Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Dieses wunderbare Fiepen

Neue Alben von LA Priest und Hazel English - sowie die Antwort auf die Frage, wie man eine irgendwie anstrengend verwirrte Künstlerin mit Problemen eigentlich noch mal genau nennt.

Von Quentin Lichtblau

Drei Wochen Stillstand und auch im Pop dreht mancher schon am Rad: Zum Beispiel Culcha Candela. Die Band twitterte eben, dass das Corona-Virus nicht gefährlicher sei als "über die Straße gehen", eine Ansteckung "lohne" sich für die Band schon fast, damit der "Wahnsinn" ein Ende habe. Nach der wohl heftigsten öffentlichen Reaktion, die die Band in den vergangenen 15 Jahren ausgelöst hat, ruderten sie zurück, man habe auf ironische Art auf die fatale Situation von Musikern und Künstlern hinweisen wollen, die durch die Auftrittsverbote keine Verdienstmöglichkeiten mehr hätten. Hach.

Andere Musiker veröffentlichen zum Glück lieber neue Alben, die Australo-Amerikanerin Hazel English etwa. Auf "Wake Up" (Polyvinyl Records) findet sich ihre gewohnte Melange aus Dream-Pop-Versatzstücken ("Born Like") und düster-tranigem Indie-Folk ("Milk and Honey"), was dann wie Lana Del Rey mit weniger Stimmvolumen klingt - und leider auch ein ganz bisschen zu bekömmlich auf die Spotify-Chill-Playlist kalkuliert. Zum melancholischen Geschirr-Abspülen und dabei an vergangene Sommer ohne Beschränkungen denken funktioniert es aber trotzdem gut.

Sam Eastgate alias Sam Dust hat als LA Priest hat sein neues Werk "Gene" (Domino) gewidmet, wobei es sich nicht um einen Menschen, sondern eine Drummachine handelt, die sich der Brite in jahrelanger Arbeit selbst zusammengelötet hat. Das Gerät, das auf dem Cover abgebildet ist, sieht schön aus, harmoniert sehr gut mit Eastgates reduzierten Gitarrentupfern ("Open My Eyes") - ist aber auf Dauer vielleicht doch nicht ganz so variantenreich, wie sein Schöpfer es sich wohl einst ausgemalt haben dürfte. Am wunderbarsten fiept es auf "Kissing Of The Weeds", begleitet von Eastgates Falsett, das hier klingt, als sei er der vergessene Bruder von Radiohead Thom Yorke.

Zum Ende aber ein sehr erfreuliches Comeback: Fiona Apples neue Platte, nach acht Jahren Pause. Apple hat das Prinzip Zuhausebleiben bereits lange vor den Lockdown-Maßnahmen gelebt: Seit 2012, als ihr Pitbull Janet starb, soll sie nur noch selten ihr Haus in Venice Beach, Los Angeles verlassen. Das nun dort entstandene Album heißt "Fetch The Bolt Cutters" (Epic) - auf Deutsch heißt das so viel wie "Hol den Bolzenschneider!" - und ist das Gegenteil dessen, was der martialische Titel vermuten lässt: eine radikal sensibler Einblick in Fiona Apple als Mensch, der die Suche nach einer passenden Rolle in der postmodernen Gesellschaft längst aufgegeben hat. Gewohnt überraschend erfindet Apple dazu abseitige Bilder, etwa in "Rack Of His", wo sie zunächst aufgereihte Gitarrenhälse ausführlich mit Raketen und Ponys vergleicht, nur um im Refrain dann ein überschwängliches Liebesbekenntnis folgen zu lassen: "And meanwhile I'm loving you so much / It's the only reason I gave my time to you". "Fetch The Bolt Cutters" steckt voller Poesie und improvisierter Perfektion, bereit für jeden, der Apple nicht nur als irgendwie anstrengend verwirrte Frau mit Problemen begreifen kann, einer Rolle, die ihr viel zu oft und unnötigerweise zugeschrieben wurde. Nennen wir sie doch einfach so, wie man männliche Künstler dieser Art auch bezeichnet: ein Genie.

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SZ vom 22.04.2020
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