Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Im Gruselgraben

Diesmal mit neuer Musik von "Belle And Sebastian", "Soft Cavalry" und den "Kerzen" - sowie der Antwort auf die Frage, ob Nick Cave der Ansicht ist, dass man die Musik Morrisseys trotz dessen rechtspopulistischer Statements noch hören kann.

Von Juliane Liebert

Nick Cave ist inzwischen so was wie der Bundespräsident des Pop. Diese Woche hat er auf seiner Webseite einen Brief veröffentlicht, in dem er sich mit Morrisseys politischen Ansichten auseinandersetzt - und der Frage, ob man Morrisseys Musik trotzdem noch mögen darf.

Darf man? Cave findet ja: "Vielleicht ist es besser, Morrissey einfach seine Ansichten haben zu lassen, ihnen zu widersprechen, wann und wo immer es möglich ist, aber seine Musik weiterleben zu lassen. Wenn man bedenkt, dass wir alle widersprüchliche Individuen sind - chaotisch, fehlerhaft und anfällig für Verrücktheiten. Wir sollten Gott danken, dass es unter uns einige gibt, die Werke von einer Schönheit schaffen, die alles übertrifft, was sich die meisten von uns vorstellen können, auch wenn einige dieser Menschen regressiven und gefährlichen Glaubenssystemen zum Opfer fallen." Tatsächlich war Morrisseys Kunst im Kern immer individualistisch und idiosynkratisch. Sie lässt sich nicht auf Propagandaeffekte reduzieren. Nicht mal, wenn er - wie schon in den Achtzigerjahren - den Kampfveganer raushängen lässt. Die Kraft seiner Musik liegt in Zeilen wie wie "That joke isn't funny anymore / it's too close to home / and it's too near the bone", die er mit Engelsstimme singt. Einsamkeit und Wut strahlen grell aus dieser Schönheit, statt von ihr kaschiert zu werden. Es handelt sich also nicht um rechte Popmusik. Insofern tut man wirklich gut dran, Morrisseys Musik von seinen fragwürdigen politischen Statements zu trennen. Wenigstens die aus der Zeit mit den Smiths. Denn wem helfen ritualisierte Distanzierungen? Warum nicht gelassen gegenüber der Person bleiben und sich in der Sache gegen sie stellen?

"Oooh, get me away from here, I'm dying" sangen Belle And Sebastian in weiser Voraussicht schon 1996. Ahnten sie, dass wir um Sommer 2019 38 Grad haben würden? Oder wussten sie um die Unverwüstlichkeit von Songs, die davon handeln, dass man gerne woanders wäre, als man gerade ist? Jetzt haben sie die Single zu ihrem im September erscheinenden neuen Album, dem Filmsoundtrack zu "Days of the Bagnold Summer", veröffentlicht. "Sister Buddha" ist ein charmanter Indiepop-Song mit einem Video, das aussieht wie von Filmstudenten im ersten Semester als Pflichtaufgabe gedreht. Immerhin wird das Album auch eine neu eingespielte Fassung von "Get Me Away, I'm Dying" beinhalten.

Der Hipster-Rapper Tyler, The Creator nutzt die Sommerzeit indes, um eine eigene Eis-Sorte herauszubringen: Weiße Schokolade-Minze. Sie heißt "Snowflake", weil es den Rapper schon immer gestört habe, dass in Weiße-Schokolade-Eis immer "nutzlose Macadamianüsse" sind und Pfefferminze immer mit Milchschokolade kombiniert wird. Er hat es schon nicht leicht.

Ansonsten ist der Sommer die Zeit der Wiederveröffentlichungen, konkret diese Woche: Julian Copes "Autogeddon" (25 Jahre alt) und Sigur Rós' "Agaetis Byrjun: A Good Beginning" (20 Jahre alt). Und Rachel Goswell, bekannt von Slowdive, veröffentlicht gemeinsam mit ihrem Ehemann als Soft Cavalry ein unbetiteltes Dream-Pop-Album (Pias/Bella Union) mit unheimlichen Touch. Träumerische Hallflächen, sanfter Gesang, Gitarrenakkorde aus dem Indiepop-Baukasten. Bei "Dive" knurrt am Ende fast noch eine Rockhymne aus dem einlullenden Gesäusel des Edelpops. In "Bulletproof" kontrastiert ein kalter Maschinenbeat ein melancholisch kreiselndes E-Gitarren-Motiv, das auch aus einem älteren Cat-Power-Song stammen könnte. Im Video führen die beiden Bandmitglieder in schwarz-weiß vor schwarzem Hintergrund mit ausdrucksloser Miene Gebärdensprache vor. Musik zwischen Tagtraum, Verletzlichkeit und Gruselgraben. Dabei aber doch auch sehr eingängig. Matt leuchtende, feinstrukturierte Popminiaturen mit feinen kalten Stacheln. Wie das wohl als Eissorte hieße?

Die deutsche Band Die Kerzen veröffentlichen am Freitag ihr Debütalbum, "True Love" (Staatsakt). Retrokuschelfunk, bei dem man sich fragt: "Sind das die Pet Shop Boys auf deutsch?" Aber dann sind die Kerzen doch ironischer. Sie machen New Romantic, geben ihm aber durch übertrieben genaue Erfüllung der Form, leichte Variationen bei der Instrumentierung und schön verschrobene Texte einen neuen Dreh, so dass sich Fremdheit und Vertrautheit überlagern. Am Ende hört man trotzdem Achtziger-Synths, Achtziger-Melodien, Achtziger-Drums und Achtziger-Gesang mit all seiner fahlen Empfindsamkeit. Nur dass eine Pose, die aus der Zeit gefallen ist, immer im stillen Ozean der Ironie landet. Mal mit elegantem Kopfsprung, manchmal auch als Arschbombe. Naja, immerhin kann man derzeit wirklich jede Erfrischung brauchen.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2019
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