Popkolumne:Frei flimmern

Diesmal mit neuer Musik von der Sängerin Banks, der britischen Upperclass-Band "Palace" und der R'n'B-Künstlerin Kaina - sowie der Antwort auf die Frage, welche die politische ambitionierten Sommerhits sind.

Von Jan Kedves

Die beste Popmusik entsteht manchmal genau dort, wo es den Willen gibt, in die Charts zu kommen, wo andererseits aber der Drang herauszuhören ist, sich von diesem Anspruch freizuschwimmen. In diesem Dazwischen arbeitet Banks. Die 31-jährige Sängerin aus Kalifornien, bürgerlich Jillian Rose Banks, bietet auf ihrem neuen Album "III" (Harvest) zwei Singles, die zu Hits werden könnten: "Look What You're Doing To Me" und "Gimme", letzterer ein knalliger Pop-R&B-Song, produziert von Hudson Mohawke mit diesen irre zerhackten Trance-Stakkati, wie man sie aus Justin Timberlakes R&B-Hit "My Love" kennt. Abgesehen davon ist aber beeindruckend, wie Banks die "Transformation von einer hoffnungslos naiven Romantikerin zu einer weisen Frau", die sie eigener Auskunft nach kürzlich selbst durchlaufen hat, in Songs verarbeitet, die viel Raum für Stille lassen. "Sawzall" ist ein jazziges kleines Pop-Juwel, Klavier, Akustik-Gitarre und Kitsch-Synthesizer umspielen sich raffiniert. In "Alaska" kontrastiert eine erdige Bossa-Sequenz den Refrain über einen Jimmy, der sich ohne Tschüss zu sagen aus der Glut der Affäre mit ihr verabschiedet hat - ins frostige Alaska. In "What About Love" denkt man dann, Banks habe es mit dem Autotune-Effekt übertrieben. Aber wie er sich über die gebrochensten, kehligsten Momente in ihrem Gesang legt und über Rhodes-Akkorden frei flimmert: Das ist schon sehr gut.

Hochwohlgeborener Indierock, das ist in Großbritannien kein Widerspruch. Jungs aus der Arbeiterschicht können sich im Vereinten Königreich ein Leben als Musiker nämlich ohnehin kaum noch leisten. Einsatz Leo Wyndham: Der Sänger des Londoner Indierock-Trios Palace ist Spross der Wyndham-Familie, also zwischen Lords und Ladys aufgewachsen. Mit dem neuen Album "Life After" (Fiction) hat dies nur bedingt zu tun, aber manchmal ist es ja interessant zu wissen, wer letztens beim Glastonbury-Festival auf der Bühne stand. Wydham weiß, welche Themen über Klassengrenzen hinweg verbinden. In "Younger" etwa singt er mit nahezu pathosfreier, kaum weinerlicher Stimme: Als ich jünger war, war ich ein Donnergrollen, jetzt, da ich auf die 30 zugehe, wird mir klar, dass früher alles einfacher war. Man kann sich vorstellen, wie ein Stadion voller Indierock-Fans, die sich mit 30 auch alt fühlen, selig mitgrölt. Produziert wurde "Life After" von Catherine Marks, die 2018 von der britischen Music Producer's Guild als Produzentin des Jahres ausgezeichnet wurde. Sie hat mit St. Vincent und PJ Harvey gearbeitet. Für Palace hat sie den Sound kristallklar poliert, druckvoll, aber nie brutal.

Aus Chicago kommt die 23-jährige Sängerin Kaina, die mit "Next To The Sun" (Sooper) ein wundervolles Debüt veröffentlicht. Sie mischt warmen R&B-Sound mit lateinamerikanischen Einflüssen wie etwa der Bolero-Rhythmik, die den Titelsong durchpulst. Den Song "Green" beschreibt Kaina als "moderne Interpretation eines Salsa-Lieds", man fühlt sich beim Hören wie in einem sanften Schleudergang, und dann geht die Tür auf und der hymnischste Bläser-Refrain weht hinein. Mit Songs wie diesen könnte es Kaina im Kielwasser des Latin-Pop-Booms, der durch die spanische Sängerin Rosalía ausgelöst wurde, weit bringen. Kaina sieht ihre Musik aber auch als Diskussionsbeitrag: Im Song "House" singt sie über die braunen Hände, die das Essen zubereiten, während die Hausherren ihr Haus eigentlich doch für sich haben wollen. Eine Anspielung auf die Geringverdiener-Klasse der Latina-Bediensteten in den USA, die für ihre Kochkünste geschätzt, aber als Menschen verachtet werden. Es ließe sich problemlos auf die Musik übertragen: Zu unserer Latin-Musik wollt ihr tanzen, aber als Nachbarn wollt ihr uns nicht?

In Berlin wird derweil eine Wiedervereinigung gefeiert: Hans Nieswandt und Eric D. Clark veröffentlichen ihre "The Protest Disco EP" (Footjob). Kenner der deutschen Pop-Historie erinnern sich, dass Whirlpool Productions 1997 mit ihrem verspulten Dance-Song "From Disco To Disco" wochenlang die Nummer 1 der italienischen Pop-Charts besetzten. Zu Whirlpool Productions gehörte damals auch Justus Köhncke. Der ist hier nicht dabei, weswegen es streng genommen nur eine Zwei-Drittel-Wiedervereinigung ist. Wie auch immer: In "No More Hatin' & Trashin'" geht es zum Beispiel mit Chic-Gitarre und "Good Times"-Harmonien um das erhoffte Ende der Shitstorm-Kultur, die bringt nämlich nur Negativität, und das ist für die Party schlecht. Sommer-Tanz-Hits mit politischer Ambition und süßem Augenzwinkern!

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