Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Wie es wird? Alles gut, natürlich

In dieser Woche begehen wir: Drake, Janelle Monáe, die Fantastischen Vier, Questlove, Anthrax, Kanye West (als Twitterkönig) und Willie Nelson.

Von Jens-Christian Rabe

Auf dem ersten Platz der amerikanischen Single-Charts steht in dieser Woche die neue Single "Nice For What" des kanadischen Rap-Superstars Aubrey Drake Graham alias Drake, in der auch die Drag Queen und queere Rapperin Big Freedia gesampelt wird. Es dürfte der erste feministische Mainstream-Hit eines männlichen Superstars des notorisch misogynen Hip-Hop sein (dass es Drake ist, dem dieser Coup gelingt, ist natürlich kein Zufall, er unterbricht auch seine Shows, um sich Fans vorzuknöpfen, die im Publikum Frauen belästigen). Wer hätte das gedacht! Vielleicht wird ja eines Tages doch wirklich noch alles gut.

Einen weiteren Hinweis darauf könnte auch das Ende der Woche noch bringen. Da erscheint endlich das neue dritte Album "Dirty Computer" (Warner) der amerikanischen R'n'B-Sängerin, Songwriterin, Entertainerin, Künstlerin, James-Brown- und Prince-Wiedergängerin und Feministin Janelle Monáe. Die ersten vier Singles "Pynk", "Make Me Feel", "Django Jane" und nun auch noch "I Like That" waren jedenfalls grandios. Und im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen sagte sie schon mal, ohne mit der Wimper zu zucken, was endlich zu tun ist: "Das Patriarchat muss getötet werden."

Pünktlich zur Debatte um die deutschen Gangsta-Rapper Farid Bang und Kollegah und die dunkle homophobe, misogyne, gewaltverherrlichende und antisemitische Seite des deutschen Hip-Hop kommt das neue, elfte Album "Captain Fantastic" (Columbia) der Fantastischen Vier vom lustigen, vollkommen jugendfreien Balkon des Genres. Dank ihres Soundtüftlers Andreas Rieke alias Andi Ypsilon, der offenbar immer noch gute Ohren und ein großes Herz hat für die jüngsten Entwicklungen des Hip-Hop, klingen die deutschen Rap-Pioniere allerdings wieder einmal wie eine erstaunlich frische Parodie ihrer selbst. Ansonsten gibt das Album die Antwort auf die Frage, auf wie vielen Alben die Band ihre Midlife-Crisis mit leidlich geschmeidigem deutschen Sprechgesang eigentlich ironisch verarbeiten kann, ohne dass ihr dabei selbst langweilig wird: Es sind jetzt schon fünf Alben. "Can I kick it? / Wenn nicht jetzt / Van Damme."

Der amerikanische Drummer Ahmir Khalib Thompson alias Questlove ist nicht nur der Kopf der besten Hip-Hop-Band der Welt, sondern auch einer der großen lakonischen Pop-Weisen der Gegenwart. Im Interview mit dem amerikanischen Rolling Stone antwortete er gerade auf die Frage, ob auch er - wie so viele Stars - Angst davor habe, eines Tages als Hochstapler enttarnt zu werden: "Jeden Tag. (. . .) Der eigentlich Grund dafür, dass es Bodyguards und abgesperrte VIP-Bereiche gibt, ist, dass Prominente verhindern wollen, dass rauskommt, wie gewöhnlich sie sind."

Ende der Woche erscheint das neue Live-Album "Kings Among Scotland" der legendären amerikanischen Thrash-Metal-Band Anthrax. Wem das zu hart ist, der kann sich aber auch einfach erst mal das vor einigen Wochen auf der Second-Hand-Musikequipment-Plattform Reverb veröffentlichte Video ansehen, in dem Anthrax-Drummer Charlie Benante vergnügt erklärt, wie er das ultrapräzise, wahnwitzig schnelle Thrash-Metal-Trommeln miterfand - und welche entscheidende Rolle die deutsche Heavy-Metal-Band Accept dabei spielte. Vom Fachmann für Kenner.

Das Hip-Hop-Genie Kanye West, bekannt für Größenwahn und unerschütterliches Selbstvertrauen aller Art, ist ja neben Jenny Holzer auch der zweite große Twitter-Aphoristiker unserer Zeit. Er zeigt sich dabei allerdings - anders als die amerikanische Künstlerin - nicht als Ideologiekritiker, sondern als "Confidence-Coach", als beinharter Berater für unerschütterlichen Narzissmus. Am Dienstag lauteten seine drei zentralen Lektionen: "Jeder sollte sein eigener größter Fan sein." Und: "Wenn Deine Prognosefähigkeit grandios ist, verfolge stur deine Visionen." Sowie: "Solange Du das richtige Emoji dazustellst, kannst Du alles sagen."

Man ahnt es schon eine Weile, aber langsam wird es zur Gewissheit: Bevor der Outlaw-Country-Superstar Willie Nelson aufhören wird, Platten aufzunehmen, geht die Welt unter. Am kommenden Sonntag wird der Marihuana-Lobbyist 85 Jahre alt. Am Freitag erscheint mit "Last Man Standing" (Legacy Recordings) sein, yep!, 67. Studio-Album. So dengelt man also tiefenent- spannt dem ewigen Leben entgegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3956602
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.04.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.