Zum 70. Geburtstag Salman Rushdies:Mit Ironie gegen alle Morddrohungen

Als Werbetexter schuf er das Wort "irresistibubble", er selbst ist wohl eher unwiderausstehlich: Salman Rushdie.

Als Werbetexter schuf er das Wort "irresistibubble", er selbst ist wohl eher unwiderausstehlich: Salman Rushdie.

(Foto: Mauritius Images)

Der Autor Salman Rushdie, durch ein Todesurteil bedroht und unfreiwillige Symbolfigur der kulturellen Globalisierung, wird 70.

Von Thomas Steinfeld

Es gibt Zeiten und Umstände, in denen es einen Schriftsteller und sein Werk plötzlich hinausträgt in die große, politische Öffentlichkeit, auch wenn er das gar nicht will und auch, wenn er in seinen Büchern kaum einen Anlass dafür lieferte.

Es sind Zeiten, in denen sich die Lebensbedingungen fundamental ändern. Die gängigen Vorstellungen, an denen sich das tägliche Leben Jahr nach Jahr orientierte, stehen plötzlich infrage, die Menschen müssen umdenken, es fehlen die rechten Formeln und Vorbilder.

Günter Grass hatte solche Zeiten der Veränderung gesucht, als er den Deutschen die Romane ihrer jüngeren Vergangenheit schrieb, Orhan Pamuk geriet eher in einen Umbruch hinein und hätte sich gern der Verpflichtung auf das Politische entzogen.

Salman Rushdie, mehr als jeder andere Schriftsteller der vergangenen Jahrzehnte Subjekt und Objekt einer radikalen gesellschaftlichen Veränderung, die mehr als einen halben Kontinent erfasste, stolperte in ihre Mitte und kam beinahe in ihr um.

Am Ende des Buches "Joseph Anton" (2012), der Memoiren, die Salman Rushdie über die mehr als zwanzig Jahre schrieb, in denen er mit dem Todesurteil des Ayatollahs Khomeini leben musste, steht der Erzähler auf dem Trottoir vor einem Londoner Hotel.

Neigung zu großen Themen

Er ist mit einem Makler verabredet, der ihm ein Haus zeigen soll. Zugleich verabschiedet er sich von den Polizisten, die in während dieser langen Zeit bewacht und geschützt hatten. Sie fahren davon, er winkt ein Taxi heran. Nun, könnte man annehmen, verwandelt sich Salman Rushdie wieder in einen gewöhnlichen Menschen, der weiß, dass man zwar einem Taxifahrer sagen kann, wo dieser hinfahren soll, man in gleicher Weise aber nicht über Gesellschaften oder Staaten verfügen kann.

Aber weiß er es wirklich? Salman Rushdie hatte immer eine Neigung zu großen Themen: In diesem September wird, in mehreren Sprachen gleichzeitig, Salman Rushdies jüngster Roman erscheinen. Er heißt "Golden House" (das ist kein Scherz!) und erzählt die Geschichte eines Immobilienhändlers, der aus einem orientalischen Nichts kommt und in New York zu einem mächtigen Menschen wird - mithilfe von "alternative facts", geschminktem Gesicht und gefärbten Haaren.

Salman Rushdie, ein Brite indischer Herkunft, in Bombay (heute: Mumbai) geboren, war nach einem Studium der Geschichte an der Universität Cambridge Drehbuchautor für das pakistanische Fernsehen und Werbetexter in London gewesen. Als solcher hatte er so unvergessliche Slogans wie "irresistibubble" ("unwiderstehblasig") für eine mit Luft gefüllte Schokolade und "that'll do nicely" ("das passt schon") für eine Kreditkarte verfasst.

Mit "Mitternachtskinder" öffnete er den Menschen die Augen für die postkoloniale Welt

Activists of Jamiat Talaba-e-Arabia chant slogans against Salman Rushdie in Multan

Selbst knapp 20 Jahre nach der Fatwa gegen Salman Rushdie wiegelte das Todesurteil Muslime gegen den Schriftsteller auf: Aktivisten der Studentenorganisation Jamiat Talaba-e-Arabia verbrennen im Jahr 2007 in Multan, Pakistan, eine Puppe Salman Rushdies.

(Foto: Reuters)

Der Roman "Grimus" (1975), sein erstes Buch, blieb weitgehend unbeachtet. Das zweite Buch jedoch, die "Mitternachtskinder" aus dem Jahr 1981, wurde ein Erfolg von der Art, von der nicht nur Werbetexter träumen: Das Buch, politische Allegorie, Entwicklungsroman und Märchen zugleich, änderte die Wahrnehmung nicht nur der indischen Dichtung und des indischen Subkontinents, sondern öffnete auch vielen Lesern die Augen dafür, was es heißt, in einer postkolonialen Welt zu leben.

Literarisch wird man einiges gegen dieses Buch einwenden können, vor allem über das nicht aufgelöste Gegeneinander von fantastischem Einfall und realistischer Erzählweise. Dieser Einwand aber ändert nichts daran, dass es zu jener Zeit einen unendlichen Bedarf an einem solchen Versuch der Vermittlung zwischen Osten und Westen, einem alten Orient und der technischen Zivilisation gab und dass die "Mitternachtskinder" dieses Verlangen erfüllten.

Mit diesem Buch wurde Salman Rushdie nicht nur ein Weltschriftsteller, sondern auch zur zentralen Figur einer größeren, außerliterarischen Öffentlichkeit, in der sich ankündigte, was später "Globalisierung" heißen sollte.

Dieser Übergang vollzog sich umso leichter, als Salman Rushdies folgende Bücher, der Roman "Scham und Schande" (1983) und das Reisebuch "Das Lächeln des Jaguars" (1987) an die Rolle des Vermittlers zwischen den Kulturen anknüpfte.

Und so hätte es weitergehen können, mit einem Roman über die populäre Musik ("Der Boden unter ihren Füßen", 1999, unter besonderer Berücksichtigung der Rockgruppe U 2) oder mit dem Buch "Shalimar der Clown" (2005), auch dieses eine politische Allegorie - und eine abenteuerliche Elegie auf Kaschmir.

Die Fatwa gegen die "Satanischen Verse" zielte auch gegen das Ineinander der Kulturen

Doch was immer Salman Rushdie war und zu tun vermochte: Nicht nur sein Leben und sein Werk, sondern auch die Welt änderten sich, als der Ayatollah Khomeini am 14. Februar 1989 am Beispiel eines Romans, nämlich der wenige Monate zuvor erschienenen "Satanischen Verse" zeigen wollte, dass der Gott der Muslime und dessen Prophet nicht der Freiheit der Meinung und der Kunst unterlägen.

Eines Anlasses, im Roman selbst als blasphemische Äußerung greifbar, hätte es dafür nicht bedurft. Es reichte aus, dass Rushdies Bücher vom Westen im Osten und vom Osten im Westen handelten.

Der Schriftsteller war der Repräsentant einer neuen, vielfarbigen Welt, in der aufgehen konnte, wer oder was immer sich als souveräne Kultur empfand (oder auch: sich als solche nicht empfand). Und er benutzte dafür eine Form, die so westlich erschien wie der Hollywood-Film und die Rock-Ballade, nämlich den Roman.

Der Führer der iranischen Revolution wusste, was er tat, als er in Gestalt dieses Todesurteils selbst beanspruchte, einer globalen Macht vorzustehen: Er zielte auf das Ineinander der Kulturen und auf einen Autor, der seine Gegenwart in der Öffentlichkeit genoss.

Ironiker seiner selbst

Das alles lässt sich in "Joseph Anton", Salman Rushdies bestem Buch, nachlesen. Und so sehr man sich bei der Lektüre wünscht, der Autor hätte diese Erfahrung nicht machen müssen, so sehr bewundert man ihn doch, für seine Beständigkeit, die Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen in seiner Umgebung, und vor allem für seine Fähigkeiten als Ironiker seiner selbst. "That'll do nicely", der von ihm für eine Kreditkarte gefundene Slogan, passt wunderbar zu diesem Werk. An diesem Montag wird Salman Rushdie siebzig Jahre alt.

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