mit der Stimme aus dem Radio - in den Alabama Studios. "Bob war begeistert von unserer ersten Platte. Also rief er an. Ich sollte für ihn Slow Train Coming produzieren. Und danach sollte ich Saved produzieren." Dylans Christwerdung? "Yeah . . . well." Wie das war?

Blick auf die Themse. Stirnfalten. Innerer Rückzug. Dann brummt es: "Unglaublich!" Pause. "Ich dachte, ich werde verrückt. Das war Bob Dylan. Der Mann aus dem Radio."

Ruhm und Ehre dem jungen Knopfler! Aber: Obwohl ein Einzelgänger, gab der Geschmeichelte nun den Produzenten, den Gastmusiker, den Diener so vieler Damen und Herren. Es baten um Hilfe nur die Besten. Donald Fagen und Walter Becker von Steely Dan, Bryan Ferry, Phil Everly, Chet Atkins, Van Morrison - und noch viele mehr.

Knopfler machte zweifellos einen tollen Job. Die Stereo Review schrieb, sein Spiel auf der Stratocaster sei "so gut, dass einem Angst und Bange wird". Aber aus dem Helden wurde ein Held zum Mieten. "Ich hatte es satt, ständig in der Band um die Macht zu kämpfen. Aber wenn du die Macht abgibst und mal hier und mal da glänzt, dann findest du dich selbst irgendwann, nun ja, nicht mehr relevant."

Ruhm und Ehre dem jungen Knopfler? Heute sagt er: "Ich mag viele Songs aus dieser Zeit. Ich spiele einige von ihnen noch. Aber ich brauche das nicht nochmal. Es ist sonderbar: Erst will man durch die Welt laufen, sie beobachten und dann Geschichten erzählen. Dann ist man berühmt."

Und dann? "Dann ist man der, der dabei beobachtet wird, wie er durch die Welt läuft und Geschichten erzählt." Hart? "Habe ich nicht gesagt. Wenn man reich ist, sollte man sich nicht beklagen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Erfolg und Ruhm. Erfolg ist großartig."

Und Ruhm? "Ruhm ist ein Haufen Mist. Plötzlich schauen dir alle auf die Finger. Darunter sind ja nicht nur versierte Journalisten und ein paar prächtige Freunde." Pause. "Sondern auch ein paar prächtige Arschlöcher." Spätestens um die Jahrtausendwende muss Knopfler aufgehört haben, sich über prächtige Arschlöcher zu ärgern. Da hat er die CD "Sailing To Philadelphia" aufgenommen, darunter den rasenden Song "Speedway At Nazareth", ein Rennen durch 2000 Jahre Weltgeschichte, und am Ende des Liedes bedient er seine Gitarre so tonfunkensprühend, dass man die erwähnten Prärie-Kojoten von den großen Schlachten singen hört.

Leistet hier einer mit seinen Soloplatten ein wenig Abbitte bei sich selbst? "Ich werde mich nicht nochmal verzetteln. Da sind noch zu viele Geschichten auf der Festplatte." Man könnte sagen, er hat heute, was er braucht, und er ist los, was er nicht mehr braucht. "Wenn man seine Sachen durchziehen will, braucht man Macht, seien wir ehrlich."

Irgendwie, meint er am Ende, sei alles wieder ein bisschen wie damals, als er die Dire Straits gegründet hatte, er sei lediglich ein wenig vernarbter. "Aber es sind ja einfache Stories, die ich erzähle. Das sind Helden. Oder es sind gefallene Helden." Was sind das für Typen? Grinsgrins, dann: "Geschlagen. Aber nicht uneinsichtig." In einem dieser schwingenden Lieder klingt das so: "There stands the bottle / Here's to absent friends / All these bottles / Dead soldiers in the end./ These days miracles / Don't come falling from the sky / Raise your glasses to the doctor / To a stand-up-guy!"

Der Musikkritiker Peter Kemper schrieb letzten Herbst in der FAZ, Knopfler sei mit seiner neuen Platte "Shangri La" zu "einer Art Gralshüter erzählbarer Geschichten" geworden und "zu einem der letzten großen Stilisten auf der E-Gitarre".

Weil Knopfler weiß, dass das so ist, ist er auch an diesem Vormittag in London ein so freundlicher Mann. Zwar sieht er immer noch nicht aus, als habe er allzu tief in die Tüte mit den Gute-Laune-Drops gegriffen. Aber so zufrieden wie einer, der die Macht über sich und seine Lieder zu schätzen weiß und sie nicht nochmal hergibt. "Es geht am Ende immer um dieselben und so wichtigen Fragen. Leben oder Tod, mein Lieber, wie in einem guten Western."

Machen es sich die Western nicht einfach? "Das Leben ist einfach. Es ist nicht leicht. Aber einfach."

Am Greenwich Pier ist er mal herumspaziert und stand dann neben dem Einhandsegelboot, mit dem Francis Chichester die Welt umrundet hatte. Das liegt neben dem prächtigen Windjammer Cutty Sark. "Unfassbar, eine Nussschale!" Chichester hatte damit in den 60ern fast 50000 Kilometer zurückgelegt. 226 Tage allein auf hoher See. Aber wenn man das Leben so sieht wie Chichester, dann sind 226 Tage auf hoher See keine üble Sache.

Als sich die beiden Einhandsegler Mark Knopfler und Bob Dylan neulich nachts in dem Restaurant gegenübersaßen, da waren 40 Jahre vergangen, seit der zwölfjährige Mark aus Südlondon den Typen von der anderen Seite des Tisches im Radio gehört hatte. "Wenn du so willst, hatten Bob und ich eine lange Reise hinter uns. Manchmal waren wir uns dabei begegnet. Meist aber nicht."

Knopfler sagt: "Bob hat mir in dieser Nacht erzählt, er hätte gerne früher die Akustische gegen die elektrische Gitarre eingetauscht als erst 1965. Er hätte schon früher richtig Lärm machen wollen. Aber stell' dir vor: Er hat sich nicht getraut! Wegen der militanten Folkies!" Pause. "Toll, was?" Und dann? "Ich habe Bob erzählt, dass auch ich meine Akustische gerne schon früher gegen die elektrische Gitarre eingetauscht hätte. Ich wollte auch schon früher richtig losbraten!"

Aber? "Ich konnte mir eine elektrische Gitarre nicht leisten."

Am Ende dieser Nacht in Berlin, in der sie sich begegnet waren wie zwei NussSchalen-Kapitäne im Meer, haben sie sich gefragt, wie die Reise mal angefangen hatte. Bei dem einen und bei dem anderen. Eine Antwort haben sie auch gefunden.Diese Antwort ist mächtig kokett. Sie ist aber auch toll. Weil sie aus einer kleinen Geschichte eine große macht, und aus zwei Musikern zwei coole Hunde. Weil alles nicht leicht ist, aber einfach. "After all we found out, we were just two northern boys who wanted to be into Rock'n Roll." Pause. "That's it, dear."

Für einige Konzerte Mark Knopflers gibt es noch Restkarten. Er spielt vom 10. bis zum 24.April in Stuttgart, München, Wien, Hannover, Erfurt, Frankfurt, Hamburg und Dortmund. Vom 6. bis zum 8.Juni spielt er in Köln, Berlin und Leipzig.

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SZaW v. 11./12.03.2005
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