Popkolumne:Wir super, ihr nicht

Popkolumne: Ihr neues Album heißt wie ein sehr altes von "AC/DC": die Hip-Hop-Formation "Cypress Hill".

Ihr neues Album heißt wie ein sehr altes von "AC/DC": die Hip-Hop-Formation "Cypress Hill".

(Foto: Eitan Miskevich)

"Cypress Hill" nutzen das 90er-Revival, Peter Doherty ist drogenfrei sehr toll. Und dazu: Fast so etwas wie ein Live-Konzert mit "All Them Witches".

Von Max Fellmann

Es gibt Menschen, die probieren einmal im Leben Drogen und geraten für lange Zeit in ein Paralleluniversum. Und es gibt Menschen wie Peter Doherty: Der legte, genau andersrum, vorletzten Sommer nach 20 Jahren die erste richtige Drogenpause ein und lernte plötzlich die Welt von einer anderen Seite kennen. Mit klarem Kopf traf er auf den französischen Musiker Frédéric Lo, die beiden begannen, zusammen Lieder zu schreiben, Lo die Musik, Doherty die Texte. So entstand in einem einsamen alten Haus in Frankreich das bezaubernde Album "The Fantasy Life of Poetry & Crime" (Straps Originals).

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Doherty singt zarte Zeilen voll entrückter Melancholie, die Musik atmet den Geist der 60er-Jahre, da weht viel Chanson durch, immer wieder geht es sogar Richtung Musiktheater, Geigen, ein paar schwermütige Bläser im Hintergrund. Im verhalten orchestralen "The Ballad Of ..." würden sich auch Neil Hannon (Divine Comedy) und Rufus Wainwright wohl fühlen. Dann wieder Bänkelsänger-Pop mit akustischer Gitarre, très charmant insbesondere der Frühlingssong "Keeping Me On File". Und der entgiftete Doherty klingt zentriert und konzentriert wie selten zuvor. Was für ein schönes Album, was für eine schöne Überraschung.

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All Them Witches ist eine von diesen Bands, deren Musik eigentlich dringend live in stickigen Kellerclubs gespielt gehört, wo es zu eng ist, zu dunkel und vor allem zu laut. Das Quartett aus Nashville spielt das, was gern mal "Stoner Rock" genannt wird, eine etwas doofe Schublade, aber bitte, der Einfachheit halber, Stoner Rock also: viel Black Sabbath drin, viel E-Gitarren-Gewitter, Riffs, die in endloses Geknüppel übergehen, alles klingt ausgesprochen langhaarig, finster und toll. Eigentlich wollte die Band in den vergangenen Jahren viele Konzerte geben, die fielen alle der Pandemie zum Opfer - also gab es nur eine Studio-Session, die aber immerhin mit Live-Übertragung im Internet. Die Aufnahme ist jetzt als Album erhältlich, "Live On The Internet" (V2), und den Umständen zum Trotz schön wuchtig geraten. Wenn man diese Songs zu Hause wirklich laut aufreißt und dabei das Licht dimmt und sich eine Weile im Kreis dreht, dann ... naja, man kann sich zumindest fast schon vorstellen, wie das vielleicht irgendwann mal wieder sein wird, so ein richtig krachwalzendröhnendes Gewühl in einem zu engen, zu dunklen, zu lauten Keller.

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In einem der vielen nostalgischen Artikel zum anhaltenden 90er-Jahre-Revival war letztens zu lesen, das Jahrzehnt damals sei popkulturell im Wesentlichen geprägt gewesen von Tamagotchi, Arschgeweih, Nirvana und Techno. Kann man in etwa so unterschreiben. Es kann aber auch gut passieren, dass einem, während man versucht, den Text von "Smells Like Teen Spirit" zusammenzukriegen, im Hinterkopf ständig eine muppets-hafte Quäkstimme dazwischenskandiert, sie sei "Insane In The Brain". Der Hit von Cypress Hill - und vor allem: diese hirnbohrende Nölstimme - war damals mindestens so omnipräsent wie die unseligen Rücken-Tattoos. Und heute? Kurt Cobain lebt nicht mehr, die Techno-Größen von einst sind längst alle Kulturreferenten oder so, nur Cypress Hill gibt es immer noch, und sie machen ... ja nun, immer noch genau dasselbe. Auf dem neuen Album "Back In Black" (BMG Rights /Warner) laufen Drum-Loops, die man noch vom Debüt zu kennen meint (und das erschien 1991!), darüber quiekequaken die Kalifornier die gleichen Wir-super-ihr-nicht-Tiraden wie einst. Hip-Hop, an dem die vergangenen 20 Jahre völlig spurlos vorbeigegangen sind. Aber warum sollte man es den mittelalten Herren verdenken, dass sie die Gunst der Stunde nutzen? Wenn genau jetzt Revival, dann eben genau jetzt noch ein paar Dollar mitnehmen.

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Über den Künstlernamen Helmut kann man sich streiten. Die einen denken da automatisch an Kohl, die anderen immerhin an den hilflosen Taxifahrer in Jim Jarmuschs "Night On Earth". Davon sollte man sich aber nicht ablenken lassen Der Berliner Musiker Adrian Schull veröffentlicht jetzt als Helmut sein Album "My Interstellar Love Life" (Wordandsound), und das klingt zum Glück weniger nach CDU als nach Indie-Film: behutsame Wohnzimmer-Pop-Miniaturen, zurückhaltende Percussions, ein paar warme Synthesizer-Akkorde, der Gesang nie so laut, dass er Nachbarn stören könnte. Da klingt alter Berliner Wave-Pop an, zwischendurch ein wenig Alt-J, und wer mag, kann auch eine weitläufige Verwandtschaft zu Bon Iver raushören. Verspielt, sympathisch - und ausgesprochen gut geeignet für die ersten sonnigen Nachmittage auf dem Fensterbrett.

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