Popkolumne:Rap rettet Leben

Popkolumne: Die Mutter des Hip-Hop: Sylvia Robinson, vermutlich im Jahr 1972.

Die Mutter des Hip-Hop: Sylvia Robinson, vermutlich im Jahr 1972.

(Foto: Alamy / Pictorial Press/mauritius images)

Bisschen Geschichtsunterricht heute: Hip-Hop in 111 Alben und einem Buch. Und dazu ein Song, der die Welt mutmaßlich sehr, sehr viel besser gemacht hat.

Von Jakob Biazza

Der große, wirklich ganz wunderbare Treppenwitz des Genres Hip-Hop findet sich gleich auf Seite elf. Zweiter Satz zur ersten Platte: "Das von Sylvia Robinson (der 'Mother of Hip-Hop') produzierte und 1980 bei Sugar Hill Records erschienene Album Sugar Hill Gang der gleichnamigen Gruppe hat die Hip-Hop-Musik in die internationale Popkultur katapultiert, bevor überhaupt von einer eigenständigen Hip-Hop-Bewegung die Rede sein konnte." So viel schon mal zum Männer-Genre.

Robinson war selbst Sängerin, die als eine Hälfte von Mickey & Sylvia ("Love Is Strange", 1957) und solo ("Pillow Talk", 1973) zwei Nummer-Eins-Alben veröffentlicht hat. 1979 gründete sie dann mit anderen Sugar Hill Records. Erste Veröffentlichung: "Rapper's Delight", die Hit-Single vom genannten Album - ein noch eher Disco-euphorisches Glitzerwerk, abgesehen von der Single künstlerisch noch nicht restlos bedeutend, aber eben schon mit dieser Zeile, die für den Moment ja alles sagte: "Now what you hear is not a test, I'm rappin' to the Beat". 1982 erschien auf dem Label dann "The Message" von Grandmaster Flash & The Furious Five. Die ersten Sätze der ersten Strophe: "Broken glass everywhere / People pissing on the stage, you know they just don't care / I can't take the smell, can't take the noise / Got no money to move out, I guess I got no choice."

Party-Gehopse und Berichte von stinkenden Straßen, übersäht mit zerbrochenem Glas und Perspektivlosigkeit - der Rap enthielt tatsächlich erstaunlich früh erstaunlich viel von dem, was er noch heute als seine großen Leistungen betont. Weil er darüber hinaus bis heute auch einen in Teilen sehr hartnäckigen Frauenhass ausstellt, noch mal zum Mitschreiben: Ohne die 2011 gestorbene Robinson kein "rappin' to the beat" und kein "broken glass". Ohne Frau also kein Rap.

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Es gehört zu den sehr guten Momenten in Dustin Breitenwischers jüngst erschienenem Buch "Die Geschichte des Hip-Hop - 111 Alben" (Reclam Verlag, 280 Seiten, ), wie nonchalant er den Frauenfaktor als Hintergrundinformation einbaut. Wie die Hintergrundinformationen, Querverweise und sehr kundigen soziologischen Einordnungen überhaupt den gewinnbringenderen Teil in dieser kleinen Sammlung darstellen, die eigentlich eine Art chronologischer Kanon der Hip-Hop-Alben von den Achtzigern bis heute sein will. Und auch ist. Mit den Einschränkungen, die der Autor in einer Art Kurzmethodik ("Über die Auswahl") selbst betont: Er konzentriert sich bei den 111 Alben auf die USA (Ursprungsland der Kultur), den deutschsprachigen Raum (Leserheimat) und ansonsten eher am Rand auf Großbritannien und Frankreich (danach ist unter anderem die Sprachbarriere zu hoch).

Breitenwischer reflektiert diese Einschränkungen gut mit, er ist im Hauptberuf Juniorprofessor für Amerikanistik an der Uni Hamburg - und damit als Soziologe und Historiker womöglich noch etwas stärker denn als Plattenkritiker. Vielleicht auch deshalb betont er zu "Planet Rock - The Album", dem ja wirklich genreprägenden Synthie-Rap-Frühmeisterwerk von Afrika Bambaataa & The Soulsonic Force, vor allem die Missbrauchsvorwürfe, die seit einigen Jahren gegen den Hip-Hop-Pionier erhoben werden. Und verzichtet deshalb "an dieser Stelle auf eine würdigende Besprechung" des Albums. Das kann man vermutlich machen, machte man es konsequent, würde der Kanon allerdings deutlich zusammenschnurren.

Man müsste dann schließlich - nicht ansatzweise vollständig - wohl auch auf Dr. Dre (Vorwürfe der Gewalt gegen Frauen) verzichten, auf Tupac (Vergewaltigungsvorwürfe), auf alle Alben von Def Jam Recordings (Gründer Russell Simmons zog sich zurück, nachdem bedrohlich viele Frauen ihm Vergewaltigung vorgeworfen hatten), auf DMX (grässlicher Schwulenhass in seinen Songs) oder in Deutschland auf die 187 Straßenbande (in Teilen verurteilte Straftäter). Dabei zeigt Breitenwischer doch gerade bei Letzteren, wie souverän man die bei der Hamburger Band immer weiter erodierenden Grenzen zwischen Mensch und Kunstfigur einordnen kann - und mit wie viel mehr Bewusstsein die Hörer dann selbst entscheiden können.

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Weiterhin schwieriges Themenfeld jedenfalls. Deshalb zum Abschluss noch eine nicht ganz neue, aber noch immer bezaubernde Nachricht aus dem Genre: In der Studie "Association of Logic's hip hop song '1-800-273-8255' with Lifeline calls and suicides" haben Forscher der Medizinischen Universität Wien herausgefunden, dass der Rapper Logic womöglich vielen Menschen das Leben gerettet hat. Der Songtitel (übrigens auch bei Def Jam erschienen ...) ist die Telefonnummer der Nationalen Hotline für Suizidprävention (NSPL) in den USA. Und die Untersuchungen, veröffentlicht im British Medical Journal, legen unter anderem nahe, dass die Anrufe dort nach der Veröffentlichung sowie Logics Auftritten bei den MTV Video Music Awards 2017 und den Grammys knapp sieben Prozent höher lagen als sonst. Gleichzeitig registrierten die amerikanischen Gesundheitsämter in denselben Zeiträumen bis zu 245 Suizide weniger. Gutes Ding auch sonst - bisschen viel Geigen vielleicht, aber ganz souveräner Rap-Flow.

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