Popkolumne:Metalmorphosen

Popkolumne: Ein reichhaltiges Klanggebilde lieferten die Wrekmeister Harmonies mit "You've Always Meant So Much to Me".

Ein reichhaltiges Klanggebilde lieferten die Wrekmeister Harmonies mit "You've Always Meant So Much to Me".

Einerseits war das Jahr 2014 für die Popmusik enttäuschend: kein überragendes Album, kein einmaliger Song. Aber im Metal-Genre gab es einige große Überraschungen. Und eine CD wurde zur Konsensplatte des Jahres.

Von Karl Bruckmaier

Für mich war 2014 ein seltsames Musikjahr. Ich habe keine Musik gehört, die mir über Schicksalsschläge hätte hinweghelfen können, keine Musik, die aufgeflammt wäre wie eine neue Liebe, kein Song, zu dem man so unverstellt hätte Ja sagen können, dass er "mein Song" gewesen wäre.

Zwei Binnentrends sind mir aber aufgefallen, sind als Gewinn, als Zuwachs verbucht: Zum einen junge britische Popmusiker, die jenseits von Dubstep, House, Dancefloor eine fast splitterfasernackte, asketische und doch mit Versprechungen angefüllte Variante Pop durchzusetzen scheinen: weiter unten mehr.

Zum anderen ist es die Wandlungsfähigkeit, die manche Musiker dem vielleicht konservativsten Genre des Pop abverlangen, nämlich Metal. Das hat sich 2013 schon angedeutet mit dem genresprengenden Monumental-Drones von Wrekmeister Harmonies alias JR Robinson, der es fertiggebracht hat, seiner Musik keinerlei Kompromisse abzunötigen und trotzdem den Insider-Zirkel dieser musikalischen Erlebniswelt von Gelegenheitssatanisten und Weltuntergangseuphorikern zu verlassen.

Seine nicht nur an Metal-Stilmitteln reichen, sondern auch an Ambient-Musik geschulten Kompositionen beziehen ihr Ursprungsmaterial oft aus Aufnahmen, die in den großen Museen dieser Welt im Rahmen von Installationen gewonnen wurden, vom Centre Pompidou bis zum Warhol Museum in Pittsburgh.

In einem langgezogenen Crescendo und Decrescendo stellt Wrekmeister Harmonies auch 2014 ein solches Klanggebirge vor uns aus: "You've Always Meant So Much to Me" (Thrill Jockey), eine an Berichte und Interviews zu den Manson-Morden angelehnte Arbeit, die quasi das Innerste ihres Schöpfers als Lärm nach außen kehrt, eine Seelenlandschaft.

Man kann sich JR Robinson ausliefern, sich in seinen Drone-Wüsteneien verlaufen- auf jeden Fall wird man vergessen, dass man sich auf Genre-Terrain bewegt. Ein kaum zu überschätzender Gewinn. Und wie im Umkehrverfahren verschlankt ein Projekt, das sich Holy Sons nennt, Stücke, die man aus Punk und Metal kennt, zu akustischen Zeitlupensongs: "The Fact Facer" (Thrill Jockey); auch hier wird eine Ausdrucksform neu gedacht.

Exzentrische Aggressivität

Popkolumne: Metal als Dancenummern: The Soft Pink Truth - "Why Do the Heathen Rage?"

Metal als Dancenummern: The Soft Pink Truth - "Why Do the Heathen Rage?"

Sehr spannend. Den alleinigen Höhepunkt dieser Metal-Zweckentfremdungen stellt aber Drew Daniel vor, Anglistikprofessor und Mitglied des experimentellen Duos Matmos: Als The Soft Pink Truth hat er heuer erklärte Hymnen des Metal in queere Dancenummern umgewidmet - mit dem heiligen Ernst zwar, der all den Genderbendern eigen ist, aber eben auch mit einer kaum zu vermutenden Portion an Humor: "Why Do the Heathens Rage" (Thrill Jockey). Große Kunst. Hom(o)erisches Gelächter.

Eher ein selbstbewusstes Kieksen entfährt der jungen Thaliah Barnett alias FKA twigs, deren Debüt "LP1" (Young Turks) zur Konsensplatte des Jahres 2014 geworden ist: Yes, I can. Ja, sie kann es - sie ist die Alternative für alle, die seit werweißwielangeschon auf eine interessante neue Björk-Platte warten, für alle, die einen Quantensprung à la Madonna erhofft haben, für alle, die Kate Bush auch als Wiedergängerin ablehnen, trotzdem aber dieser Art Gesang etwas abgewinnen können.

Kurz, "LP1" in seiner exzentrischen Aggressivität, seinem inszenierten Selbstbewusstsein macht es einem leicht, diese Platte erleichtert zu lieben - hier wurde alles richtig, nichts falsch gemacht. Ob dies auf Dauer reicht, unser Interesse zu wahren oder ob es FKA twigs ergehen wird wie den stilistischen Vorreitern aus der Trip-Hop-Ecke, die dann doch schnell zu Nervensägen mutierten - man wird sehen.

Popkolumne: Gefällt gefühlt fast jedem: FKA Twigs - "LP1".

Gefällt gefühlt fast jedem: FKA Twigs - "LP1".

Flankiert wird FKA twigs von ähnlich anregenden Veröffentlichungen wie etwa Inga Copelands "Because I'm Worth It" (Eigenverlag), die abstrakter, ungeschützter durch Hype und Selbstinzenierung antritt: So oder so, ein aufregendes Jahr für britischen Pop - und wann hat man das zum letzten Mal wirklich gemeint, wenn man es gesagt hat?

Und nun doch noch eine Last-Minute-Liebeserklärung: Die Mitglieder von Ensembla Polifonico Vallenato waren in den Neunzigern, als die jetzt auf dem Staubgold-Label als "Fiesta, Que Viva" erschienene Musik aufgenommen wurde, Studenten in Bogota, die mit ihrer punkrockigen Version von Son oder Merengue sowohl das lokale Bildungsbürgertum wie auch die seichte Musik in den Massenmedien attackieren und persiflieren wollten.

Nun entstand aus diesem Wunsch zu zerstören etwas ungemein Konstruktives - ein Neuanfang. Wilde, ungehemmte Musik - wo gibt es denn das noch? Und die Verfeinerung, die notgedrungen auf die frühen Tage folgte, lässt sich auch hören: Heute toben sich dieselben Menschen als Meridian Brothers oder Ondatropica aus. Auch gut, aber nicht mehr so unmittelbar mitreißend.

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