Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Verträumt morbid

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Die Pop-Ereignisse der Woche mit den "Sleaford Mods", "Weezer" und Gary Clark Jr. - und der Antwort auf die Frage, wen Dave Grohl für die Zukunft des Rock'n'Roll hält.

Von Max Fellmann

Wenn man den diversen Ankündigungen glauben darf, wird bald tatsächlich das lang erwartete erste Album von Billie Eilish erscheinen. Die 17-jährige Amerikanerin, der angeblich "meistdiskutierte Teenager der Welt" (NME), hat zwar schon eine EP und mehrere einzelne Songs veröffentlicht - verträumter, manchmal leicht morbider Hip-Hop-Pop, hundertmillionenfach gestreamt - aber Größeres steht noch aus. Jetzt hat allerdings jemand seine Hochachtung ausgesprochen, der der Generation ihrer Eltern angehört: Dave Grohl sagte in einem Interview, mit ihr passiere das gleiche wie 1991 mit seiner Band Nirvana: "Die Leute fragen immer, ist Rock tot? Wenn ich mir jemanden wie Billie Eilish ansehe, ist Rock'n'Roll ganz und gar nicht tot!" Wie er darauf kommt, die ziemlich ätherische Musik der Sängerin als Rock'n'Roll zu bezeichnen, hat Grohl nicht erklärt. Aber er hat verraten, warum er sie kennt: Seine Töchter hören den ganzen Tag Billie Eilishs Songs. Passenderweise hat Billie Eilish inzwischen erzählt, von wem ihr erstes Band-T-Shirt war: von Nirvana.

Apropos Papas. Die Sleaford Mods haben sich in den vergangenen Jahren zu Helden eines klar umrissenen Publikums entwickelt: Auf ihren Konzerten stehen vor allem Männer Ende 40, Bier in der Hand, länger nicht rasiert, ehemalige Ein-bisschen-Punks, vom Leben ermattet, genervt von Politik und Alltag. Und sehen vor sich auf der Bühne: zwei Männer Ende 40, Bier in der Hand, länger nicht rasiert, ehemalige Ein-bisschen-Punks, vom Leben ermattet, genervt von Politik und Alltag. Posterboys der grau gewordenen Generation X. Jason Williamson rattert geniale Sprechgesänge runter, wortgewaltige Monologe über die trostlose Gegenwart Englands, dazu lässt Andrew Fearn rumplige Beat-Schleifen aus dem Laptop - Punkrock mit den Produktionsmitteln des Hip-Hop. Auf ihrem fünften Album "Eton Alive" (Extreme Eating) machen sie überwiegend so weiter, diesmal aber geht Williamson thematisch etwas raus aus den britischen Hinterhöfen, rein ins generell Politische. Fearn fährt die schnarrigen Bass- und Gitarren-Samples etwas zurück und setzt mehr auf Computersounds und spratzige Elektronik. Die beiden sagen, sie wollen sich nicht zu sehr wiederholen. Gut so. Besser aber, dass sie trotzdem noch genug von all dem Bewährten liefern, das die müden Familienväter so brüderlich bei der Schulter packt.

Ein netter Spleen, den Rivers Cuomo da seit 25 Jahren pflegt: Mit seiner Band Weezer veröffentlicht er Album um Album, und alle paar Jahre muss eins dabei sein, das keinen Titel trägt und dafür nach der Farbe des Covers benannt wird. Das Debüt von 1994 war das "Blue Album", später kamen noch "Green Album", "Red Album" und "White Album". Jetzt Album Nummer 12: schwarz (Atlantic/Warner). Keine große Überraschung also - im Gegensatz zur Musik: Da schlägt Cuomo ein paar echte Haken. Beim Auftakt "Can't Knock The Hustle" ist schwer zu glauben, dass das wirklich Weezer sein soll: ein bollernder Funk-Loop, darüber Soul-Chöre, spanische Satzfetzen, Mariachi-Trompeten. Klingt eher wie Beck nach zu viel Capri-Sonne. Und so gehts zehn Songs lang weiter, "High As A Kite" ist ganz geradeaus eine Ballade mit Klavier und Geigen, "This Girl" klingt fast nach Coldplay, anderes wie sehr glatt produzierter Charts-Pop. Da ist fast nichts zu erkennen von der Ironie, die Weezer einst auszeichnete. Cuomos erklärter Ansatz war es ja mal, die Beach Boys und Heavy Metal zu vereinen, hier sind aber weder die Gitarren verzerrt noch die Akkordfolgen überraschend. Dass das Ganze trotzdem sehr gut aufgeht, liegt an Cuomos Gespür für große Melodien. Man möchte jeden zweiten Refrain mitpfeifen. Und tanzen kann man diesmal auch dazu.

Haben wir noch ein paar Zeilen Platz für den Blues? Dann eine schnelle Verbeugung vor Gary Clark Jr.: Der Sänger aus Texas schafft es seit Jahren, die traditionellen Ansätze des Genres mit viel Gegenwart zu verbinden. Da ist dann Soul mit drin, Hip-Hop, und jede Menge Schmutz des 21. Jahrhunderts. Schon vor Jahren erklärte ihn der Rolling Stone zur "Hottest New Gun", inzwischen füllt Clark Jr. längst die großen Hallen, einen Grammy hat er auch. Und jetzt, auf seinem neuen Album "This Land" (Warner), wird er - endlich! - auch noch politisch. Im Titelsong singt Clark über seine Erfahrungen als Afroamerikaner, über den Rassismus, den er als Kind erlebte und auch heute noch zu spüren bekommt: "Nigga run, nigga run / Go back where you come from". Aber er hält dagegen: "Fuck you, I'm America's son / This is where I come from / This land is mine". Mal sehen, vielleicht ist Gary Clark Jr. der Mann, der den Blues aus der Liebhaberecke rausholen und wieder relevant machen kann.

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SZ vom 20.02.2019
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