Popkomm:Hauptsache Hauptstadt

Die erste Berliner Popkomm - ausgepackt, nicht angekommen.

Von Oliver Furchs und Dirk Peitz

Das Erste, was man von der Popkomm zu sehen bekommt, sind Slogans. Auf dem Handlauf der Rolltreppe, die aus der gruseligen, in Orange gekachelten Fußgängerunterführung vorm Nordeingang der Messe nach oben ans Tageslicht führt, hat jemand einen Sticker geklebt: "Achtung: Musik entdecken macht sexy!"

Popkomm 2004

Endlich wieder Inhalte?

(Foto: Foto: dpa)

Als wenn wir alle es nicht besser wüssten. Weiter in Richtung Eingang steht ein Mietdemonstrant mit einem Transparent-Wechselrahmen. Am ersten Messetag fordert er "CDs müssen billiger werden", am zweiten "Fanta 4 statt Hartz 4", am dritten ist er verschwunden.

Die Messe empfängt einen mit Plakaten, auf denen in Graffiti-Schrift "Popkomm -- Lauter gute Musik" versprochen wird. Musik -- ach ja?

Die sich traditionell etwas leer anfühlende Sloganhaftigkeit gehört zum Ritual. Doch beim Rundgang durch die 16. Popkomm, die erste in Berlin, vergaß man bisweilen, dass Musik das Thema war.

Kölsch vom Fass, ab morgens

Es gab Stände von Immobilienfirmen, Finanzberatern, Copyright-Agenturen und von der "Musikstadt Köln", die allerdings nichts anderes anzubieten hatte als Kölsch -- das aber vom Fass und ab morgens.

Die Popkomm kämpft ja seit ihrem Bestehen mit dem Handikap, dass Musik sich im Grunde gar nicht zum Ausstellungsgegenstand eignet. Solange es der Musikindustrie prächtig ging, stellte niemand die Sinnfrage.

Die Popkomm war ein lustiger Betriebsausflug, Köln im Hochsommer, heiße Nächte. Mehr als um Musik ging es schon in Köln um Autosuggestion: Uns geht es gut, wir schwimmen in Geld, schaut nur mal, was wir für spektakuläre Stände aufgebaut haben!

Die Hauptstadt im Herbst ist dagegen schon was anderes. EMI und BMG waren nicht da, die Stände der übrigen großen Plattenfirmen sahen sehr nach Ikea aus.

Ein Hauptargument für den Umzug nach Berlin war die größere Nähe zur Bundespolitik. Die früher von Pop-Kreisen mit Skepsis beäugte Politik sollte plötzlich als Helfer in der Not einspringen und alles regeln.

Unendlich verkrampft

Nun ging es bei der ersten Berliner Begegnung von Pop und Politik aber so zu wie immer, wenn die beiden sich treffen: unendlich verkrampft. Bloß dass der Rahmen ein anderer war, ein absurd offizieller.

Bei der Bundestagsanhörung zur Musikquote saßen Inga Humpe, Jim Rakete und andere geladene Experten zwischen den Mitgliedern der Kultur-Enquetekommission und des Kulturausschusses, oben auf der Besuchertribüne stand Udo Lindenberg neben Klaus Lage, Yvonne Catterfeld hatte eine fabelhafte Baskenmütze auf, Xavier Naidoo schaute streng, Till Brönner rief einmal "Buh", Gunter Gabriel grinste, Max Herre nicht, Rainald Goetz protokollierte alles.

Als nach dem Quotenplädoyer des ehemaligen französischen Kulturministers Jacques Toubon oben Applaus aufbrandete, sprach unten die Ausschussvorsitzende Monika Griefahn: "Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Publikumsäußerungen bei Bundestagsanhörungen nicht üblich sind -- und das hier ist auch kein Rock-Konzert!"

Die CDU hielt einen Popkomm-Empfang ab, auf dem Angela Merkel Fertigbausteine aus einer Standardrede zum Thema "Kreativwirtschaft und die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts" auftürmte; ihr Generalsekretär Laurenz Meyer hatte bei einer Podiumsdiskussion Schwierigkeiten, sich an seine letzte Schallplatte zu erinnern; seinem SPD-Pendant Klaus Uwe Benneter fiel immerhin Norah Jones ein; Franz Müntefering bekannte bei der Eröffnung eines Salongespräches im Willy-Brandt-Haus zum Thema Popkultur, dass er gar nicht so genau wisse, was ein "Salongespräch" überhaupt sei -- hoffentlich weiß er, was Popkultur ist --, dann überließ Müntefering dem Popkomm-Erfinder Dieter Gorny die Bühne, der über Herbert Marcuse philosophierte und sich erfreut zeigte, dass es "endlich wieder um Inhalte" geht.

Es geht aufwärts mit der Krise

Ja, aber um welche? Die neue Popkomm ist, so viel lässt sich sagen, irre international. Die größten Messestände hatten die staatlich geförderten Musikexportbüros, der finnische war der höchste, der österreichische hatte den seltsamsten Claim: "Austria on ear".

Außerdem gab es viele Nationen-Konzertabende, gleich mehrere französische, die skandinavischen Staaten traten mal einzeln und mal zusammen auf.

Was es dort überall nicht zu hören gab, war klar: den großen Hype, irgendetwas universell Neues, Aufregendes, Ungehörtes, wenigstens ein bisschen von dem Inhalt, auf den alle vergeblich warten.

Mit irgendwas müssen die teuren Geräte ja gefüttert werden. Weil kein neuer Musik-Trend erkennbar war, prägten zwei altbekannte Gesichter das Geschehen: Gorny, dessen Viva nun MTV gehört, und der bei der Messe-Organisation diesmal fast nichts mitzureden hatte, und Tim Renner, der seinen Job als Universal-Chef schon seit längerem los ist.

Beide also praktisch funktionslos. Gornys neue Rolle ist die des omnipräsenten Ehrenpräsidenten. Renner spielte den geheimnisumwitterten Schattenmann. Er wirkte wie immer so, als plane er gerade eine Revolution.

Am Ende waren alle zufrieden mit sich, der Messe, den Konjunkturprognosen. Es geht aufwärts. Weil es ja irgendwann aufwärts gehen muss. Man hat keine Lust mehr, über die Krise zu reden, also nennt man sie eine Chance -- Autosuggestion halt.

Auch diese Popkomm war vor allem die Selbstvergewisserungs-Show einer Branche, die nachschauen wollte, ob es sie überhaupt noch gibt. Eine Werbeveranstaltung für die Kunstform Pop war sie nicht -- eher das Gegenteil.

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