Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Ja, ich bin sehr, sehr schwanger, und?

Famose Musik von "Whitney", Burna Boy, "The Microphones" und "Bon Iver" - sowie die Antwort auf die Frage, von welchen kulturellen Zeitenwenden der aktuelle Pop kündet, und welches neue Video eine echte Sensation ist.

Von Jens-Christian Rabe

Whitney, die beste Neo-Seventies-Softrock-Band der Welt, veröffentlicht ihr drittes Album: "Candid". Hach. Album der Woche. Kopfstimmen-Elegien, Trompetengedudel, grandios verpatschte Beats und sehr viel "Hmmmmmm". Hmmmmmm. Sollte man sich je gefragt haben, ob es Popmusik gibt, zu der man besser irgendwo im Gras liegen und dem Asphalt einer Nebenstraße beim Flimmern zusehen kann, sei jetzt für alle Zeiten vermerkt: nein. Nur das Cover von "Take Me Home, Country Roads" ist leider schlimm.

Um keinen Sänger wurde im Pop in den vergangenen Monaten so viel Wind gemacht wie um den Nigerianer Damini Ogulu alias Burna Boy. Zu Recht. In Afrika ist er schon eine gute Weile ein Superstar, spätestens seit seinem 2019 erschienenen Album "African Giant" ist er auch im Westen auf dem besten Weg dahin. Die Chancen stehen gut, dass er der erste globale Popstar aus Afrika wird. Das neue, am Freitag erscheinende Album "Twice As Tall", von dem bislang erst die beiden Singles "Wonderful" und "Odogwu" zu hören sind, wurde vom amerikanischen Hip-Hop-Großwesir Sean "Diddy" Combs in Lagos co-produziert. Das Besondere an Burna Boy ist dabei, dass er sich musikästhetisch nicht dem westlichen R'n'B-Mainstreampop annähert, sondern unüberhörbar beim sanft rollenden, aber ruckligen Afrobeat bleibt. Afrobeat ist ja diese seltsam hypnotische Mischung aus energisch zuckenden Beats und betont elegischen Melodien, der sich den üblichen Knalleffekten und Songstrukturen des westlichen Highscore-Pop verweigert - aber eben etwa im Fall Burna Boy trotzdem alles andere als anstrengend avantgardistisch ist. Im Gegenteil. Das ist nichts anderes als fein glasierter Hochglanzpop, nur eben mit ganz anderen Prämissen. Ein Dokument der laufenden kulturellen Zeitenwende.

Die erhebendste Single der Woche kommt vom Indietronic-Folk-Tüftler Justin Vernon alias Bon Iver und heißt "AUTAC". Eine hier und da elektronisch angesengte, große kleine Hymne mit Chor und verhalltem Klimperklavier und ein paar schweren Beats und akustischen Gitarren und Geigenrabatz und einem sehr schön bobdylanhaft vernölten Gesang. Musik, mit der die Wände so weit wie die ganze Welt werden.

Pop-Superstar Katy Perry wird ihr für diese Woche angekündigtes neues Album "Smile" nun doch nicht am kommenden Freitag, sondern erst Ende August veröffentlichen. Die gleichnamige Single allerdings ist schon in der Welt samt einem Video, für das wir hiermit einen eigenen Eintrag in die Pop-Geschichte fordern! Als das Video mit der hochschwangersten Highscore-Pop-Sängerin aller Zeiten, die daraus aber tollerweise offensichtlich kein großes Ding macht. Als ob sie sagen will: "Ja, ich bin sehr, sehr schwanger - und? So sieht eine Frau dann eben aus, sie ist auch nicht mehr so beweglich und muss zwischendurch immer mal wieder im Sitzen mitschunkeln, aber wer hat eigentlich gesagt, dass man dann nicht mehr in einem Clownskostüm bestens gelaunt der Star in einem Highscore-Pop-Musikvideo sein darf? NIEMAND!" Ein Meilenstein. Ein weiteres Dokument der Zeitenwende.

Introspektive Indiefolk-Alben die aus einem einzigen, 44 Minuten und 44 Sekunden langen Song bestehen - yep, ein Grauen. Einerseits. Andererseits ist da jetzt dieses neue Album "Microphones in 2020" von The Microphones, dem eigentlich schon beerdigten Projekt des amerikanischen Sängers und Songwriters Phil Elverum, der in den vergangenen Jahren als Mount Eerie einige der großartigesten traurigen Platten der jüngeren Indiefolk-Geschichte veröffentlichte. Mit anderen Worten: Sollte einen dieser Tage hier und da etwas die Schwermut von der Seite anwehen, dann muss man sie gar nicht verscheuchen, sondern setzt sich einfach mit ihr 44 Minuten und 44 Sekunden auf die Couch und hört dieses Album. Alles andere fühlt sich danach plötzlich so leicht an.

Im deutschsprachigen Trap-Rap gibt es keinen Mangel an sehr guten Künstlernamen. Man denke nur an Hustensaft Jüngling oder Medikamenten Manfred. Crack Ignaz ist allerdings auch nicht schlecht. Auf seinem neuen Album "Sturm & Drang" rappt der Österreicher, wie üblich im Genre, über nervöse Snare-Beats und zähe Synthie-Schwaden so schleppend, als falle er gleich in Ohnmacht. Ach, diese Beruhigungsmittelexperimente. Ansonsten dürfte er der erste Mensch sein, der "Pfütze" auf "Sportschütze" reimt. Muss man auch erst mal drauf kommen.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2020
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