Süddeutsche Zeitung

Kunst auf OnlyFans:30 000 Jahre nackt

Bilder von Kunst und Kulturgütern im Social-Web werden oft gelöscht - wegen angeblicher Pornografie. Ein paar Museen hatten da eine Idee.

Von Cathrin Kahlweit

Die Venus von Willendorf, die man im Naturhistorischen Museum in Wien besuchen kann, ist eine kleine, rundliche Dame mit einem ausgeprägten Venushügel und großen Brüsten. Wer ihr persönlich gegenübersteht, mag sie berührend finden oder schön, ehrwürdig oder fremd, aber vor allem ist die mindestens 30 000 Jahre alte Figur: nackt. Bei der Bewerbung der hauseigenen Sensation aus der Altsteinzeit stieß das Museum am Burgring deshalb immer wieder auf Widerstände. Denn Porträts der Venus von Willendorf werden von den Algorithmen zahlreicher Social-Media-Plattformen als anstößig interpretiert - und gelöscht.

"Öffentlich zur Schau gestellte Nacktheit" ist die Begründung. Ein No-Go, wenn es etwa nach Facebook oder Instagram geht - und ein bekanntes und ungelöstes Problem, das private Nutzer ebenso treffen kann wie kommerzielle.

Nacktheit sei schließlich nicht immer per se pornografisch, und die willkürliche Löschung entsprechender Inhalte grenze schon mal an Zensur, sagen die Touristiker in Wien, die für das Stadtmarketing und damit werbetechnisch auch für die Kultureinrichtungen zuständig sind. Und haben eine überraschende Lösung für ein Problem gefunden, das naturgemäß nicht nur das Naturkundemuseum hat: Gelöscht werden schließlich auch die Selbstbildnisse von Egon Schiele im Leopold-Museum, nackte Schönheiten von Rubens und Tizian im Kunsthistorischen Museum, Akte von Modigliani in der Albertina. So gut wie alles eben, was Brüste oder Hintern oder Schamhaare zeigt.

Viele Künstler fragen sich mittlerweile, wie viel Nacktheit sie im Netz zeigen könnten

Die Lösung: Seit anderthalb Monaten gibt es auf der Plattform OnlyFans, die vor allem Erotisches und Pornografisches, aber zunehmend auch Musik, Kunst, Crowdfunding und Spendenaufrufe bietet, eine eigene App unter dem wunderbaren Titel "Vienna strips". Über 18-Jährige können für ein paar Euro im Monat Werke des internationalen Kunstkanons anschauen; eine Eintrittskarte für die teilnehmenden Museen inklusive. Natürlich sei die Zahl der Zugriffe und die Reichweite der App überschaubar, sagt der Chef von WienTourismus, Norbert Kettner, aber die - zeitlich befristete - Aktion sei auch mehr ein Fingerzeig gewesen, um auf das Problem aufmerksam zu machen.

Akte etwa seien gesellschaftspolitisch und künstlerisch ein wichtiger Teil der Kulturgeschichte, sagt Kettner. Es gehe also um die Frage nach der künstlerischen Freiheit. Und dabei nicht nur um den klassischen Kulturkanon, sondern auch um moderne Kunst: Viele zeitgenössische Künstler fragten sich mittlerweile, wie viel Nacktheit sie im Netz präsentieren könnten - manche hätten die Schere bereits im Kopf. Es könne und dürfe ja wohl nicht sein, dass Algorithmen die Kunst von morgen mitbestimmten. Technologie dürfe kein Selbstzweck, keine Geheimwissenschaft sein, so Kettner, weshalb sich die Stadt Wien dem schönen Slogan vom digitalen Humanismus verschrieben habe.

Aber zurück zum strippenden Wien und seinem demonstrativen Auftritt auf OnlyFans: Die Museen verhandelten mit den sozialen Netzwerken wochenlang wegen der Löschung einzelner Kunstwerke als zu pornografisch. Manchmal gelinge das, aber ein roter Faden sei nicht erkennbar. Die App "Vienna strips" wird demnächst wieder stillgelegt, das Problem nicht gelöst sein. Aber Wien und seine Museen waren in den Schlagzeilen mit einer provokativen Idee. Selbst internationale Medien wie der Guardian oder CNN berichteten über den ungewöhnlichen Zugang zur Museumswelt in Wien. Und damit wäre ja dann das Ziel eigentlich schon erreicht.

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