Popkolumne:Murmelfolk

Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit famoser neuer Musik des Briten Nick Mulvey und des Belgiers J. Bernardt - und mit der Antwort auf die Frage, welche Art von Mitleid der Teufel noch einmal genau von Motörhead verdient.

Von Jens-Christian Rabe

Popkolumne: undefined

Mit dem Album "First Mind" gelang dem Londoner Songwriter, Sänger und Gitarristen Nick Mulvey vor drei Jahren das hinreißendste vermurmelte Stück Indiefolk aller Zeiten. Mindestens. Außerdem enthielt es mit "Fever To The Form" auch noch einen der besten Songtitel und sowieso noch eine sehr unwahrscheinlich große übrige Menge an grandiosen Songs. So war das. Man wollte "First Mind" sofort seinen besten Freunden schenken - und sie zwingen, es auch ihren besten Freunden zu schenken, und zwar sofort. Am Freitag erscheint nun der Nachfolger "Wake Up Now" (Caroline) und ist nicht ganz so eindrucksvoll geworden. Das bedeutet in diesem Fall aber immer noch, das "Wake Up Now" klingt, als sei es der zweite Teil zum Debüt, nur leider eben etwas weniger vermurmelt und eigenbrötlerisch. Mit "Imogen" oder "Mountain To Move" gibt es allerdings auch jetzt wieder Songs, die einem noch den tristesten Ausblick aus dem Zugfenster in eine private Filmvorführung verwandeln können.

Popkolumne: undefined

Auf dem neuen Motörhead-Album covert die Band Songs ihrer Lieblingskünstler - und der Gaga-Titel der Platte macht schon beim Aufschreiben größtes Vergnügen: "Under Cöver". Nur echt mit dem Ö. "Rockaway Beach" von den Ramones, "Heroes" von David Bowie, "God Save The Queen" von den Sex Pistols bekommen darauf die Motörhead-Massage, die ihnen meistens nicht wirklich etwas hinzufügt - außer natürlich die unsterbliche, geduldig mit strenger Zigaretten- und Whiskey-Diät gereifte Stimme des 2015 gestorbenen Motörhead-Sängers Lemmy Kilmister. Wie eh und je klingt sein so zäher wie verkratzter Gesang, als müsse er sich immer erst mal zwischen zwei Stahltüren hindurchzwängen. Besonders zu "Sympathy For The Devil" von den Rolling Stones passt das jedoch wirklich prächtig. Die Frage, welche Art von Mitleid der Teufel eigentlich verdient, bekommt in diesem Fall noch einmal eine völlig andere Dimension.

Das übrige unnütze Popwissen gibt's auf der Seite whosampled.com. Mit der kostenlosen Six-Degree-Funktion der Seite kann man zum Beispiel blitzschnell ermitteln, über welche Ecken, sagen wir: Taylor Swift und Bob Dylan, miteinander verbunden sind - oder dass das meistverwendete Sample der Popgeschichte ein Drumbreak im 1969 erschienenen Song "Amen, Brother" von den Winstons ist. Jeden einzelnen der derzeit 2718 Songs, in dem es vorkommt, erfährt man selbstverständlich auch.

Noch mehr als die Literaturkritik ringt die Popkritik mit dem Sinn und Unsinn ihres Tuns. Gerade zum Beispiel mal wieder in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Testcard. Anders als anderswo ist diesmal aber das Gegengift zu der meist doch etwas arg verkniffenen Nabelschau gleich miteingebaut. In Form eines Artikels des noch immer leider nur in Österreich weltberühmten Austrofred über "den meiner Meinung nach Niedergang der Kulturkritik" am Beispiel der österreichischen Musikberichterstattung. Weil nichts mehr wie früher ist. Früher war es nämlich so: "Noch vor zehn Jahren habe ich, wenn ich eine neue Single am Start gehabt habe, einfach mein Adressbüchl herausgezogen, der Reihe nach die eminentesten Wiener Musikkritiker angerufen und mir ein Treffen in ihrem Stammbeisl ausgecheckt. Dort habe ich ihnen ein, zwei Biere gezahlt, ihnen meine neue CD in die Hand gedrückt, ein bisschen über die Motivation hinter der Produktion geplaudert und ihnen meine Bewunderung für ihre kritische Arbeit ausgedrückt (. . .). Am Freitag drauf war dann schon etwas zutreffend Positives über meine neuen Hits in der Zeitung zu lesen."

Popkolumne: undefined

Jinte Deprez, der Sänger und Gitarrist der bislang eher glücklosen belgischen Indiepop-Band Balthazar hat sich unter dem Namen J. Bernardt für sein Solo-Debütalbum "Running Days" (Pias) dem schwer verschleppten Songwriter-R'n'B zugewandt und mit "My Own Game" gleich mal eben einen Song des Jahres produziert.

Und nur für's Protokoll noch: Was ist eigentlich davon zu halten, wenn der britische Guardian mal wieder schreibt, dass das Internet im Allgemeinen und die thematischen Playlists des Streaming-Dienstes Spotify im Besonderen nun aber endgültig das Album als wesentliches Popmusik-Format zerstören? Nichts. Die Zeit, in der das Album entscheidend für's Geschäft war, sind ohnehin längst vorbei. Seine Bedeutung für die Kunstform wird mindestens so lange bleiben und wachsen, wie es in den Labelarchiven Bonus-Material für Wiederveröffentlichungen der Pop-Meilensteine geben wird. Also noch mindestens 300 bis 400 Jahre.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: