Porträt: Johnny Cash:Im Dunkeln, da fauchen die Pumas

Der Film "Walk The Line" erzählt vom jungen Johnny Cash - an die Wut und Zerrissenheit des alten Sängers wird sich bald niemand mehr erinnern. Dafür hat er jetzt eine Hasenscharte und wird wohl einen Oscar bekommen.

Karl Bruckmaier

Wer Kinder hat, der kennt das Aladdin-Phänomen. Für die anderen sei es hier kurz skizziert: Gleichzeitig senden einige Dutzend Fernsehkanäle. Gleichzeitig senden hunderte Radioprogramme. Meterweise Printerzeugnisse hier, Abermillionen Webseiten da. Für einen Neuankömmling in dieser Mediengesellschaft scheint alles gleichberechtigt nebeneinander zu existieren. Kinder sind Neuankömmlinge. Ohne ein Gefühl für soziale und mediale Kontinuität geht ihnen das Verständnis für den Begriff ¸¸Original" verloren. ¸¸Dr. Jekyll und Mr. Hyde" kennen sie nur noch als Gag aus Zeichentrickfilmen, Karl May ist eine Figur aus ¸¸Der Schuh des Manitu" und Aladdin schreibt man mit Doppel-¸¸d", seit der Disneykonzern das so beschlossen hat. Die mediale Ableitung ist mittlerweile präsenter als der zitierte Gegenstand.

Porträt: Johnny Cash: "Pathetic" heißt im Englischen "pathetisch", aber eben auch "erbärmlich".

"Pathetic" heißt im Englischen "pathetisch", aber eben auch "erbärmlich".

Seit Donnerstag hat Johnny Cash eine Hasenscharte, und er sieht verdammt aus wie Joaquin Phoenix. Das aufgedunsene und zerfurchte Gesicht des späten Johnny Cash, die Müdigkeit des alternden Stars im Karrieretal, die kaum zu unterdrückende Wut des Mittvierzigers, das Flackern in den Augen des Tablettenfreaks, die Zerrissenheit des jungen Christenmenschen - all diese in Videos, auf Plattencovern und schließlich in den Songs festgehaltenen Momente eines Künstlerlebens werden gerade wie durch ein Loch in unserem Zivilisationsraumschiff ins Nichts hinaus gerissen: Das Vakuum in unserem Kopf füllt sich mit einer wirkmächtigen Neuinszenierung des Sängers, die in einem angelernten Dialekt sagt: ¸¸Hello, I"m Johnny Cash."

Es ist der magische Realismus des Films ¸¸Walk The Line", der von nun an unser Bild und vor allem das Bild unserer Kinder von Johnny Cash prägen wird. An der Schwelle zu dieser Mutation von Johnny Cash, dem Sänger, zu Aladdin, seiner medialen Repräsentanz, sei noch einmal an den erinnert, der fast fünf Jahrzehnte für uns gesungen hat. Zuerst sind da die Geräusche der Nacht. ¸¸In den Abendstunden", so steht es in Cashs krakeliger Kugelschreiberschrift auf den faksimilierten Tagebuchseiten, die seinem Comeback-Album ¸¸American Recordings" von 1994 beiliegen, ¸¸saßen wir meist auf unserer Veranda und hörten im Dunkeln die Pumas fauchen." Schutz vor den Gefahren dieser vorzivilisatorischen Nacht bot allein der Klang einer Gitarre; es war die Gitarre der Mutter, die ihre religiösen Lieder damit begleitete. Zeit seines Lebens hielt Cash die Gitarre wie schützend vor sich, dünnes Holz, sechs Saiten, halb Schild, halb Waffe. ¸¸Ihre Stimme vermittelte uns ein Gefühl von Geborgenheit und Nähe, das anders nicht herzustellen war." Hier liegt das Geheimnis von Cashs eigenem Gesang, der nie die sexuelle Intensität eines Elvis Presley, nie die Hysterie eines Jerry Lee Lewis oder das schmeichelnde Pop-Appeal eines Roy Orbison erreichte, aber andererseits an Höchstmaß an Vertrauen, an Vertrautheit schaffen konnte: Der tiefe Bariton legt sich wie ein freundschaftlicher Arm um einen; nichts Böses kann dir geschehen.

Bereitwillig folgt man den Geschichten, die sie erzählt, selbst wenn es sich um hanebüchenen metaphysischen Blödsinn oder die Geschichte der amerikanischen Eisenbahnen handelt. Aber die Lieder der Mutter künden nur von Versprechen, die vielleicht früher gültig waren und es in einem·mythischen Jenseits wieder sein würden: Das Hier und Jetzt eines Heranwachsenden wusste Johnny Cash zusätzlich durch das in seiner Kindheit modernste Medium, das Radio, abzusichern. ¸¸Wenn ich an unserem Radiogerät nach Sendern suchte, betrat ich eine andere Welt, nach der ich mich weit mehr verzehrte als nach unserer kleinen Welt aus Schlamm und Baumwollfeldern." In den Songs im Radio schwang ein Rhythmus mit, nach dem die Welt außerhalb Arkansas getaktet zu sein schien, ein Rhythmus, der einen weit weg bringen konnte und der passenderweise seine Entsprechung im Rattern und Pfeifen der Züge fand. Oder im Geschepper von Blechtassen an Gitterstäben.

Nun stellte sich auch für Johnny Cash heraus, dass das mediale Versprechen von einem Xanadu in der Wirklichkeit mehr einem Landsberg am Lech gleicht: Die Entfremdung durch das Militär und den anschließenden Brotberuf und durch den kleinbürgerlichen Traum vom Kleinfamilienglück konnte dem zwischen Schinderei auf den Feldern und dem Tod des angebeteten Bruders Jack gehüteten Traum von einem besseren Leben nicht genügen. Auch Johnny Cash, der Star, war archetypisch zerrissen, erprobte das Gestern wie das Morgen, verlor jeden Halt, blamierte sich bis auf die Knochen, torkelte seinem Ende entgegen - und ließ uns immer daran teilhaben, nicht in Singer/Songwriter-Manier, die versucht, die Dinge zu benennen, sondern auf einer emotionalen Ebene, mit einem Klang, einem Wort, einem Gesichtsausdruck. Der kleine Junge aus dem hintersten Hinterland, er verwandelte sich in den ¸¸Man in Black", den Leidensmann, der sich nichts geringeres vornahm, als das Leid der Welt stellvertretend für uns auf sich zu nehmen. Dafür konnte keine Geste, kein Opfer groß genug sein - schließlich hat ein anderer bereits ein Kreuz bis hinauf nach Golgatha geschleppt.

Diese Attitüde sicherte Johnny Cash die Verehrung von Generation um Generation von kleinen Jungs, die aus ihren hinterwäldlerischen Dörfern und Städten in die große Welt und in eine vermeintlich strahlende Zukunft aufgebrochen sind, nur um festzustellen, dass ein Lehramtsposten, ein Plattenvertrag oder ein Reihenhaus nicht alles sein können. ¸¸Pathetic" heißt im englischen einerseits ¸¸pathetisch", aber eben auch ¸¸erbärmlich" - und so wäre es mit Johnny Cash wohl auch zu Ende gegangen, hätte er nicht June Carter, die seit Donnerstag das Gesicht von Reese Witherspoon trägt, getroffen, erobert? Wo Johnny Cash ausschweifend und unüberlegt und großspurig und süchtig nach Gesten war, da setzte das Showbizz-Kind June einen nimmermüden Pragmatismus dagegen, einen fast herzlos dem Hier und Jetzt zugewandten Sinn für das Notwendige. Sie war das Korrektiv, das Johnny Cash brauchte, um überhaupt weiterleben zu können. Und Cash war wohl das Korrektiv für die an der eigenen Vernunft erstickende June: ein Traumpaar im Leben und im Film. Sie sind nicht zufällig innerhalb weniger Monate verstorben. Eine halbe Seele kann nicht in den Himmel kommen.

Und doch hat das Korrektiv in Gestalt von June Carter dazu geführt, dass aus Johnny Cash in den Achtzigern und Neunzigern langsam aber sicher eine alternde Show-Größe wurde, ein Vergangenheitsdarsteller. Erst ein musikbesessener Freak wie der Hip-Hop-Produzent Rick Rubin lockte Mitte der Neunziger Jahre den Leidensmann wieder hervor, den Prediger, den Propheten. Rubin reduzierte Cash erneut auf das Kind, das den großen Wildkatzen lauscht, das Angst vor der Hölle und dem Vater hat und nach Erlösung sucht. Eine Gitarre, ein Lied, eine Stimme: ¸¸American Recordings". Die Arbeit mit Rick Rubin erlaubte es Cash, die letzten zehn Jahre seines Lebens als große und auch morbide Abschiedsgala zu inszenieren, überlebensgroß, ernst, gefasst, im allerletzten Video den Klavierdeckel schließend als sei es der eigene Sarg. June Carter lächelte dazu und nahm zeitgleich ¸¸Keep on the Sunny Side" auf.

Johnny Cash starb im September 2003, und im Februar 2006 ersteht er in unseren Kinos wie ein Phoenix aus der Asche. Er hat jetzt, wie gesagt, eine Hasenscharte und wird wohl bald einen Oscar bekommen. Aber die pathetischen Jungs aus der Provinz werden, solange sie sich noch erinnern können, dass man Aladin nur mit einem ¸¸d" schreibt, in den Puma-Momenten ihres Lebens lieber bei dem toten Mann aus Arkansas Zuflucht suchen.

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