Porträt:Das Moor hat seine Schuldigkeit getan

Lesezeit: 4 min

Mit seiner Ausstellung "Arten und Elemente" im Ismaninger Kallmann-Museum will der Münchner Künstler Markus Heinsdorff auf die fortschreitenden Probleme in unserer ach so zivilisierten Welt hinweisen

Von Sabine Reithmaier

Erdig riecht es, vielleicht sogar ein bisschen modrig. In einem Kunstmuseum ist so ein Geruch erst einmal ungewöhnlich. Aber man begegnet auch eher selten zwischen weißen Wänden einer realen Hochmoorlandschaft. Markus Heinsdorffs "Moorsee" ruht auf einer kühnen Tischkonstruktion. Die Pflanzen, die das Wasser umgeben, verströmen leicht herbstliches Flair, Gräser und Moose bräuneln vor sich hin. "Supersensibel" seien die, sagt Heinsdorff. Die stehende Luft im Raum bekommt ihnen nicht besonders, der Ventilator ersetzt den Wind nur ungenügend. Trotzdem ist die Botschaft klar: Es muss schlimm um das Moor stehen, wenn es im Museum aufbewahrt wird.

Denkanstöße zu geben ist die Grundidee von "Arten und Elemente" im Ismaninger Kallmann-Museum. "Für mich ist es einfach wichtig, Kunst im 21. Jahrhundert den Themen anzupassen, die auf uns zurollen: die weltweiten Flüchtlingsströme und der Klimawandel - beides greife ich auf und versuche, Inspirationen zu liefern", sagt Heinsdorff. Kreative Pionierarbeit ist das auf jeden Fall, ästhetisch ist sie obendrein. In seinen raumgreifenden Installationen, die er für das Museum entwickelt hat, tastet er sich auf unterschiedliche Weise an die Folgen der Erderwärmung heran, versucht, sie fassbar zu machen. Im Windraum, einem kunstvoll aus 96 Dreiecken zusammengesetzten Gehäuse, wirbelt ein Tornado, schraubt sich in die Höhe, meist als zierlicher Schleier. Ebenfalls "supersensibel", denn der künstliche Nebel, der sich alle paar Sekunden durch den Raum windet, zerfällt bei der leisesten Bewegung. "Unheimlich aufwendig, so was hinzukriegen", sagt Heinsdorff. Ohne die Hilfe von Spezialisten - in dem Fall des Lehrstuhls für Klimatechnik an der TU München - sei das nicht zu bewerkstelligen. Um seine Ideen umzusetzen, arbeitet Heinsdorff mit Experten - Architekten, Ingenieure, Statiker, Handwerker, Wissenschaftler. Und es ist bestenfalls eine kleine Übertreibung, wenn er sagt: "Es gibt kaum eine Universität, mit der ich keinen Workshop gemacht habe."

Nebenan brodelt das Algenlabor. Die künftige Ernährung der Menschen sei ein spannendes Thema, sagt Heinsdorff. In Reagenzgläsern hat er die Algen angesetzt. Magnete sorgen für Bewegung, während Heinsdorff von der geplanten Kooperation mit der Algenfabrik erzählt. Im Innenhof des Museums sprießen in einem offenen Gewächshaus heimische Kräuter, die er in kleinen Töpfen zum Teil selbst gezogen hat, darunter gefährdete Pflanzen und Sträucher. Einen Schönheitspreis würde der Garten nicht gewinnen, aber das Aussehen sei egal, sagt Heinsdorff und prüft mit zwei Fingern, ob die Erde nicht zu trocken ist. Insekten könnten eben nur von heimischen Arten leben, nicht von Zierpflanzen.

Moorlandschaften, die nur noch fürs Museum taugen, so sieht Markus Heinsdorff mit seiner Installation "Moorsee" die Zukunft. (Foto: Patrik Graf, Copyright VG Bild-Kunst Bonn 2019)

Das aus zwei Teilen konstruierte Gewächshaus gehörte zu seinem "Space Ship". Das Schiff, gefertigt aus biegbaren Stahl-Profilen und getragen von tiefblauen Stahlfässern, - "die Materialien sind aus dem Baumarkt" - bot auf zwei Etagen alles, was man zum Leben braucht: Wohnraum, Solardusche, Aussichtsplattform und einen Gemüsegarten. "Wuchs alles super. Keine Schnecken, dafür Sonne und Fluginsekten." Erst stand das Schiff vor der Pinakothek der Moderne, dann ankerte es, um den Schwimmgarten erweitert, im Vorjahr zwei Monate vor dem Buchheim-Museum im Starnberger See. Ein gleichermaßen witziges wie anregendes Beispiel dafür, wie man Menschen in den immer zahlreicheren Überschwemmungsgebieten - auch das eine Folge des Klimawandels - helfen kann. "Ein schwimmfähiges Leichtbauhaus wäre eine Lösung."

Der Statiker war zwar entsetzt über den zweigeschoßigen Bau, aber das Schiff hielt am Starnberger See drei schweren Stürmen stand. Perfektioniert hat Markus Heinsdorff das Objekt nicht, Serienreife ist nie sein Ziel. "Mir geht es um das Prozesshafte; Varianten und Abwandlungen sind jederzeit möglich." Zuallererst sind seine Objekte schließlich Kunst. Den fragilen Prototypen zeichnet eine spielerische Leichtigkeit aus, eine kleine Reminiszenz an den Bildhauer Robert Jacobsen, bei dem Heinsdorff an der Münchner Akademie studierte und dessen abstrakte Kunst er befreiend fand.

Eigentlich wollte er nicht Künstler werden, sagt Heinsdorff, Jahrgang 1954. "Ich bin so reingerutscht in die Familiengeschichte." Da gab es Vater Ernst, einen Architekten, der gern Maler geworden wäre, und den Onkel Reinhart, Bildhauer, bekannt als Münzen- und Briefmarkendesigner. "Ich habe auch gelernt, wie man um die eigene Existenz kämpft." Weshalb später alles "ganz leicht" für ihn war. "Ich wusste ja, wie es geht."

Tatsächlich zeugt sein Lebensweg von einer großen Beweglichkeit und Flexibilität. Er lernte Steinmetz, arbeitete als Goldschmied, finanzierte damit sein Studium. Später unterrichtete er das Goldschmieden zehn Jahre in der Villa Pacieri nördlich von Rom. "Mein Konzept: Wenn ich es lernen kann, kann es jeder lernen." Die von ihm gegründete Schule lief gut.

Markus Heinsdorff. (Foto: Robert Haas)

International bekannt wurde der Künstler durch seine mobile Räume für die sogenannten Deutschlandjahre des Auswärtigen Amts und des Goetheinstituts in Indien und China. In Indien gestaltete er textile Pavillons als Kunstbauten, ließ sie wie Rubine und Smaragde schimmern - ein Anklang an die berühmte Steinschliffkunst des Landes. In Indonesien und China baute er mit Bambus - "gilt dort als minderwertiges Material" - , erstellte damit 2010 den Deutsch-Chinesischen Pavillon auf der Expo Shanghai. Wo auch immer er arbeitet, setzt er sich intensiv mit der jeweiligen Landeskultur auseinander, verwendet traditionelle Materialien, ohne auf zeitgenössische High-Tech-Möglichkeiten zu verzichten. "Ich verstehe mich als Gastarbeiter mit Lust und Liebe."

Seine Low-Cost-Häuser könnte er auch aus Gemüsekartons bauen, sagt er. "Ich leide jeden Tag, wenn im Laden gegenüber meiner Wohnung wunderbare Kartons bloß geschreddert werden". Oder aber mit Wänden aus Drahtkörben, die er mit Strandmüll füllt, Plastikflaschen oder Angelschnüren. Und die sich nachts in vielfarbig leuchtende Objekte verwandeln. 2016 verbrachte er zwei Wochen auf der biologischen Forschungsstation Panguana in einem Regenwald Perus. Die Wissenschaftler fangen dort nachts auf einer UV-Leinwand Insekten, um Vielfalt und Artenschwund zu dokumentieren. Was sie nicht interessiert, bleibt zurück. "Ich habe die dritte Wahl bekommen. Aber das Aussortierte ist ebenfalls schön." Heinsdorff hat die Falter und Käfer fotografiert und die Aufnahmen in Leuchtkästen gepackt. Auch eine Art Insekten zu sammeln, ohne eine einzige Stecknadel.

"Ich fotografiere und sammle, wo immer ich bin", sagt er. In Vitrinen liegt, was er bei Spaziergängen entdeckt hat. Ein getrockneter Kohlstrunk, Baumschwämme, hochgiftige Stechäpfel, Nüsse, Kürbisschalen, Schneckenhäuser, knochenähnliche Bambussprossen, Luftwurzeln, Dornen, Seidenkokons - "ich lerne viel von diesen Strukturen und Formen."

Projektideen habe er noch genug in der Schublade, sagt er und bleibt im Archiv-Leseraum stehen. Jede Menge Bücher über Pflanzen liegen hier, auch die Roten Listen mit den gefährdeten Arten kann man studieren. Mal sehen, was sich noch alles als machbar erweist. Nächstes Jahr setzt er jedenfalls in Afrika einen seiner günstigen Haus-Prototypen um. "Da kann ich inspirieren, Einfluss nehmen und gleichzeitig witzige Kunst gestalten."

Markus Heinsdorff: Arten und Eleme nte ; Kallmann-Museum Ismaning, bis 15. September

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: