Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Nicht zu verwechseln mit Filmmusik für Pornos

Neue Musik von "Morcheeba", Paul Weller, Magic Island, Maurice Summen und der Erkenntnis: "Alles tut www."

Von Juliane Liebert

Ein außerordentlich kluger Mensch sagte über Morcheeba einst, sie machten Hipster-Fahrstuhlmusik. Der Markt dafür ist inzwischen sehr klein, weil es unter den heutigen Fahrstühlen kaum noch Hipster gibt (die sexy Paternoster wurden aus Sicherheitsgründen ja fast alle ausgemustert). Zum Glück sind auch Morcheeba selbst keine Hipster mehr. Aber sie grooven immer noch geschmackvoll zwischen Schläfrigkeit und Tagtraum herum. Anders gesagt: Sie machen auf ihrem neuen Album "Blackest Blue" (Fly Agaric/Indigo) music to watch porn to. Nicht zu verwechseln mit Filmmusik für Pornos. Letztere soll ja vor allem möglichst wenig bei der Verrichtung stören. Musik, zu der man und frau Pornos schauen kann, verleiht den Bildern dagegen, nun ja, Tiefe. Und eine gewisse Kunstinstallationshaftigkeit (ja, dieses Wort existiert aus Gründen der Sprachschönheit nicht, deshalb musste es an dieser Stelle aus Gründen der Sprachhässlichkeit erfunden werden). Allerdings wäre es gemein, Morcheeba nur das Label Porno auf die Stirn zu kleben. Auch wenn das gar nicht negativ gemeint ist. "Oh oh yeah" zum Beispiel (ja, der Titel klingt nach Klimax) schleppt sich in mit Prickelgitarre aufgespritzter Schwüle dahin, dass es eine wahre Pracht ist. Es sei aber hinzugefügt, dass "Namaste" auch ein paar Melodien von geradezu jungfräulichem Liebreiz bietet.

Die musikalische Disziplin Rhythm 'n' Nebel muss sowieso nicht primär erotisch konnotiert sein. Das beweist Magic Island. Die kanadische Berlinerin tendierte mit ihrer Musik bisher eher zum Nebel, auch Dream Pop genannt, jetzt hat sie den Rhythm entdeckt. Und zwar in Gestalt des Hip-Hop-Produzenten Phong. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist "So Wrong" (Mansions and Millions/Cargo Distribution). Das Album beherbergt Tracks, die mal eher an Eighties-Pathospop erinnern, dann wieder tief in die Trap-Bässe greifen. Dazu werden schon mal erdverbundene Textzeilen wie "Bury Me Alive" gesungen. Veredelt von Magic Islands gesanglichem Talent für dramatische Tremolotupfer, ist "So Wrong" ein hübsches Dream-R'n'B-Album geworden. Mit Herzschmerz, Neuköllner Lebensfreude und Lebendigbegrabenwerden. Kurzum: mit allem, was einem den Frühling am Rande des Lockdowns versüßen kann.

Maurice Summen schaut sich derweil "alte Fotos" an. Das hat er wohl den "jungen Menschen" voraus. Man muss sich ja an das klammern, was man hat. Katzen. Zweitmänner und Drittfrauen. Heizkissen. Oder alte Fotos eben. Aber Maurice Summen würde sich niemals mit Triumph-Pop über die besitzlose Jugend zufriedengeben. Er ist mit allen Wassern des Waschlappenwitzes gewaschen. Er macht "Paypalpop" (Staatsakt/Bertus/Zebralution), wie auch sein neues Album heißt. Denn er ist inzwischen alt (genug für alte Fotos) und braucht das Geld. Für die Credibility ist mindestens ein musikalisches Readymade nötig. Das steht gleich an zweiter Stelle des Albums und heißt "Organic". Analog getünchte Synth-Arpeggien, mit Orgelchords akzentuiert und hemmungslos mit dem Einkauf im Biosupermarkt vollgestellt. Fertig ist das Ausstellungsstück. Natürlich - beziehungsweise besser: unnatürlich - dürfen auch die Auto-Tune-Orgien nicht fehlen. Ob mit oder ohne Ironie und Wolkenkuckucksmetaebene - es bleibt leider Auto-Tune. Bedauerlicherweise hat das den deutschen Intelligenzpoppern noch niemand gesagt. Inzwischen sind die Bayreuther Festspiele mutmaßlich der letzte Ort auf dem Planeten, wo ohne Auto-Tune gesungen wird. Wie dem auch sei, "alles tut www" ist trotz digitalem Stimmgeeier ein sehr lieber Song geworden, weil der www-weh-Kalauer hier die Abkürzung zur Wahrheit ist. Es tut ja wirklich alles dreifach weh. Und seine Gastmusikerin Girlwoman singt das hübsch mit sich selbst in Plastikharmonien. Auch der kulturwissenschaftlich ambitionierte Promotext kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Summens Quatschgenie manchmal mehr Quatsch als Genie produziert. "Hey Autos" zum Beispiel lahmt trotz Hoppelbeat. Insgesamt ist "Paypalpop" aber ein hintergründig bescheuertes Vergnügen geworden.

Paul Weller hat über sein Lockdown-Album "Fat Pop (Volume 1)" (Polydor/Universal Music) gesagt, dass jeder Song als Single funktionieren würde, und er hat nicht untertrieben. "I just exist on my own, on my own", singt er in "Cosmic Fringes". Die Songs sind allerdings gesellig und so energiegeladen, dass sie sich eher wie ungeduldig von Wand zu Wand springende Bälle anfühlen, die es kaum erwarten können, das Fenster einzuschlagen, damit endlich Luft reinkommt. Es ist an der Zeit!

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