Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Krächz

Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit neuer Musik von "Dinosaur Jr.", Charles Bradley, Lil Peep und Planningtorock - und der Antwort auf die Frage, ob man gleich den Sex aufgeben muss, wenn der Tod an die Tür klopft.

Von Julian Dörr

Kuschelrock hat unter Pop-Connaisseuren wohl zurecht einen eher schlechten Ruf. J Mascis, langhaariger Kopf der Band Dinosaur Jr., macht sich auf seinem neuen Soloalbum "Elastic Days" (Sub Pop) daran, diesen Begriff neu zu besetzen. Behutsam geschrubbte Akustikgitarren, eine Stimme wie ein verkaterter Sonntagmorgen: leicht angekrächzt und doch wohlig sanft. Und eben jene ausufernden Gitarrensoli, die man wie eine Hängematte an den Songenden festknüpfen will, um sich in sie hineinzukuscheln. Nun stehen ausufernde Gitarrensoli gleich im Verdacht des streberhaften Muckertums. Und heilige Dilettanten waren Dinosaur Jr. trotz rumpelrockiger Vergangenheit im Grunge-Umfeld natürlich nie. Im Gitarrenspiel von J Mascis geht es jedoch niemals um Virtuosität, sondern immer um Gefühl. Das passt viel besser zu diesen Songs, die auf herrlichste Weise Leistung verweigern. Im Titelsong "Elastic Days" werden die Tage elastisch, die Zeit dehnt sich, irgendwann dröppelt eine Gitarre herein. Entspannungsmusik, ja, aber nicht auf diese hinterhältige, auf Selbstoptimierung ausgelegte Art, sondern mit klar antikapitalistischer Haltung: "I don't peak too early/ I don't peak at all", singt Mascis auf "See You At the Movies". Ich erreiche meinen Höhepunkt nicht zu früh. Ich erreiche ihn gar nicht.

Einer, der sehr spät im Leben seinen Höhepunkt erreicht hat, ist der Soulsänger Charles Bradley, der dieser Tage seinen 70. Geburtstag gefeiert hätte. 2011 veröffentlichte Bradley im Alter von 62 Jahren sein Debütalbum, im vergangenen Jahr erlag er einem Krebsleiden. Nun erscheint posthum sein viertes und letztes Album "Black Velvet" (Dunham Records) - eine Sammlung grandios verschepperter Soul- und Funksongs. Mit heißer Stimme verwandelt Bradley Neil Youngs weltberühmten Countryschmalz "Heart Of Gold" in den Fiebertraum eines ewig Suchenden. "I Feel A Change" windet sich im Angesicht des nahen Endes durch laszive Uhs und Ahs. Nur weil der Tod an die Tür klopft, muss man ja nicht den Sex aufgeben. Bei alledem klingt Bradley so trocken und angekratzt wie nur einer klingen kann, der sich sein ganzes Leben lang an der Liebe und all den anderen Leiden gerieben hat. "I'm gonna slip away, baby", ich werde verschwinden, Baby, heute, morgen, wann auch immer. Bis dahin geht es weiter. Anders gesagt: "Black Velvet" ist ein trotziges Abschiedsalbum, aus dem das Leben schreit.

Im Herzen der Kunst von Lil Peep, dem ebenfalls im vergangenen Jahr verstorbenen amerikanischen Rapper, stand sein Laptop. Er war Vehikel und Sinnstifter zugleich. Mit ihm baute der Mann, der mit bürgerlichem Namen Gustav Åhr hieß, merkwürdig verspulte Hybridsongs, die die Gedankenschwere des Rock mit der Vitalität des Hip-Hop verschmolzen. Lil Peep lud sie auf Soundcloud und wurde zum Held des Underground. Dann starb er im Alter von 21 Jahren an einer Überdosis Drogen. Die Musik, die nun auf "Come Over When You're Sober Part 2" (Sony) veröffentlicht wird, wurde von Lil Peeps Laptop geborgen, sie ist sein Vermächtnis, bearbeitet von den langjährigen Weggefährten und Produzenten George Astasio und Smokeasac. Sie lösen ein, was bislang nur als vages Versprechen durch diese Songs waberte. "My All & Broken Smile" beginnt noch im Schlafzimmer, ein Kinderinstrument klopft ein paar Töne, dann reißt die Produktion auf, plötzlich ist überall Hall, elegisch, bombastisch. Und Lil Peep sprechsingt seinen Emo-Rap zu stolpernden Beats. Perfekte Teenage-Angst-Musik. "Can anybody hear me?", "Everybody's so fake", Gitarrennoten schwer wie Teenagertränen. Lil Peep war ein Pionier, dem Großruhm geblüht hätte. Jetzt, nach seinem Tod, ist er im Pop-Mainstream angekommen. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt.

Damit das hier kein Tanz der Toten wird, zum Abschluss noch etwas Lebensbejahendes: "Powerhouse" (DFA), das neue Album von Planningtorock, Musiker*in, Performancekünstler*in und Produzent*in, wohnhaft in Berlin. Planningtorock aka Jam Rostron ist nicht-binär, sieht sich selbst also nicht als Mann oder Frau. Vor vier Jahren brachte Rostron mit dem grandiosen "All Love's Legal" politische Parolen auf die Tanzfläche. Nach der Beerdigung des Patriarchats gibt es auf "Powerhouse" Introspektion. Alte Wunden werden besichtigt, die ein Leben in der Nonkonformität geschlagen hat. Songs wie "Transome" und "Much To Touch" sind beeindruckend groovende Selbstversicherungen. Geschichten einer persönlichen Befreiung mit, für und durch die Musik.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4199186
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.11.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.