Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Postpostpunkmoderne

Neues von Anna Calvi, "U.S. Girls" und "Body Count" - sowie die Antwort auf die Frage, wem der bestgelaunte bittersüße Indiediscowackler zur ewigen Weltfinanzkrise geglückt ist.

Von Jens-Christian Rabe

Beginnen muss diese Kolumne mit dem neuen Album "Heavy Light" der U.S. Girls, die eigentlich nur aus der Musikerin, Sängerin und Produzentin Meghan Remy bestehen. Auf "Heavy Light" befindet sich nämlich der bestgelaunte bittersüße Indiediscowackler zur ewigen Finanzkrise, in die sich die Welt bugsiert hat. Er heißt "Four American Dollars", und Remy haucht darin formvollendet rauchig ein paar Zeilen für die Ewigkeit: "Shade tassels, shake your ass / We all do what we gotta do to pass / In this world where they say: ,It's not personal, it's business' / Moving numbers from account to account / Keeping secrets in an offshore fount". Lampenschirmquasten, Offshore-Konten. Diese Erste-Welt-Probleme. Werden wir dereinst noch vermissen.

Gemeinsam mit St. Vincent ist der 41-jährigen britischen Songwriterin und Gitarristin Anna Calvi ja schon sehr Erstaunliches geglückt: Sie hat es geschafft, dass der Gitarrenvirtuose im Indiepop inzwischen nur noch lächerlich wirkt, wenn er ein Mann ist. Wie das klingt, kann man sich ganz einfach auf ihrem neuen, dritten Album "Hunter" (Domino) anhören, das wieder voller minimalistischer Breitwandhymnen ist. Monumentale Kammerpopmusik mit so grandiosen Songtiteln wie "Don't Beat The Girl Out Of My Boy", die übrigens - wie Calvis Gitarrenspiel - ihre ganze Wucht eigentlich erst live auf der Bühne entfaltet.

"Carnivore" (Century Media/Sony) heißt das neue, siebte Album von Body Count, der Rapmetal-Band des mittlerweile auch schon 62-jährigen amerikanischen Gangsta-Rap-Pioniers und Bürgerrechtlers Tracy Lauren Marrow alias Ice-T, der mit dem Song "Cop Killer" berühmt wurde und inzwischen seit 22 Jahren einen Polizisten in der Fernsehserie "Law & Order" spielt. Und was soll man sagen? Ist wieder ordnungsgemäß brachial dahinmusiziert, wie überhaupt so eine verzerrte Thrashmetalgitarrensause in ihrem unironischen Minimalismus doch immer noch erstaunlich alterslos wirkt. Auch zornig gerappt wird nach den Regeln, die Ice-T einst selbst aufgestellt hat, je Zeile bitte nicht weniger als eine, besser drei Verbalinjurien, oder wie es am Anfang von "Thee Critical Beatdown" so schön heißt: "Done talkin' shit to your bitch-ass/ Fuck all this back and forth / pussy ass shit". Irritierend nur, dass das lyrische Ich im Song, in dem etwaigen Kritikern unmissverständlich übelste Versehrungen versprochen werden, plötzlich meint, dass sie an die Haustür klopft, sollte der Kritiker zur vereinbarten Tracht Prügel unerwarteterweise nicht erscheinen. Wäre es an der Stelle aber nicht logischer, die Kritikertür würde mit dem Vorschlaghammer eingeschlagen? Naja, die Altersmilde. Verschont offenbar auch die wildesten Kerle nicht. Ice-T ist wohl einfach schon zu lange Fernsehpolizist.

Apropos Alterswerk. Nachdem aus gesundheitlichen Gründen zuletzt Elton John, 72, und Madonna, 61, Auftritte absagen oder abbrechen mussten und Ozzy Osbourne, 71, sogar eine ganze Tour cancelte, hat sich der Guardian in der Konzertbranche umgehört - und reportiert blankes Entsetzen. Die alten Helden seien nach wie vor die Säulen des Geschäfts. Wenn sie aufhörten seien auch ihre mit ihnen gealterten Fans als Kunden verloren. Also, weiter hoffen, dass niemand zu gebrechlich wird, bevor er stirbt. Und vielleicht mal Anna Calvi hören oder die U.S. Girls.

Was bleibt? Natürlich der Preis für den schrägsten Werbespot der laufenden Vorwahlen in den USA. Bekommen soll ihn die ehemalige Sonic-Youth-Bassistin und Indiepop-Fürstin Kim Gordon für ihren "What's Cooking America?"-Clip für Bernie Sanders. Sie steht darin nach etwas Kirmesorgelgedudel mit Kochschürze vor einer großen weißen Porzellanschüssel, in die sie ein paar Din-A-4-Blätter fallen lässt, auf die mit einem schwarzen Filzstift "Krankenversicherung für alle" geschrieben wurde oder "Green New Deal", Sanders Wahlversprechen. Dann rührt sie ein bisschen in der Schüssel herum und - potzblitz - aus den Blättern ist ein bunter Rührteig geworden, den sie in eine Glasform füllt und in den Ofen schiebt. Herauskommt dann eine große blaue Torte mit Bernie-Logo. Oho! Alles wirkt, als habe die Produktion des Videos exakt so lange gedauert, wie man braucht, um es anzusehen: eine Minute. Angesichts der Millionenschlacht, die amerikanische Wahlkämpfe geworden sind, wirkt es wie purer Punk. Wie eine absichtliche schlampige Parodie eines Wahlwerbespots. Andererseits könnte es auch gut sein, dass Sanders' Berater ein paar Wochen an der Idee gefeilt haben, wie eine absichtliche schlampige Parodie einer Parodie eines Wahlwerbespots wohl aussehen könnte. Verdammte Postpostpunktrumpmoderne.

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SZ vom 04.03.2020
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