Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Ohne Whiskey und Tabletten

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Spitzentreffen der Woche aus der Welt der Popmusik, unter anderem mit neuen Singles von Taylor Swift und Miley Cyrus sowie einer Diskussion zwischen der Rapperin Cardi B und Bernie Sanders.

Von Annett Scheffel

Gleich zwei für die Popmusik unserer Dekade sehr prägende Sängerinnen veröffentlichten am vergangenen Freitag neue Singles: Taylor Swift mit "Lover" (Republic/Universal Music), das Titelstück ihres in dieser Woche erscheinenden Albums, und Miley Cyrus "Slide Away" (RCA/Sony). Beides Lovesongs, einmal über eine ernst werdende Liebe (Swift) und einmal über eine beendete (Cyrus, die gerade das Ehe-Aus mit Schauspieler Liam Hemsworth bekannt gab). Umso länger man über die beiden sehr unterschiedlichen Popstars nachdachte, um so mehr Parallelen fielen einem auf: Country-Kindheit, Anfänge in Nashville, dann der Ausbruch, zuerst die Hinwendung zum Mainstream-Pop und schließlich zur Hip-Hop-Kultur, hitzige Diskussionen über kulturelle Aneignung und Boulevard-Irrsinn um ihr Privatleben. Nun scheinen die beiden auf verschlungenen Wegen an einer ähnlichen Karriereabzweigung angekommen zu sein: Erstens ist das die Rückkehr zum Popsong, der ohne große Neuerfindung auskommt. Zweitens reflektieren beide, wie das eigentlich gehen soll mit dem Glücklichsein. Für die große Öffentlichkeitsarbeiterin Taylor Swift ist die Lösung ein Rückzug in heimelige Zweisamkeit: "Can we always be this close forever and ever?", singt sie und klingt ein bisschen wie Hope Sandoval in "Fade Into You". Und Cyrus? Die sucht ein Dasein zwischen wildem und Normalo-Leben. Ein Haus in den Hills wolle sie schon, singt sie, aber nicht mehr Whiskey und Tabletten, man sei ja keine 17 mehr.

Über die Liebe, genauer gesagt eine Online-Liebe, singt auch Shura. Zusammen mit Künstlern wie Years & Years und Christine and the Queens bildete die Britin vor drei Jahren die Spitze einer neuen queeren Popgeneration, die zugleich emanzipierte und Mainstream-fokussierte Popmusik macht. Damals sang Shura auf ihrem Debüt "Nothing Real" noch über Panikattacken. Der bereits letzte Woche erschienene Nachfolger "Forevher" (Secretly Canadian) ist dagegen um einiges lockerer. In supermelodiösen Songs zwischen zeitgenössischen Elektro-Funk-Produktionen, den 80er-Jams von Janet Jackson und dem zuckrigen Kopfstimmen-Pop der frühen Madonna erzählt Shura vom Rausch einer Liebe via Skype und Whatsapp. Besonders in "Religion (U Can Lay Your Hands on Me)" mit seinen flatternden, synthetisierten Geigen empfiehlt sich Shura als Teilnehmerin im Fortgeschrittenenkurs einer Ästhetisierung von Emotionen.

Hingewiesen sei auch auf "Ginger" (RCA/Sony), das neue Album von Brockhampton. Das texanische Rap-Kollektiv, das insgesamt 13 Mitglieder zählt (inklusive Webdesigner und Fotograf), erschafft mit chaotischer Energie und DIY-Ethos ungewöhnlich introspektive Songhybriden, die Popmelodien mit Hip-Hop-Produktionen verschmelzen. Mit ihrem letzten Album stiegen sie nach einem 12-Millionen-Dollar-Rekorddeal 2018 jedenfalls bis an die Spitze der US-Charts. Auch "Ginger" ist wieder ein furioses, wenn auch etwas luftiges Patchwork aus dutzenden Stilen, aus launischen Jazz-Grooves und billigen Synthesizern, aus Upbeat und taumelnden Posaunen.

Hauptsache weg von den alten Hip-Hop-Klischees will auch Mädness. Der in Darmstadt aufgewachsenen Rapper hat sein neues Album zwar nach einem benannt - "OG" (Mädness/Groove Attack), kurz für Original Gangster - meint das aber ironisch. Viel mehr also als um Streetlife und Männlichkeitsquatsch geht es ihm um Dinge wie Work-Life-Balance, aussortierte Freundschaften oder die Heimat als schaurige Jugenderinnerung ("Kein Ort" feat. Marteria). Und weil die Texte so herrlich weit wegführen von den gelegten Fährten, lässt es sich ganz gut über die musikalisch wenig überraschenden Produktionen hinwegsehen.

Unbedingt hingewiesen sei zum Schluss noch auf ein Spitzentreffen der besonderen Art, dass seit ein paar Tagen bei Youtube zu sehen ist: In einem Detroiter Nagelstudio diskutieren Rapperin Cardi B und Bernie Sanders über Polizeigewalt, Gesundheitssystem und Gehälter. Amüsant ist das vor allem, weil die sonst für ihren offenherzigen Slang bekannte Cardi sich im Angesicht von "The Bern" mit klugen Fragen in eine Art Rap-Nachrichtensprecherin verwandelt. Der schönste Moment ist aber ein anderer, als Sanders zurückfragt, ob sie nervös sei, vor ihren Shows, im Ausland, in Europa? Cardi winkt ab: "Ach, die lieben Amerikaner da drüben!" Sanders gibt als Spitze gegen Trump zurück: "Na ja, nicht alle Amerikaner", und die beiden lächeln verschwörerisch.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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