Popkolumne:Wald-Wave? Birken-Breakbeat? Jungle?

Popkolumne: Olivia Rodrigo bei einem Auftritt während der Brit Awards Mitte Mai in London.

Olivia Rodrigo bei einem Auftritt während der Brit Awards Mitte Mai in London.

(Foto: Ian West/AP)

Neue Musik von Olivia Rodrigo, "Twenty One Pilots", den "Counting Crows" und "Culcha Candela". Und dazu die Frage: Wie klingt Electro aus Waldgeräuschen? Und: Wie nennt man ihn?

Von Jakob Biazza

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Dinge, die die Twenty One Pilots erfunden haben: die "Extreme phone pinching"-Challenge. Und den Alternative-Electropop-Synth-Rap-Rock-Electronica-Indie-Hip-Hop-Reggae. Beim extrem phone pinching handelt es sich um eine exorbitant dämliche (aber damit natürlich erstaunlich reizvolle und kurzzeitig schwer beliebte) Mutprobe, bei der man sein Mobiltelefon mit nur zwei Fingern festhält und über irgendetwas reckt, das es für den Fall des Entgleitens garantiert zerstört: tiefer Abgrund, Wasserfall, Aufzugschacht, Müllschlucker. Millionenabrufe bei Youtube. Der Alternative-Electropop-Synth-Rap-Rock-Electronica-Indie-Hip-Hop-Reggae ist, glaubt man den Kritikern der sehr ernsten Indie-Presse, im Grunde dasselbe. Hauptvorwurf an Tyler Joseph und Josh Dun, das Duo, das 2015 mit dem Album "Blurryface" seinen Durchbruch hatte: Musik, die es allen zu jeder Zeit zu sehr recht machen will. In der Ästhetik ein bisschen, als würde ein etwas fußlahmer Eminem über von Linkin Park aufgeblasene Elton-John-Piano-Grooves singen. Das stimmt schon. Allerdings waren ein paar der Songs damit eben auch erstaunlich reizvolle Pop-Hits. Kurzzeitig schwer beliebt. Zu Recht. Auf "Scaled and Icy" (Atlantic/Warner), ihrem neuen Album, will die Band ziemlich genau da weitermachen, wo sie mit "Trench" 2018 aufgehört hat, das da weitergemacht hat, wo "Blurryface" aufgehört hatte. Und auch hier sind die Parallelen zur "Phone pinching"-Challenge auffällig: Auf die Dauer ist es als Kick womöglich doch etwas zu simple.

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Dinge, die die Counting Crows (mit)erfunden haben: Rockstarstatus ohne Starstatus. Und womöglich auch ohne Rock. Die Band aus Berkeley, Kalifornien, spielt ja seit der Gründung im Jahr 1991 angenehm posenlose Gitarrenmusik (schon klar: Posenfreiheit ist irgendwann auch eine Pose). Frontmann Adam Duritz strich bei Konzerten sogar mal den Über-Hit "Mr. Jones" von der Setlist, weil er nicht mehr hinter dem Drang nach Ruhm stehen konnte, der sich durch den Text zieht. Weil auch die EP "Butter Miracle Suite One" (BMG Rights Management/Warner) klingt, wie die Band schon immer klang - sonnensatter, ewigfreundlicher und irre sympathischer Knarz-Rock für mild-melancholische Hochsommertage - nur der Vollständigkeit halber noch dies nachgereicht: Fehlende Pose hin, Flauschrock her, das Internet führt trotzdem eine Liste mit Frauen, die Duritz seit Bandgründung gedated haben soll. Ganz schön lang.

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Her tree hat eine Art eigenes Genre erfunden. Nennen wir es Wald-Wave. Nein, Tree-Techno. Baum-Bass'n'Drum? Erlen-Electro? Jungle? Jedenfalls: Alexandra Cumfe hat für "Don't Try, Be Beautiful" (Her tree) Wald-Geräusche aufgenommen, nicht nur deutsche, auch österreichische, slowenische und thailändische, und sie anschließend elektronisch verfremdet und in Beats und Basslines verwandelt. Dann haucht sie ein paar ziemlich schöne Melodien und Chöre drüber, et voilà: Holz-House. Nein, Birken-Breakbeat. Jedenfalls: fein. Und nicht ganz so ätherisch, wie man im ersten Moment denken würde.

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Olivia Rodrigo hat sich selbst neu erfunden. Der ehemalige Disney-Star ("High School Musical - Das Musical: Die Serie") macht auf "Sour" (Interscope/Universal Music) phasenweise ganz wunderbar wütenden Rumpel-Pop-Punk-Alternativ. Und bringt auf dem Opener "brutal" womöglich das Gefühl von Millionen Corona-Jugendlichen auf die ganz locker hingerotzte Zeile: "I'm so sick of 17 / Where's my fucking teenage dream?"

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Culcha Candela haben nichts erfunden. Sie haben früher Reggae, Dancehall und Worldmusic imitiert und für die Großraumdisco aufgepustet. Auf "Top Ten" (Sony Music/Culcha Sound) imitieren sie dazu jetzt auch noch ein bisschen deutsche Gangsta-Rapper, die amerikanische Gangsta-Rapper imitieren, die über Autos und Uhren rappen. Klingt auch ansonsten ungefähr so, wie Erdbeer-Limes zu 50 Cent je 2-cl-Shot schmeckt.

Und damit zum Schluss noch das Video der Woche: Emmanuel Macron, der im Garten des Élysée-Palastes vor einer Bühne sitzt, angemessen präsidial irritiert, links und rechts neben ihm die Youtuber McFly und Carlito, und oben, auf der Bühne: Ultra Vomit. Die Band spielt Metal. Genauer: Metal-Parodien. Cannibal Corpse, Rammstein, Motörhead: alles dabei. Alles im Humor eher semi-brillant, in der musikalischen Adaption aber doch besser als, nur zum Beispiel, Culcha Candela. Hintergrund des Konzerts: Macron hatte mit den Youtubern gewettet, dass sie es nicht schaffen, ein Video über die Notwendigkeit von Corona-Maßnahmen wie Maske tragen und Hände waschen zu drehen, das mehr als zehn Millionen Mal angeklickt wird. Haben sie geschafft. Der Lohn war ein Treffen mit fast 40-minütigem Videodreh im Präsidenten-Amtssitz. AHA!

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