Popkolumne:Jahresvorschau

Anfang des Jahres kursieren immer Listen, welche berühmten Musiker bald mit neuen Platten auftrumpfen könnten. Die sind aber bald vergessen - und dann erscheinen ganz andere Sachen. Hier ein paar interessante Fundstücke.

Von Jens-Christian Rabe

Die ersten Wochen jedes neuen Jahres sind im Pop die Zeit, in der alle Bestenlisten zum vergangenen Jahr gedruckt und diskutiert sind, aber weiter wenig Neues erscheint. Es gibt deshalb noch einmal große Aufregung um die Listen mit den Künstlern, die in naher Zukunft neue Alben veröffentlichen werden - oder veröffentlichen könnten. Die großen Namen reichen für dieses Jahr von Madonna, Paul McCartney und Bruce Springsteen über Kanye West, Lady Gaga, Beyoncé und Jay-Z bis Drake, Missy Elliott, Frank Ocean, Vampire Weekend und Justin Timberlake. Ach ja, aufregend.

FEU

Wenn das Popjahr dann gegen Ende Januar richtig losgeht, erinnert sich natürlich kein Mensch mehr daran, und es erscheinen erst mal ganz andere Platten. An diesem Freitag zum Beispiel schon mal das neue, vierte Studioalbum der amerikanischen Avantgarde-Indiepop-Band Tune-Yards: "I Can Feel You Creep Into My Private Life" (4AD). Es ist genretypisch verspielt bis ziemlich verspult und entsprechend ein nicht ganz unanstrengendes Vergnügen. Wenn allerdings mal wieder gar nichts vorwärtsgehen sollte, gibt's gerade keine bessere Musikmedizin als den den fabelhaft nervös-treibenden Song "Heart Attack".

FEU

Ganz so schön verweht, wie man gehofft hatte, ist die neue Platte "The House" (Domino) der amerikanischen Synthie-Pop-Band Porches leider nicht geraten. Mindestens die Single "Country" ist aber schon sehr gut, wenn man mal wieder ein Bad in Selbstmitleid nehmen will. Und dann kann man auch gleich noch fein über das Mantra des Songs sinnieren: "Break the water with your arms".

Und weil wir gerade beim Warten sind: Die Rockmusik hat derzeit ja ohne Zweifel nicht gerade einen Lauf. Meistens ist das aber bloß die notwendige Voraussetzung, um irgendwann wieder glanzvoll wiederauferstehen zu können. Es ist nur ein paar Jahre her, dass die derzeit wegweisenden Genres Hip-Hop und R'n'B für tot erklärt wurden. Man höre also das vor ein paar Wochen erschienene Debüt "Superheavy" (TCM) der deutschen Post-Punk-Band Wolf Mountains - und staune. Eine Musik, in der der Bass so schön dumpf schnalzen kann, und überhaupt alles so fein zurückgelehnt trotzig klingt, kommt immer wieder zurück.

Meistens aber dann doch ganz anders als gedacht, weil ja auch im Pop so vieles nichts mehr ist, wie es war.

Gerade sagte Charlie Steen, der 20-jährige Sänger der zornigsten britischen Rockband der Stunde, Shame, dem Guardian: "Ich denke, dass wir die Idee des Lederjacke tragenden, Frauen verbrauchenden, Drogen nehmenden Rockstars für immer aufgeben sollten. (. . .) Dieser Lebensstil konnte nur wegen des Geldes existieren, das früher im Spiel war. Bands können heute einfach nicht mehr losgehen, sich ein Kilo Koks kaufen und im Ferrari nach Las Vegas fahren. Heute gibt's ein Gramm Speed und man sitzt im Billighotel."

Das heißt: Moment! Erykah Badu ist doch immer noch so enigmatisch-weise, wie man sie in Erinnerung hatte. Auf die Frage, ob sie denn mit neuen amerikanischen Hip-Hop-Künstlern wie Lil Uzi Vert vertraut sei, die von älteren Kollegen wegen ihres oft kaum verständlichen, vermurmelten Rap-Stils angefeindet werden, antwortete sie dem amerikanischen Rolling Stone: "Wenn ich auf Konzerten von Young Thug, Lil Uzi Vert oder Ugly God bin, sehe ich eine Generation, die etwas zu sagen hat. Für viele hört es sich vielleicht bloß wie Murmeln an, ich spüre die Schwingungen."

In der regierenden Hip-Hop-Hauptstadt der USA, Atlanta, hat Hip-Hop jetzt ganz konkret politischen Einfluss. Die im Dezember neu gewählte Bürgermeisterin der Stadt, Keisha Lance Bottoms, hat in ihr 38-köpfiges Beraterteam für die Amtsübernahme neben dem UPS- und dem Delta-Airlines-Chef auch die beiden Rap-Stars Michael Render alias Killer Mike und Clifford Joseph Harris jr. alias T.I. berufen.

FEU

Der Chartweltrekord der Woche geht an die 20-jährige, kubanisch-amerikanische Pop-Sängerin Karla Camila Cabello Estrabao alias Camila Cabello. Im vergangenen Jahr wurde sie mit ihrem Hit "Havanna" berühmt, jetzt stand ihr Debütalbum "Camila" schon wenige Minuten nach seiner Veröffentlichung in 80 Ländern auf dem ersten Platz der iTunes-Charts. Bislang hielt Pop-Superstar Taylor Swift diesen Rekord. Den Rekord für die meisten iTunes-Nummer-eins-Platzierungen an ungeraden Monatstagen, an denen es zwischen 14 Uhr und 17.30 Uhr leicht bewölkt war, darf sie vorerst aber behalten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: