Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Futuristische Nostalgie

Diesmal mit neuen Alben von den "Raconteurs", "Hot Chip" und "Bad Breeding" - sowie der Antwort auf die Frage, wie sich die kalte, ungerechte, spätkapitalistische Realität anhört, nachdem sie einmal durch den Noise-Häcksler geschoben wurde.

Von Julian Dörr

Vor elf Jahren erschien mit "Consolers of the Lonely" das letzte Album der Raconteurs, der Mini-Supergroup um Jack White und Brendan Benson. Nominiert war die Platte damals für den Grammy als bestes Rock-Album, gewonnen hat sie aber nur den Preis für das am besten produzierte nicht-klassische Album. Und, was soll man sagen, das bringt die Sache auch im Jahr 2019 noch ziemlich genau auf den Punkt. Denn das Comeback-Album "Help Us Stranger" (Third Man) ist nun in erster Linie ein gut gebauter musikalischer Druckluftkompressor geworden. Weshalb einem gleich zu Beginn, im Eröffnungstrack "Bored And Razed", auch erst mal ein mächtiger Bassschwall entgegendrückt, bevor sich Jack White mit einem Jack-White-Solo einklinkt, das - wie fast alle Jack-White-Soli dieses Jahrzehnts - klingt, als hätte es den grölenden Fußballstadionchor in seiner Melodieführung schon mitgedacht. Das Besondere an den Raconteurs war immer das Zusammenspiel zweier eher unterschiedlicher Songwriter. Auf der einen Seite Brendan Benson, der filigrane Power-Popper, auf der anderen Jack White, der Blues-Auswalzer. Auch die Songs auf "Help Us Stranger" lehnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Mal Akustik-Schrumm mit Honky-Tonk-Piano, mal brachialer Bombast-Rock. Gerade diese von Jack White dominierten Songs wie "Don't Bother Me" sind dabei mittlerweile zu beinahe unerträglichen, mit Effekten überladenen Griffbrettkreuzzügen verkommen. Das soll wohl innovativ wirken, ist am Ende aber doch nur die zähe und nicht enden wollende Nachtschicht auf dem Friedhof der Gitarrenmusik.

Wie kommt man eigentlich raus aus der im ewig zirkulierenden Pop eingebauten Nostalgiefalle? Guten Rat gibt dieser Tage Frank Ocean in einem biblisch-übertrieben und doch korrekt betitelten Interview mit der Überschrift "The World According to Frank Ocean" im britischen Magazin Dazed. Der Sänger, Songwriter, Produzent und amerikanische R'n'B-Avantgardist ist da nämlich genau der richtige Ansprechpartner. Hat er doch auf dem Nährboden sommernachmittagswarmer Kindheitserinnerungen (ein alter knallorangefarbener BMW zierte das Cover seines zu Recht sehr gefeierten Debüt-Mixtapes "Nostalgia Ultra") eine der zukunftsweisenden Musiken unserer Zeit herangezüchtet. In einem absurden Masseninterview mit allerlei prominenten Fragestellerinnen von John Waters bis Janet Mock verrät er nun neben seinem Lieblingsmüsli ("Cinnamon Toast Crunch") auch seinen perfekten Swimming-Pool (milde Temperatur, beängstigend tief) und beantwortet die Frage, ob er sich selbst eher als Futurist oder als Nostalgiker sehe, mit dem Gedanken, dass man jetzt vor allem Kabel und Plastik loswerden müsse. Oceans liebstes Autogeräusch ist übrigens das Brummen einer Tesla-Batterie. Ein nostalgisches Geräusch, aber eins für die Zukunft.

Nostalgische Geräusche gibt es auch auf "A Bath Full of Ecstasy" (Domino), dem neuen Album von Hot Chip. Das beginnt nämlich wie eine wundervoll herzensschwere Pet-Shop-Boys-Erinnerung. Solange bis der Four-to-the-floor-Beat alle einsam tanzenden Synthiefleckchen zu einer großen "Melody of Love" einfängt. Das siebte Studioalbum der britischen Band ist durchdrungen von einer heimelig-versöhnlichen Retro-Wärme, die aber unter keinen Umständen mit Retromanie zu verwechseln ist. Auch weil diese Songs immer genau dann schlaue Haken schlagen, wenn man gerade glaubt, sie bequem in einer Schublade verstaut zu haben. So beginnt der Titeltrack mit Autotune-Sirenengesang, bevor er sich plötzlich in einen von Schlagzeug-Besen angestrichenen Soulschwank verwandelt, nur um dann nach dem nächsten Refrain wieder eine andere Abzweigung zu nehmen und zu einem von EDM-Effekten zerhackten Justin-Bieber-Crooner zu werden. Spätestens hier kann man nicht mehr anders, als sich dieser rückhaltlos kitschigen, immer noch größere Gesten auffahrenden Liebesplatte einfach zu ergeben. Oder wie es die Frontmänner Alexis Taylor und Joe Goddard ausdrücken: "I've got the cure, the pure remedy/ Come take a bath in our ecstasy/ I will wash away all of your fears, you'll see".

Wem das nun alles zu gemütlich wird, dem sei zum Abschluss noch "Exiled" (One Little Indian Records), das neue Album der britischen Anarcho-Punk-Band Bad Breeding ans Herz gelegt. Hier gibt es weder warme Bäder noch Erinnerungen, sondern nichts als die kalte, ungerechte, spätkapitalistische Realität, einmal durch den Noise-Häcksler geschoben und in zwölf Songs kaum über der Zwei-Minuten-Marke zurück in die Welt gespuckt. Eine bitterböse Platte voller unbequemer Wahrheiten, die nicht nur für Brexit-Großbritannien gelten.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2019
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