Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:"Oh Mama, halt mich aus"

Neue Musik von Neil Young, den "Swans" und "Ghetto Sage" - und die Antwort auf die Frage, warum die grandiosen "Düsseldorf Düsterboys" genau so heißen müssen, obwohl sie eigentlich aus Essen sind.

Von Jens-Christian Rabe

Besonders Düsseldorfer finden ja, dass ihre Stadt als deutsche Pophauptstadt notorisch übersehen ist. Aber es stimmt schon. In Düsseldorf liegt nicht nur der sagenhafte Ratinger Hof, das Epizentrum des deutschen Punk, aus der Stadt kommt auch ein auffällig großer Teil der besten Bands des deutschen Pop, DAF etwa, Fehlfarben oder die Krupps. Ach ja, und in ihren Düsseldorfer Klingklang-Studios revolutionierten Kraftwerk die Musik. Zuletzt waren die viel zu früh wieder aufgelösten Susanne Blech würdige Erben, und zum Glück gibt's jetzt die Düsseldorf Düsterboys und ihr grandioses Debüt "Nenn mich Musik" (Staatsakt). Wobei natürlich auch richtig ist, dass die Chef-Düsterboys Peter Rubel und Pedro Crescenti aus Essen stammen und noch nie in Düsseldorf gelebt haben, aber mit Essen funktioniert die Alliteration halt nicht. Außerdem geht der Anschluss schon allein mit den ersten Takten des Albums klar. Nach ein paar robust getupften trägen Pianotönen singt ein Männerchor verschleppt-elegisch: "Oh Mama, halt mich aus / halt mich aus dem Trouble raus / Denn ich habe ein Gefühl / es bringt nicht viel". Wer da nicht vor Glück auf die Knie sinkt, muss in Köln eine Büttenrede halten. Die Düsterboys machen ziemlich altmodischen, schön verschaukelten Sixties-Folkrock, nur echt mit Klarinette, Orgelrabatz, Gitarrengeschrammel und sanftem Männergesang: "Wir trinken Messwein, Baby / Messwein / Oh, nein". Manchmal klingt's sogar fast nach Simon & Garfunkel, aber dann geht der Text so: "Und willst Du mir die Beichte sagen / hol ich uns 'nen Leichenwagen / und der fährt nonstop / nach Teneriffa". Songs für die Kaffeepause im Ratinger Hof. Plüschgewitter mit Mittelfinger.

Nick Cave, gerade gefeiert für sein neues Album "Ghosteen", dürfte der einzige Popstar sein, der Fanfragen mit eleganten, weltweisen kleineren und größeren Essays beantwortet. Mit dem Rest der Welt teilt er sie von Zeit zu Zeit auf seiner Seite theredhandfiles.com. Auf die Frage von Snorri aus Reykjavik und Stella aus Portland, wo er politisch stehe und er denn "woke"sei, wie er es also mit den Social-Media-Aktivisten halte, die für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen und den Begriff als Hashtag populär gemacht haben, antwortete er gerade: "Für mein Songwriting und mein Leben im Allgemeinen ist es gut, im Zustand von Befragung, Unsicherheit und Neutralität zu leben, jenseits von Dogmen und großen Überzeugungen. Bei allen Ideologien, die sich selbst als ,die Wahrheit' oder ,der Weg' verstehen, wird mir unwohl. (. . .) Unabhängig von den rechtschaffenen Absichten vieler Woke-Anliegen, stößt mich deshalb deren Mangel an Demut und die paternalistische Gewissheit, mit der sie vorgebracht werden, ab."

Die amerikanische Experimental-Rockband Swans, 1982 gegründet, 1997 aufgelöst, 2010 wiederbelebt, hat eine neue Platte gemacht: "Leaving Meaning" (Mute). Nach der gefeierten Trilogie "The Seer" (2012), "To Be Kind" (2014) und "The Glowing Man" (2016) hatte das einzige verbliebene Gründungsmitglied, Sänger und Songwriter Michael Gira, angekündigt, neue Wege zu gehen. "Leaving Meaning" ist nun keine Neuerfindung des Sounds der Band, aber angesichts der Intensität, die man von den Swans gewöhnt ist, doch so etwas wie eine zurückgelehnte, manchmal sogar fast beschwingte Geisterbeschwörung.

Am Sonntag ist der amerikanische Autor und Biograf Nick Tosches gestorben. Sein berühmtestes Buch ist die 1982 erschienene Jerry-Lee-Lewis-Biografie "Hellfire", die viele für die beste Rock'n'Roll-Biografie halten, die je geschrieben wurde. Tosche nimmt sich darin bei biografischen Schlüsselszenen des "Killers" manche künstlerische Freiheit. Vom Guardian darauf angesprochen, antwortete er bloß: "Sein Leben war ein größerer Beitrag zu seiner Biografie, als ihn der Biograf je leisten könne."

Von allen alten Helden ist Neil Young der eine, der sich wirklich nie weichspülte. Also kratzt und knarzt und rumpelt er seine Songs bis heute nimmermüde minimalistisch um seine markant dünne Stimme herum - und bringt auch auf seiner neuen, 39. Platte "Colorado" (Warner) das Kunststück fertig, fast so gut zu sein wie zu besten Zeiten in den Siebzigern. Man höre nur "Help Me Lose My Mind"!

Es gibt eine neue Supergroup des Chicagoer Neo-Conscious-Rap: Ghetto Sage. Sie besteht aus je noch viel zu unbekannten Chance-The-Rapper-Komplizin Noname sowie ihren Freunden Smino und Saba. Ihr erster gemeinsamer Song "Häagen Dazs" ist eine irritierend entspannte Trommelfellmassage, ganz locker und nervös drängend zugleich.

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SZ vom 23.10.2019
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