Popkolumne:Weiß und privilegiert

Neue Musik von James Blake, "The Kills", "Audio88 & Yassin", Thom Yorke und Loredana - sowie ein paar Gedanken zum Schrecken der Sinnlosigkeit im Gangsta-Rap.

Von Jens-Christian Rabe

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(Foto: Republic/Universal)

2011 war der britische Pianist, Sänger und Produzent James Blake die Avantgarde-Pop-Sensation schlechthin. Auf seinem unbetitelten Debüt verwob er in Songs wie dem Feist-Meisterwerk "Limit To Your Love" dumpf-pochende Stop-and-Go-Dubstep-Beats mit Piano-Tupfern und zart-souligem Klagegesang. Wer auf der Höhe der Zeit mit der Schwermut der Verzweiflung in sich hineinhorchen wollte, hatte hier die Tonspur dafür. Echte Geniestreiche gelangen ihm danach leider nicht mehr. Zu viel geriet arg sphärisch-flächig, postpostmoderne Fahrstuhlmusik. Nett, aber auch sofort wieder vergessen. Als Songwriter ist Blake einfach nicht ganz so gut wie als sensibel-elegischer Sound-Modellierer am Klavier - und als Sänger. Dass er auf seiner neuen EP "Covers" (Republic/Universal) jetzt wieder Songs anderer Künstler interpretiert, ist deshalb ein echter Glücksfall. Seine Versionen von Frank Oceans "Godspeed" und vor allem von Billie Eilishs "When The Party's Over" sind das Beste, was er seit seinem Debüt veröffentlicht hat. Der Elton John für die Generation Klimawandel.

Die Dominanz von Hip-Hop hat in Deutschland auch zu so famos schillernden Subgenres wie dem sarkastischen linken Assi-Diskurs-Rap geführt. Florian Kerntopf und Yassin Taibi alias Audio88 & Yassin haben dem Genre mit ihrer neuen Single "WUP" - für weiß und privilegiert - jetzt ein paar Zeilen für die Ewigkeit geschenkt: "Jetzt sagt man lieber gar nichts mehr und wenn dann ist es falsch /Denn der Griff an den Hals war doch nicht so gemeint / Was kann ich denn dafür, dass die Fotze nicht peilt / Was in einem großen Hirn immer als Kompliment galt? / Jesus war ein weißer Mann und starb für mich den Heldentod / Und nicht für hundert Wilde auf 'ner Kreuzfahrt in 'nem Rettungsboot".

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(Foto: Domino)

Neben den White Stripes und den Black Keys gehörten The Kills zu den Duos, die in den Nullerjahren im Geiste von The John Spencer Blues Explosion mit minimalistischen Riffs und wuchtigen Rumpelbeats den Bluesrock vor seinen virtuosen Freunden in die Gegenwart retteten. Auf "Little Bastards" (Domino), der neuen Sammlung von rarem Material aus den Jahren 2002 und 2009, spürt man den rohen Glamour der Musik von Sängerin und Bassistin Alison Mosshart und Gitarrist Jamie Hince, der erstaunlich gut gealtert ist.

Es ist wieder Bilanzsaison im Pop: Wie im vergangenen Jahr ist beim größten Musikstreaming-Dienst Spotify die meistgestreamte Künstlerin die immer noch erst 18 Jahre alte amerikanische Sängerin Billy Eilish. Der meistgestreamte Popkünstler ist der aus Puerto Rico stammende Trap- und Reggaeton-Sänger Benito Antonio Martínez Ocasio alias Bad Bunny, der die Pop-Disziplin "Hochnäsiger Leiergesang" zu bislang ungekannter Meisterschaft gebracht hat. Auf Spotify wurden Bad-Bunny-Songs in diesem Jahr 8,3 Milliarden Mal gestreamt. Der Song, der bei Spotify weltweit (und auch in Deutschland) im vergangenen Jahr am häufigsten angehört wurde, ist allerdings mit "Blinding Lights" von The Weeknd ein flotter Syntie-Pop-Heuler aus dem Pet-Shop-Boys-für-Beginner-Baukasten. Die deutsche Spotify-Rangliste wird wie üblich von deutschen Profi-Proll-Rappern dominiert. Ganz vorn ist wie im vergangenen Jahr Capital Bra.

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(Foto: Loredana)

Die bei Spotify in Deutschland meistgestreamte Popkünstlerin ist die schweizer Rapperin und Influencerin Loridana Zefi alias Loredana, die, wie ihre ebenfalls irrsinnig erfolgreiche Kollegin Shirin David, so etwas ist wie das weibliche Pendant zu Capital Bra und Co., was unbedingt als ein Fortschritt in Sachen Gleichberechtigung verbucht gehört: "Ich hab' ein großes Herz / aber nur für große Schecks". Man kann es robusten Feminismus nennen. Zumal der Machismo und Ultramaterialismus des Genres, den sie fachkundig auch auf ihrem am Freitag erscheinenden zweiten Album "Medusa" serviert, bei ihr wie ein ungleich lässigerer, politischerer Ausdruck von Selbstermächtigung wirkt als bei den Männern, deren Aggression und Angeberei unmittelbarer auf den eiskalten Schrecken verweist, den ihnen die Sinnlosigkeit und Leere ihrer Existenz einzujagen scheint.

Apropos eiskalter Schrecken der Leere und Sinnlosigkeit: Der Gangsta-Trap-Rap ist ja das Pop-Genre, das zeigt, wie es sich anhört, wenn man diesen Schrecken mit aller Macht bekämpft. An der Antwort auf die Frage, wie es klingt, wenn man ihn in Zeitlupe zu umarmen versucht, während man sich in ein Fass ohne Boden stürzt, versuchen sich dagegen die Avantgarde-Pop-Pioniere Burial, Four Tet und der Radiohead-Kopf Thom Yorke auf ihrer neuen Single "Her Revolution / His Rope".

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