Habt ihr schon eine Ahnung, was ihr mit dem Ding machen wollt?" Zwei Menschen mit kahl geschorenem Schädel starren einen roten Plüschhocker mit geschwungenen Armlehnen an. Sie selbst sind nackt. Der Hocker gehört zum mietbaren "Spielwiesen-Bereich" eines Domina-Studios in Berlin-Spandau, die beiden zu einer feministischen Porno-Produktion der Firma Arthouse Vienna. "Ganymede" und "Mad Kate" sind ihre Künstlernamen, ein Mann und eine Frau, man erkennt es nur an den entblößten Geschlechtsteilen.
Das Drehbuch sieht vor, dass "Mad Kate" aus sich eine "richtige" Frau macht. Mit Blick in die Kamera legt sie Schminke auf, viel zu viel davon. Dann lautet die Regieanweisung: "Macht euer Ding und habt Spaß!" Während sich das Darsteller-Pärchen in der folgenden halben Stunde auf dem Hocker verrenkt, verteilt sich das Make-up über beide Gesichter. Am Ende ist nur noch Schmiere übrig.
"Ein Abend, sechs Körper, wie weit würdest du gehen?", lautet der Slogan eines Films
Was bei MadKate darunter zum Vorschein kommt, taucht in der konventionellen Pornografie eigentlich gar nicht auf: eine echte Frau. In den meisten Pornos gibt es Frauen nur als sexuelle Gebrauchsgegenstände. Feministinnen der Generation Alice Schwarzer lehnten die Branche daher insgesamt ab. Seit einigen Jahren allerdings verstehen "sex-positive Feministinnen" Pornografie nicht mehr als per se frauenverachtende Praxis, sondern "als Diskurs über Männlichkeit und Weiblichkeit", wie es die Schwedin Erika Lust formulierte. Sie war in Europa eine der ersten Frauen, die Pornos drehte. 2004 war das, in Barcelona.
Inzwischen befreit sich die Szene vom Image des "Vollkornporno". Am 8. März startete die Plattform Youporn eine "Female Director Series", die innerhalb eines Monats mehr als 20 Millionen Klicks bekam. Feministische Pornos sortieren sich unter Rubriken wie "Slow Porn" oder "Fairtrade Porn", weil hier kein Höhepunkt vorgetäuscht und niemand gezwungen wird. Meist gibt es auch mehr Handlung als den Klempner, der ein Rohr verlegen will. Oft auch mehr Haare, mehr Geräusche, man will sich dafür nicht schämen. Der "FemPorn" zeigt keine profimäßig kopulierenden Leiber, sondern echte Menschen beim Sex.
Die deutsche Kunsthistorikerin Maike Brochhaus etwa produzierte 2012 "Häppchenweise", einen Film mit "echter" Situation. Der Slogan des Films: "Ein Abend, sechs Körper, wie weit würdest du gehen?" Die Dreharbeiten waren dann aber doch ein soziologisches Experiment mit jungen Menschen vor der Kamera, bei dem nicht zwangsläufig Sex herauskommen musste. Verletzlichkeit und Unsicherheiten sollten ebenso eine Rolle spielen dürfen wie Intimität. Nichts war Fiktion.
Die Zuschauer sollen nachdenken beim Pornoschauen
Arthouse Vienna ist neu am Markt. Und es ist die Frage, ob das, was in Spandau passiert, überhaupt noch Porno ist. Es gehe ihr um "die Psychologie des Sexes", erzählt Regisseurin Adrineh Simonian. Sie sang früher an der Volksoper Wien. Für sie kein Widerspruch, im Gegenteil: "Sexualität und Musik sind beide Ausdruck von Emotionen." Die beiden Darsteller mit den kahl geschorenen Schädeln, die gerade aus der Dusche kommen, sind keine Porno-Darsteller, sondern Performance-Künstler.
Etwas abseits wärmt sich Patrick Catuz auf, ein junger Mann in hippen, schwarzen Jogginghosen. Er hat als Produktionsassistent ein Jahr lang bei der Pionierin Erika Lust gelernt. Anschließend promovierte er in Wien im jungen Feld der "Porn Studies", bevor er zu Arthouse Vienna kam. Er nennt das "PostPorn". Das "Post" bedeutet, dass der Zuschauer darauf hingewiesen wird, dass das, was er gerade sieht, nicht echt, sondern ein Film ist. Er soll nachdenken beim Pornoschauen. Aber, mit Verlaub, ist das dann noch erregend? "Na klar. Einerseits ist es Kunst. In der Performance-Art, im Wiener Aktionismus zum Beispiel, hat man schon immer mit Sex gespielt", erklärt Catuz. "Andererseits will PostPorn auch erotisieren."
Doch auch der Mainstream möchte - trotz der künstlichen Brüste und Riesenpenisse - möglichst natürlich wirken. Und dafür bietet ihm das Internet eine so effektive wie billige Methode: den vermeintlichen Amateur-Porno. Diese Filme geben sich als private Clips, die gegen das Wissen oder den Willen der Performer im Netz gelandet sind, vorgeblich bei "Castings". Darsteller, die schon jahrelang als Profis im Geschäft waren, nennten sich "Amateure", weil sich das besser verkauft.
Aber, so der Vorwurf, speziell das jüngere Publikum könnte aus diesen Clips die falschen Schlüsse ziehen. Denn hey, das Mädchen mit den perfekten Brüsten, das nach kurzem Blabla ("Warum hast du denn'ne Kamera dabei?") in der Hecke eines Parks hängt, ist schließlich ein "Amateur", also nicht mehr und nicht weniger ein Pornostar als du und ich. Hängende Brüste, schlaffe Penisse, Unlust und Verklemmtheiten gibt es dort nicht und darf es also auch im realen Leben nicht geben. Stattdessen aber alle eher ausgefallenen Arten des Beisammenseins, im Auto, zu dritt, zu viert. "Ich glaube, das Diktat unserer Zeit lautet nicht: Schließe deine Sexualität weg", sagt Catuz. "Das Diktat heißt: Genieße!" Nicht nur der Zwang zum perfekten Körper setzt die Menschen heutzutage unter Druck, sondern auch der Zwang zur Lust.
"Genieße!" lautet aber auch das unausgesprochene Diktat mancher "sex-positiver" feministischer Pornos. Ihre "Echtheit" vermittelt dem Zuschauer den Eindruck, man habe hier das pralle, befreite Leben vor Augen, und nur er sei so furchtbar verdruckst. Weg mit den Hemmungen, die das Patriarchat der weiblichen Lust auferlegt hat! Und nur selten taucht dabei die Frage auf, ob es vielleicht manchmal auch die Frauen selbst sind, die gerade keinen Sex wollen.
Im Spandauer Domina-Studio rückt Regisseurin Simonian einer jungen Frau inzwischen mit einer Schere zu Leibe. Sie befreit sie damit aus einem Kokon aus Mullbinden, in das sie die Performerin zuvor gemeinsam mit Catuz gewickelt hatte. So kann man in Berlin Geld verdienen: Man lässt sich in einem Domina-Studio mit Blick auf die Havel ein bisschen einwickeln, dann auswickeln und entdeckt für die Kamera seinen Körper. Anschließend wird die Frau erneut zugeschnürt, die Kamera läuft weiter. Die Enthemmung war nur ein Spiel. Der Kokon schließt sich. Drehpause.
Der Grund für die Vernarrtheit der feministischen Pornografie in die Darstellung von "echtem" Sex ist leicht erklärt: Als die ersten "sex-positiven" Filmemacherinnen zu drehen begannen, war die bestehende Filmsprache durch und durch männlich geprägt. Es musste eine neue gefunden werden. Nur welche?
Also gingen sie von einem Nullpunkt aus - von "unprofessionellem" Sex ohne Regieanweisungen. Gleichzeitig wurde alles weniger schmuddelig und sah mehr nach Kunstgalerie und iPad aus. Aber kann ein Film zugleich natürlich und ästhetisch aussehen? Und reproduzierte man damit nicht außerdem das Klischee vom "schönen" Geschlecht, das nicht mal im Sex schmutzig sein darf?
Kaum überraschend, entfernten die Filmemacher dann natürlich bald auch die männlichen Unterwerfungsfantasien aus dem Bilderrepertoire. Nur führte dies gleich zur nächsten Debatte: Darf man beispielsweise Vergewaltigungsfantasien in feministischen Clips zeigen? Denn sie gehören ja nicht nur zu den Dominanzfantasien mancher Männer, sondern sind auch in der Vorstellungswelt mancher Frauen zu finden.
Echter Sex ergibt, vermeintlich, echte Filme, die zeigen, was "echte" Frauen wollen
Mehr noch: Der Anspruch auf das Echte, Authentische suggeriert außerdem, dass diese Filme nicht nur Spielereien sind, sondern Dokumente der "wahren" weiblichen Sexualität. Echter Sex ergibt, vermeintlich, echte Filme. Und die zeigen dann, was "echte" Frauen wollen und legen sie darauf fest. Deutlich wird das, wenn bei Erika Lusts "XConfessions" die Drehbücher auf den eingeschickten sexuellen "Geständnissen" ihrer weiblichen Fans basieren. Aber an wen richten sich diese Geständnisse überhaupt? Und: Die Inszenierungen erwecken den Anschein, als seien die weiblichen Fantasien von Fesselungen, Unterwürfigkeit und Sex im Ikea-Laden das, was Frauen sich ganz "authentisch" vorstellen, als sei damit der natürliche Kern dieser Fantasie berührt, als sei das ewige Rätsel weiblicher Lust ein für allemal gelöst.
Die männliche Sexualität hingegen, abzulesen in der Pornografie, erhebt sehr viel weniger den Anspruch, sie müsse ihr wahres Wesen enthüllen. Männer tun in diesen Filmen, was ihnen einfällt. Oder sie lassen es bleiben.
Genau dies tut übrigens die ehemalige Opernsängerin Simonian in Berlin-Spandau. Gerade belegt sie einen Performer namens "Kay Garnellen" mit Schokolade, Obst und Nutella. Kurze Zeit später macht sich eine junge Frau vor der Kamera erst über die Süßigkeiten, dann über den Mann selbst her. So will es die Regisseurin.
In der nächsten Szene geht die Performerin auf die Knie, holt "Kays" Penis aus der Hose. Als sie die Hose ganz herunterzieht, löst sich der Penis plötzlich vom Körper - er ist aus Gummi. Die beiden tun sehr überrascht und lachen. "Kay" ist ein Transgender-Mann. Der einzige Phallus im Raum ist ein Spielzeug. Und die junge Frau hat ihn jetzt in der Hand.