Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Finde niemals zu dir selbst

Popereignisse der Woche. Diesmal mit neuer Musik von Ufo361, den Nerven, A Perfect Circle, Shaggy und Sting - sowie der Antwort auf die Frage, wer soeben endgültig bewiesen hat, dass er der wichtigste Popstar der Welt ist.

Von Julian Dörr

Pop lebt von der Übertreibung. Davon, dass man sich aufbläht und aufbäumt - auch wenn die Realität dahinter oft in sich zusammenschrumpft. Außer bei Beyoncé. Deren Realität ist einfach größer als die anderer Menschen. Weshalb es auch nicht übertrieben ist, etwas als historisch zu bezeichnen, das wirklich historisch ist: Beyoncés Konzert beim Coachella-Festival in Kalifornien am Samstagabend. Ein historischer Moment, nicht nur weil sie die erste schwarze Frau ist, die bei dem renommierten Festival den Hauptauftritt übernehmen durfte, sondern auch weil er eindrucksvoll Beyoncés Bedeutung für den zeitgenössischen Pop zeigte. Halb nubische Göttin, halb Südstaaten-Girl marschierte sie über die Bühne. Hinter ihr, neben ihr, über ihr: Tänzerinnen, Trommlerinnen, und eine riesige Brassband. Beyoncé spielte ihre größten Hits, und Ehemann Jay-Z war beim Duett nicht mehr als Staffage. War er nicht mal ein Rap-Superstar? Egal. Platz da. "Who run the world? Girls." Beyoncé vereinte dann noch kurz mal Destiny's Child wieder. Und lieferte sich ein Dance-Battle mit Schwester Solange. Zwischendurch gab's noch Zitate von Nina Simone und Malcom X und eine ergreifende Performance von "Lift Every Voice And Sing", der schwarzen Nationalhymne. Die Festival-Saison hat gerade erst begonnen, und schon fragt man sich, was denn da jetzt eigentlich noch kommen soll?

Vor wenigen Tagen ist das Debütalbum von Ufo361 erschienen. Nach drei guten, aber doch etwas redundanten Mixtapes ("Ich bin 1 Berliner", "Ich bin 2 Berliner", usw.) ist der Rapper endlich aus flachen Wortspielchen rausgewachsen und hat die düsterste und schwerste Musik seiner Karriere aufgenommen. "808" (Stay High/Groove Attack) ist die Dampfwalze, die ganz langsam über den deutschen Cloud-Rap rollt. "Balenciaga" statt Supreme. Die Snare klappert, die Worte dehnen sich zwischen tiefsten Beats. Ufo361 ist ein weiterer Beweis dafür, wie gut deutscher Rap jenseits von preisgekrönten Antisemiten gerade ist.

Überhaupt: Wer über den Echo in diesen Tagen mal wieder den Glauben an die deutsche Popmusik verloren hat, dem sei unbedingt "Fake" (Glitterhouse/Indigo) empfohlen, das neue Album von Die Nerven. Auf ihrem vierten Album hat die beste Stuttgarter Band der Welt die Punk-Attitüde ein wenig (wirklich nur ein klein wenig, versprochen!) zurückgenommen und ihren Sound geöffnet. Zwischen New-Wave-Synthies wabern immer noch mit scharfer Kante gespielte Gitarren. Im Musikvideo zu "Angst", dem Song, der der Band 2014 ihren Durchbruch bescherte, verkörperten Dirk von Lowtzow und Tocotronic die Band. Heute verwandeln sich Die Nerven immer mehr in Tocotronic. Die grandiose Single "Niemals" ist so eine klassische Ablehnungsgeste, wie man sie von Dirk von Lowtzow kennt. Das Schlagzeug rumpelt voran, die offenen Gitarrenakkorde purzeln in den Song hinein, und Sänger Max Rieger singt: "Finde niemals zu dir selbst, niemals, niemals, niemals." Ein Manifest gegen die Arriviertheit. Der Rest ist mal wütend brodelnde, mal zärtlich verlorene Gitarrenmusik. Und auch schon wieder so erstaunlich gut, dass man sich fragt, was da jetzt noch kommen soll.

Pop ist eine schnelllebige Kunst, aber manchmal muss man trotzdem eine Ewigkeit warten. 37 Jahre auf Brian Wilsons "Smile" etwa, immerhin 15 Jahre auf "Chinese Democracy" von Guns n'Roses. Vor 14 Jahren ist das letzte Album von A Perfect Circle erschienen, jener Alternative-Rock-Prog-Metal-Supergroup, die sich darauf verstand, komplizierte Frickelmusik für Menschen zu spielen, die komplizierte Frickelmusik eigentlich nicht mögen. Das neue Album "Eat The Elephant" (BMG/Warner) ist nun gar nicht so kompliziert, dafür aber auch gar nicht so liebenswert. Zusammengeklatschte Genreversatzstücke in einer bitterkalten Produktion, in der immer irgendetwas klirrt, sei es das Piano, das Glockenspiel oder die Stimme von Maynard James Keenan. Lieber schnell vergessen und auf das neue Album von Keenans Hauptband Tool warten. Das ist ja auch erst seit zwölf Jahren fällig.

Zum Schluss noch eine Veröffentlichung aus der Kiste mit den Merkwürdigkeiten der besonderen Art: Sting und Shaggy haben eine gemeinsame Platte gemacht. Sie heißt "44/876" (Interscope/Universal) und klingt genauso wie die Orte, an denen Sting und Shaggy sie im Sommer aufführen werden: sanfte Bläser für den Barockgarten des Füssener Festspielhauses, Offbeat im Schloss Salem. "Der Geist von Bob Marley verfolgt mich", singt Sting. Das könnte schauerlich sein, ist aber Elder-Statesman-Reggae mit einem Pop-Herz aus Gold.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2018
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