Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Lateinische Reflexion

Haiyti hat ihre Platte "Sui Sui" genannt. Darüber kann man nachdenken. Aber auch über das schöne Album von Denai Moore, die ewigen Sparks und - natürlich - Paul Weller.

Von Jan Kedves

Hat die beste Rapperin des Landes das Latinum? Ronja Zschoche alias Haiyti hat ihr neues Album "Sui Sui" (Haiyti Music) genannt. Die Dopplung des lateinischen Reflexivpronomens ergibt in der Übersetzung "ihrer ihrer". Da passt es, dass die deutsche Trap-Queen - auch wenn sie in ihren neuen Songs wieder über benebelnde Drogen rappt - vor allem von sich selbst berauscht ist. Muss man auch sein, wenn man mit überdrehten, kreischigen Autotune-Effekten auf dicke Hose macht. "Asbach", "Endorphine High", "Bentley" heißen die Tracks. Die Sounds klingen so cool, dass man sich fragt, ob es noch Eis gibt. Gleich im ersten Track "WHDDZT" platziert Haiyti den Hinweis, dass "Sui" natürlich anders verstanden werden kann, nämlich als erste Silbe des Wortes Suizid - es verleiht der Musik durchaus existenzielle Tiefe. Besonders kommt sie im hervorragenden letzten Track "Audrey" zum Tragen, vermutlich eine Hommage an Audrey Hepburn: "Wieder aufgewacht wie Audrey, keine diamonds, doch ist okay. Ich war glücklich für ein moment, Check-out im billigsten hotel", singt Haiyti, die letzten Silben betont sie jeweils Englisch. Reime wie diese sind von standardisierten Bling-Klischees weit entfernt. Wenn man sich die Synthie-Sounds und die Autotune-Effekte wegdenkt, ist es sogar bluesigster Blues.

Oft hört man elektronischer Musik ja an, dass sie vom Sound her gedacht ist. Sprich, da war erst ein faszinierender neuer Klang, und dann überlegte sich der Musiker oder die Musikerin, was sich damit anstellen ließe. Den Songs der britisch-jamaikanischen Sängerin und Songwriterin Denai Moore merkt man aber an, dass sie immer vom Song aus denkt, also von der Komposition her. Auch wenn sie diese dann zu 100 Prozent in Elektronik kleidet. Das neue Album der 27-Jährigen, "Modern Dread" (Because), ist schön geworden. Zum Beispiel klingt "Motherless Child", als hätten sich der Warp-Obertrickster Richard D. James alias Aphex Twin und die R&B-Sängerin Solange zusammengetan. Oder "Offer Me": Die Gesangsschleifen laufen erst einmal rückwärts, die Instrumente sind alle etwas schief gestimmt. Denai Moore singt von der Sehnsucht nach einem bestimmten Menschen und gleichzeitig von der Notwendigkeit, sich selbst zu beschützen. Toll! Das einzige Manko: Eine wirklich herausragende Stimme hat Denai Moore leider nicht.

"On Sunset" (Polydor) heißt das neue Album von Paul Weller. Dem Cover sieht man an, dass es um Entspannung und Lebensgenuss gehen soll. Der erste Song "Mirror Ball" startet auch vielversprechend: Slow-Disco-Beats, dazu weiche Synthieflächen, die klingen, als seien sie im Meer ausgeblichen. "Old Father Tyme" hält das Tempo moderat, dreht aber den Funk auf. "Village" lässt, zu Slow-Disco-Beats, die Vergangenheit eines Jungen aus der Provinz Revue passieren. Komisch ist, dass Wellers Stimme fast auf dem gesamten Album zwei oder drei Dezibel zu leise abgemischt ist, was den Eindruck entstehen lässt, als müsse der 62-Jährige ständig ein bisschen gegen die eigene Instrumentierung ansingen. Mit dem Ergebnis, dass er dann fast ein bisschen kraftlos und abgekämpft klingt. Schade! Vielleicht war der Effekt gegenteilig intendiert, in dem Sinne, dass, wer nicht zu laut singen muss, bestimmt super-entspannt ist? Dann wäre "On Sunset" das perfekte Album für den süßen Lebensabend im Sonnenuntergang mit Rotweinwolke.

Auskotzen wollen sich hingegen noch mal die Brüder Ron (74) und Russell (71) Mael alias Sparks. Zum Beispiel finden sie Smartphones doof. "Put your fucking iPhone down and listen to me!" - leg endlich das verdammte iPhone weg und hör mir zu! Das singen sie wirklich, im neuen Song "iPhone", der sich auf dem, wenn wir richtig nachgezählt haben, inzwischen 24. Sparks-Album mit dem Titel "A Steady Drip, Drip, Drip" (BMG) findet. Die Musik klingt nach abgeschmacktestem, nur etwas elektronisch aufgepimptem Symphonic Metal. Was soll denn das bitte? Ansonsten ist das Album aber eine spaßige Sache geworden. Es erscheint in dieser Woche physisch auf CD, Picture-Disk und Kassette, weil man es sonst ja nur - klar - per Streaming-Service auf dem iPhone hören könnte. Es ist humoresk überdrehter Glam-Rock, und wer könnte den besser vertreten als die Sparks? Die Songs "Stravinsky's Only Hit" und "Onomata Pia" stechen hier heraus, sie sind super-schlau, super-operettenhaft, super-campy. Russell Mael singt immer noch so irre überkandidelt, als würde eine Maus auf dem Spinett frech herumtippseln, der er hinterherrennen müsste.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4952298
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.07.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.