Popkolumne:Tirili!

Mit neuer Musik von Iggy Pop und "Ross From Friends" - und der Antwort auf die Frage, was wir den Techno-Hippies der Neunziger verdanken.

Von Jan Kedves

Dass Iggy Pop der verknittertste Mann im Pop ist, der aus Prinzip niemals ein Hemd trägt, und natürlich auch kein Unterhemd, damit das Knittern so richtig schön zur Geltung kommt, das wusste man schon. Dass er immer noch sehr wütend darüber ist, dass man in Flugzeugen schon lange nicht mehr rauchen darf, das wusste man vielleicht noch nicht. Dafür gibt es nun "Bells & Circles", einen perkussiven dubbigen Techno-Track, den der 71-Jährige gemeinsam mit dem Duo Underworld aufgenommen hat. In ihm monologisiert Iggy Pop nicht nur über das Rauchverbot, sondern auch darüber, dass man als Fluggast heute ja leider nicht mehr ungestraft die Stewardessen anbaggern darf, obwohl sie "hot" sind. Tja, was soll man sagen: Die Rolle des mürrischen "dirty old man", der aus einer Zeit kommt, in der alles besser war, nämlich: früher!, die steht Iggy Pop auf der diese Woche erscheinenden EP "Tea Time Dub Encounters" (Caroline International) irgendwie ausgezeichnet. Die Beats von Underworld, die mit "Born Slippy" berühmt wurden und dem Film "Trainspotting" seinen Sound gaben, klingen auch nicht mehr so zeitgemäß. Aber im Regal für halb elektronische, halb rockige Tanzmusik mit monotonem Männergranteln reiht sich diese EP gut ein - also zwischen Suicide, The Fall und LCD Soundsystem.

Der Rapper R. Kelly hat sich am Montag zu den Vorwürfen geäußert, dass er seit Jahren junge, teils minderjährige Frauen sexuell missbrauche und sie sich in einem klandestinen privaten Sexkult gefügig halte. Nicht in einer Pressekonferenz allerdings, sondern über Instagram mit einem neuen, 19 Minuten langen Track, Titel "I Admit". Darin gibt der 1967 in Chicago geborene R&B-Star ("I Believe I Can Fly") alles Mögliche zu, 19 Minuten sind ja lang: dass er nicht in die Kirche geht, dass er die Schule abgebrochen hat, dass er dyslexisch ist, dass er Sex mit Fans hatte. Aber die Vorwürfe, er sei pädophil und missbrauche Teenagerinnen, bestreitet er in dem Track kategorisch. Dabei schienen sie Anfang des Jahres in der BBC-Dokumentation "Sex, Girls & Videotapes" ziemlich gut recherchiert, man möchte fast sagen: belegt. Kelly aber verhöhnt seine mutmaßlichen Opfer in "I Admit" und sieht sich selbst als Opfer einer, wie er singt, "big ass conspiracy". Mit Aufklärung der Vorwürfe hat das nichts zu tun, der Song soll wohl der Ablenkung und Karriererettung dienen.

Das partytauglichste Debütalbum der Woche kommt von Ross From Friends, einem 24-jährigen Produzenten aus Colchester, Essex. Er heißt bürgerlich Felix Clary Weatherall und hat mit seinen leicht verklackerten, irrlichternden elektronischen Dance-Tracks - sie erinnern ein wenig an DJ Koze - die Aufmerksamkeit des Produzenten Flying Lotus aus Los Angeles erregt. Der veröffentlicht nun das Album "Family Portrait" auf seinem exzellenten Label Brainfeeder. Felix Clary Weatherall ist der Sohn von Techno-Hippies, die 1990, euphorisiert vom Zusammenbruch des Ostblocks, mit Bussen durch Europa fuhren und mit ihrem Soundsystem überall spontan Raves feierten. Im Video zur Single "Pale Blue Dot" sieht man das, es ist aus Video-Material von damals geschnitten. Die Idee, Europa mit Raves zusammenwachsen zu lassen, erscheint heute überholt. Aber dass die Kinder der Naiven von damals mit ihrer Musik heute an diesem Punkt weitermachen, lässt auch hoffen. Selbst wenn die Musik nun eben etwas melancholischer klingt.

Und zum Schluss noch ein Blick in eine bizarre Nebenwelt des Pop, in der große Erfolge gefeiert werden, ohne dass man viel davon mitbekommt: in die Welt des Symphonic Metal. Die finnische Sängerin Tarja Turunen alias Tarja veröffentlicht diese Woche mit "Act II" (Ear Music) ein neues Live-Album, auf dem sie ihre Hits versammelt. Bekannt wurde die 40-Jährige als Kopf der Band Nightwish. Sie zerstritt sich allerdings 2005 mit den Männern in der Band. Dass Nightwish seitdem schon bei der dritten Sängerin angelangt sind, deutet darauf hin, dass es Frauen in der Band wirklich nicht leicht haben. Tarja ist als Solistin aber sehr erfolgreich, was an auch ihrer Stimme liegen dürfte, mit der sie den fliegenden Wechsel zwischen metalhaftem Schreien und operettenhaftem Tirilieren problemlos meistert. Weil in sinfonischer Metal-Musik orchestraler Pomp sehr wichtig ist, gibt es hier (in "Victim of Ritual") eine Anspielung an Ravels "Bolero", im Stück "Demons In You" aber auch Jazz-Rock-Zitate. Das alles erscheint ziemlich widersinnig, so wie die Vorliebe von Metal-Fans, sich selbst im heißesten Sommer nur schwarz zu kleiden. Aber auf dem Cover ihres Albums trägt Tarja weiß. Eine klirrende Eis-Prinzessin! In der Hitzewelle kann einem das schon recht sein.

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