Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Genossin Superstar

Famose neue Musik von Thundercat, Yaeji und "Purity Ring" - sowie die Antwort auf die Frage, was nötig ist, wenn die Welt, wie man sie kennt, wirklich zu Ende geht.

Von Julian Dörr

Der Sozialismus kommt. Und er beginnt - wer hätte es gedacht - im Pop. Vergangene Woche teilte Britney Spears auf Instagram einen Text, in dem es um Solidarität und Generalstreiks ging, woraufhin das Magazin Jacobin die ehemalige Unterstützern der republikanischen Partei gleich ganz freudig als "Genossin Spears" begrüßte. Und während sich das Internet erst mal austobte (Höhepunkt: ein Mash-up aus Spears-Hits und der Hymne der Sowjetunion), begann still und heimlich die große Umverteilung. Unabhängig voneinander überwiesen Taylor Swift und Ariana Grande einigen ihrer Fans, die aufgrund der Corona-Pandemie in Finanznot geraten waren, ein paar Tausend Dollar, nachdem sie auf Twitter von deren Schicksalen gelesen hatten. Das bescheidene Update zu Projekten wie "Band Aid", aus denen ja bei aller Hilfsbereitschaft auch ein großes (Männer-)Ego strahlte. Der Systemsturz kommt aber trotzdem nicht. Dafür stecken sie alle zu tief drin in der kapitalistischen Maschine. Die Männer mit den Messias-Komplexen von damals und die stillen Samariterinnen von heute.

"It feels so cold and so alone / Just need some sort of song", singt Stephen Lee Bruner alias Thundercat. Das Intro seiner neuen Platte "It Is What It Is" (Brainfeeder) klingt aus, der altbekannte Fummelbass beginnt zu blubbern, ein Space-Chor hebt ab, klar, der Song heißt ja auch "Innerstellar Love", und Kamasi Washingtons Saxofon schraubt sich in Spiralen hinauf in den Sternenhimmel. Womit eigentlich schon alles gesagt ist über das neuste Werk des begnadeten Bassisten und Vieleskönners aus der Virtuosenbande rund um das kalifornische Label Brainfeeder. Zusammen mit Flying Lotus, Kamasi Washington und Kendrick Lamar hat Thundercat in den vergangenen Jahren mal eben zweieinhalb Genres revitalisiert. Gibt es seiner Geschichte nach der Durchbruchsplatte "Drunk" von 2017 überhaupt noch etwas hinzuzufügen? Und wenn ja, wie? Wie übertrifft man schwindelerregende Könnerschaft, eine stilsichere Hüfte für den Groove und ein aufrechtes Soul-Herz? Indem man alles wieder genau so macht, nur ein bisschen weniger. Auf "It Is What It Is" schaltet Thundercat vom sechsten in den fünften Gang, vertraut ab und zu tatsächlich seiner Stimme und ihren schmeichlerischen Pop-Melodien ein bisschen mehr als seinen immer noch beeindruckenden Bassläufen. Und entdeckt dabei den inneren Beach Boy.

Die US-Koreanerin Yaeji wurde in New York geboren, ging als Kind mit ihren Eltern nach Südkorea und kehrte als Erwachsene zurück in die USA. Und weil sie sich in der Zwischenzeit am eigenen Laptop das Produzieren beigebracht hat, gibt es heute eine der interessantesten elektronischen Musikplatten des Jahres zu hören - irgendwo zwischen feinem K-Pop und verschwitzten Hymnen aus den New Yorker House-Clubs. Die Songs von Yaejis Debüt-Mixtape "What We Drew" (XL Recordings) knarzen trocken, ohne viel Ballast federn sie über die Tanzfläche. Hier ein einfaches Kick-Pattern, da eine Snare. Musik wie aus dem Baukasten. Was aber gar nicht abwertend gemeint ist, denn: Was gibt es an einfachen Bausteinen auszusetzen, wenn man sie zu so etwas Grandiosem zusammenbauen kann? Wichtig ist allerdings auch Yaejis Stimme, ihr mal koreanisches, mal englisches Sprechflüstern, das in seinem Rhythmusgefühl beinahe Rap ist. So wie auf "Waking Up Down", in dem Yaeji zu rudimentären Beat-Strukturen runterrattert, was sie so alles drauf hat. Es ist eine Menge.

Nach mehr als fünf Jahren melden sich Purity Ring zurück. Die kanadische Band veröffentlicht dieser Tage ihr drittes Album "Womb" (4AD). Der erste Song "Rubyinsides" gibt die Richtung vor: Electro-Pop auf der Schlingerspur, ein paar Beats mit Herzrhythmusstörung und reichlich Autotune-Gesang. Purity Ring wandeln dabei auf dem leidlich schmalen Grat zwischen Melancholo-Pop und Trap und bedienen sich großzügig von beiden Seiten. Das Problem: Die Zutaten sind inzwischen ein bisschen langweilig geworden. Was vor ein paar Jahren noch nach der Zukunft des Pop klang, dröhnt heute aus jedem Handylautsprecher.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2020
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