Popkolumne:Seltsame Jungs

Album der Woche ist "The Center Won't Hold", Snoh Aalegras Soul-Stimme ist umwerfend, über einen Bandnamen sollte man hinweghören.

Von Jan Kedves

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Latent depressive Indie-Disco-Mitgröhl-Hymnen kann es ja eigentlich nie genug geben. Auf dem neuen Sleater-Kinney-Album "The Center Won't Hold" (Mom + Pop) ist ein Prachtexemplar zu hören, der locker hingetrommelte Partysong "Can I Go On". Darin wird die Existenzfrage gestellt: Alle meine Freunde sind super drauf, aber sie sind alle am durchdrehen, heulen herum, sind total gelangweilt - will ich da überhaupt noch weitermachen? So in etwa der Text, den Carrie Brownstein und Corin Tucker singen. Er macht in der Paarung mit dem Orgelgeblubber und den Hu-Hu-Hu-Chören aber die allerbeste Laune. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass Annie Clark alias St. Vincent genau die richtige Produzentin war für dieses nun zehnte Album der feministischen Band, die sich 1994 in Olympia, Washington, gründete und zur Riot-Grrrl-Bewegung gezählt wird. In 36 sehr kurzweiligen Minuten spielen sich Sleater-Kinney durch elf Songs, Dream-Pop, auch New-Wave-Momente sind dabei, dann krachen die Gitarren so massig hervor, dass es nach Grunge klingt. Es geht um Gefühle des Gebrochenseins, um den Stolz und die Scham alternder (weiblicher) Körper, und die letzte Anweisung zum Weltuntergang lautet: "Be the weapon, be the love!" (in "Bad Dance"). "The Center Won't Hold" ist das Album der Woche!

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Eine Soulstimme, die einem sogar die Nutzungsbedingungen von Google vorsingen könnte, und doch wäre man noch gebannt von ihr: Snoh Aalegra. Die Schwedin mit persischen Wurzeln klingt wie das Kind von Amy Winehouse und Mary J. Blige. Lange war sie ein Geheimtipp, das änderte sich vor zwei Jahren schlagartig, als der kanadische Rapper Drake ihre Stimme in seinem Song "Do Not Disturb" sampelte. Mit "Ugh, Those Feels Again" (Artium) erscheint nun das zweite Album der 31-jährigen Sängerin, und auch wenn einige Melodien noch etwas ausgefeilter komponiert hätten sein können: Es ist ein wunderbares R&B-Album, hält genau die richtige Balance zwischen Sixties-Vintage-Sound und modernsten Beat- und Synth-Tricksereien. Gar nicht mehr aus dem Kopf gehen will die Single "Find Someone Like You". Snoh Aalegra beginnt hier mit nasalem Gebarme, dann klart ihr Gesang immer weiter auf, und ab der zweiten Hälfte steigt dann noch ein Gospelchor ein. Warm und himmlisch.

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Eigentlich hatte man es sich ja längst abgewöhnt, die Namen deutscher "Die"-Bands noch irgendwie lustig zu finden. Als Die Regierung, Die Goldenen Zitronen und Die Sterne damit anfingen, kam das noch gut, klar. Aber Die Kerzen, Die Heiterkeit, Die Mausis?! Jetzt kommen Die höchste Eisenbahn aus Berlin mit ihrem dritten Album - und man sollte versuchen, über den Bandnamen irgendwie hinwegzukommen, sonst entgeht einem mit "Ich glaub dir alles" (Tapete) ein hübsches Album voller hymnischer, verträumter, ungestümer Popsongs mit deutschen Texten. Produziert hat das Album Moses Schneider, entsprechend klar und aufgeräumt klingt alles. Vermutlich waren die Mitglieder der Band um Moritz Krämer und Francesco Wilking früher Fans von The Cure und A-ha? So klingt zumindest "Kinder der Angst". In dem Song glaubt man Zeuge eines Gesprächs auf dem 25-jährigen Abitreffen zu werden: "Und du, machst du immer noch Musik?" Die höchste Eisenbahn antworten mit: "Ich sing' solange bis ihr mich alle liebt!" Hartnäckige Ü-40-Väter glauben also weiter an ihre Popträume - und wer hätte kein Herz für sie, wo ihre Melodien doch so elegant sind?

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Ride aus Oxford, Südengland, wurden in den Neunzigerjahren zu den Helden des Shoegazing gezählt. Den Namen bekam die Musik, weil die Jungs dieser Bands mehr auf ihre Schuhe starrten als expressiv wie Rockstars zu posieren, während sie mit zarten Stimmen zu irre verzerrtem Gitarrengeschrammel sangen. Ride haben ihr Album "This Is Not A Safe Place" (Wichita) mit dem Londoner DJ und Produzenten Erol Alkan aufgenommen. Nichts gegen die Paarung DJ und Rockband, hier aber hat man den Eindruck, es sei Alkan weniger um die Inspiration seiner Klienten gegangen als darum, Material für seine eigenen Sets als DJ zu produzieren. Der Band ist denn auch wenig mehr eingefallen, als über Funktionen im Studio zu singen. Die Songs "Repetition" und "Kill Switch" haben einen forschen Tanzbeat, aber die lyrischen Einsichten zum Prinzip der Wiederholung sind so dürftig wie die zu dem Knopf, der im Mischpult dazu da ist, bestimmte Frequenzbereiche herauszufiltern. Kann jemand alle Kill-Switches auf einmal drücken, bitte?

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