Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Dystopie zum Hören

Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit dem Soundtrack zur dystopischen Serie "The Man In The High Castle", den Sleaford Mods - und der Antwort auf die Frage, was Billy Corgan von den Smashing Pumpkins mit seinen Instrumenten macht.

Von Max Fellmann

Die USA sind von Deutschland und Japan besetzt, der Zweite Weltkrieg ist völlig anders ausgegangen. Amerika sieht aus, wie man es kennt, aber dann hängen da immer wieder Hakenkreuze und aufgehende Sonnen: Die Amazon-Serie "The Man In The High Castle" entwickelt (nach einem Roman von Philip K. Dick) eine dystopische Version der Sechziger, eine alternative Realität. Vertraut, und doch verfremdet. Als Vorgeschmack auf die dritte Staffel ist jetzt ein passendes, besonderes Album erschienen: Für "Resistance Radio" (Sony) haben Musiker von heute Songs der Sechziger aufgenommen. Nicht einfach irgendwelche Coverversionen, auch nicht die sonst so häufigen Versuche, dem Original eine moderne, andere Interpretation entgegenzustellen. Nein, Ziel ist auch hier die alternative Realität: Die Musiker interpretieren die Stücke so, als seien das jetzt die Ersteinspielungen von damals. Ein großes Was-wäre-wenn zum Anhören. Statt Roy Orbison spielen Grandaddy eine geisterhafte Version von "Love Hurts". Kelis singt den Temptations-Klassiker "Who's Lovin You" als Up-tempo-Nummer. Fast unheimlich intensiv geraten ist "A Taste Of Honey" in der Version von The Shins. Zu Tränen rühren kann einen Becks Aufnahme des Elvis-Klassikers "Can't Help Falling In Love": Die Begleitung ist so originalgetreu wie eine Karaoke-Version, aber Beck singt das nicht als Schmachtfetzen, sondern als leises, fast schüchterne Lamento, wie ein Junge, der nicht recht weiß, wo das jetzt so hinführt mit der Liebe. Becks Aufnahme klingt, als wäre sie das vergessene Original, auf dem alle anderen Interpretationen beruhen. Ein echter Fund. Und wäre die ganze Amazon-Serie nur gedreht worden, damit dieses eine Lied entsteht: Es hätte sich gelohnt.

Die EP ist ein unentschlossenes Format, mehr Songs als auf einer Single, weniger als auf einem Album. "Kaleidoscope", die neue EP von Coldplay, ist das auch inhaltlich. Fünf Songs, darunter "All I Can Think About Is You", bereits vor einem halben Jahr als Single erschienen, dazu zwei eher unwichtige Zugaben, ein Remix und dann noch die neue Single "Miracles". Bei der verzichtet die Band wieder darauf, wie Coldplay zu klingen, und nimmt lieber ein Schaumbad aus lauwarmen Synthesizern und Drumcomputerplöppeln. Kann man unter Mal-was-anderes-Probieren verbuchen. Aber warum nicht ein richtig gutes neues Album probieren?

Erst schienen sie nur zwei schräge Typen zu sein, bisschen hässlich, ziemlich grantig. Aber nach und nach haben sich die Sleaford Mods zu einer kleinen Pop-Sensation entwickelt: ein Kerl, der mit Bierdose vor einem Laptop steht und monotone Punk-Beats laufen lässt, daneben ein anderer Kerl, der in wortgewaltigen Tiraden die Verhältnisse in den britischen Städten beschreibt, die Ratlosigkeit der Arbeiterklasse, die Härte einer Welt, in der nur Verkauf und Erfolg zählen. Eine Art Zwei-Mann-Sex-Pistols, gegenwärtig, wütend, auf den Punkt. Wer verstehen will, was die beiden so faszinierend macht, erhält jetzt eine wunderbare Gelegenheit: Die deutsche Filmemacherin Christine Franz hat die Sleaford Mods über Jahre hinweg begleitet, die Dokumentation "Bunch Of Kunst" sieht den beiden (und ihrem rührenden Manager) ganz unaufgeregt zu, im Studio, beim Konzert, bei Autofahrten durchs Hinterland, beim Trinken und beim Schimpfen. Und was für Szenen das sind! Jason Williamson, wie er nach dem umjubelten Auftritt beim Glastonbury-Festival in einem würdelosen Garderoben-Container sitzt und den Applaus noch immer nicht fassen kann. Andrew Fearn, der vor dem Auftritt seinen Laptop auf ein paar Bierkästen stellt und nicht will, dass die mit einem Tuch verhängt werden, "Wär doch zu prätentiös!" Fans, die Williamson aufgewühlt danken, weil er, wie einer von ihnen in die Kamera sagt, "die Stimme Großbritanniens" sei und ausspreche, "was hier gerade los ist". Und recht hat er, der Fan. Gut fürs deutsche Publikum: Am 28. Juli zeigt Arte den Film, hoffentlich in der untertitelten Version. Denn die übersetzt nicht nur die Dialoge, sondern auch die Songtexte. Besser als hier wird man die Sleaford Mods kaum je verstehen.

Kann es sein, dass der drastische Rückgang der CD-Verkäufe langsam auch für Musiker spürbar wird, die ihre Schäfchen längst im Trockenen haben? Immer häufiger liest man von Luxus-Verkäufen und Auktionen, Sting vermietet seit Kurzem sein Haus in der Toskana. So reich wie Sting war Billy Corgan nie, aber er hat mit den Smashing Pumpkins genug Alben verkauft. Jetzt will er plötzlich all seine Instrumente im Internet verkaufen. Der Händler Reverb.com wird ab August mehr als 100 Gitarren, Effektgeräte und Verstärker anbieten, darunter schöne Sammlerstücke ebenso wie kurioser Krempel (alles schon jetzt auf der Website zu sehen). Vielleicht kriegt Corgan ja genug Geld zusammen, um mal einen schönen Sommermonat in Stings Castello zu verbringen.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2017
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