Popkolumne:Der Abend vor dem Untergang

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Neue Musik von Sia und Diplo, Bibio, Mine und den "Chemical Brothers" - und die längst fällige Antwort auf die Frage, wie man Musik am Alltagszynismus vorbeibugsiert.

Von Julian Dörr

(Foto: N/A)

Das Problem bei den meisten Supergroups ist ja, dass sie ihren Namen nicht verdienen. Zugegeben, die beteiligten Egos sind tatsächlich oft überlebensgroß, das Ergebnis hingegen, also die Musik, lässt einen doch meist schwer unbeeindruckt zurück. Nicht so bei LSD. Die Supergroup um den britischen R'n'B-Musiker Labrinth, die australische Sängerin und Songschreiberin Sia und den Groß-Produzenten Diplo veröffentlicht dieser Tage nach einigen überaus erfolgreichen Vorab-Singles ihr Debütalbum "Labrinth, Sia & Diplo Present LSD" (Sony). Und schon in den knapp zwei Minuten des Eröffnungstracks "Welcome To The Wonderful World Of" steckt mehr als anderswo in ganzen Karrieren. Mehr von was eigentlich? Nun ja, mehr von allem. LSD klingen wie die Großküche des Pop. Kolonialherr Diplo hat Zutaten aus der ganzen Welt mitgebracht. Aus großen, eisernen Töpfen wird zusammengegossen und verrührt. Abgeschmeckt wird bei LSD nach dem Motto: Viel hilft viel. Passt da noch ein Schuss Dancehall rein? Sicher. Eine Prise ELO? Klar. Trap, Skrillex, Reggae, Rihanna, Schlummerliedmelodien und karibische Drums. Weil diese Musik in jeder Sekunde nach allem klingt, was in den vergangenen Jahren irgendwo von irgendwem produziert wurde, drängt sich am Ende die Frage auf: Was ist das jetzt eigentlich? Raubkunst? Oder einfach perfekt durchgetakteter Pop nach Algorithmen-Rezept? Vom sich selbst zusammenfaltenden Streicherteppich auf "Genius", über den ein brutaler Beat trampelt, bis zu Sias rotweinschwerer Zunge in der Weltuntergangsballade "It's Time" ist das alles trotz Übermaß makellos zubereitet. Kann man schon mal essen, soll sich danach aber bitte niemand bei den Köchen beschweren, wenn man Bauchschmerzen bekommt.

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Wer auf eine Fortsetzung von Giulia Beckers sehr witzigem Scheidensong, berühmt aus Böhmermanns Neo Magazin Royale, gewartet hat, der muss "Klebstoff" (Caroline International), das neue Album der Songschreiberin und Produzentin Mine hören. Im Zweifel reicht da aber eben auch dieser eine Song "Einfach So", das Duett von Giulia Becker und Mine. Denn: So gut dessen Text über "Mit Size Zero Fucks im Bikini unterwegs" ist, so hilflos dümpelt der Rest auf dem Niveau eines Poetry-Slam-Vorentscheids herum. "Ich werd' von Wasser high" heißt es an einer Stelle. Oder: "Mit meiner Hand kann ich Töne berühren". Mine, einst Studentin an der Mannheimerin Popakademie, lässt ihre sehr akkurat arrangierten Songs auf ihrem dritten Album zu Bombast-Pop anschwellen, mit Bläsern, Geflöhte und Musicalstreichern. Alles schreit einen an: Fühl' gefälligst was! In Mines Sound darf es keine Lücke geben, keine Leerstelle, irgendwas zupft und plingt und klöppelt immer. Hier ist Musik wirklich nur noch Klebstoff: "Alles verbindet sich/ Ich bin mehr du und du bist mehr ich". In einem kurzen Skit gleich zu Beginn des Albums stellt Mine ihrem "Zukunfts-Ich" eine Frage: "Ich will wissen, ob du noch fühlen kannst, wie krass grün dieses Gras war?" Genau diese Infantilisierung ist es, die diese gut gemeinten Hippieträumereien so unerträglich macht.

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Nach Hippieträumen sieht auch das Cover von "Ribbons" (Warp Records) aus, dem neuen Album des britischen Experimentalmusikers Stephen Wilkinson alias Bibio: das Profil eines bärtigen, langhaarigen Mannes, durch das sanft eine Blumenwiese schimmert. Hinter der scheußlichen Grafik steckt allerdings eine famose Frühlingsplatte. Die mit feinen Fingern gepickte Folksongs leiern wie alte Bandaufnahmen. Die Spür- und Hörbarkeit des Materials ist bei ihm aber keine ästhetische Spielerei, sondern ein Brückenschlag zur Samplekultur des frühen Hip-Hop. Der geschmeidige Handclap-Groove von "Before", die psychedelische Elektronik von "Pretty Ribbons And Lovely Flowers" und der Irish Folk von "Curls" verschmelzen zu einer Platte, die sich an allem Alltagszynismus vorbei ins Hirn schleicht.

(Foto: N/A)

Und noch ein kurzer Blick auf "No Geography" (Universal), das neue Album der Chemical Brothers, den britischen Big-Beat-Helden aus den Neunzigern. Schon im ersten Song "Eve Of Destruction" knattert der Bass trocken, die Synthies schrauben sich in Arpeggios und über einem japanischen Rap-Part dröhnt die Kuhglocke. Auch wenn dieser Platte ein paar klappernde Drums und aggressiv-verspulte Samples später, auf halber Strecke also, ein bisschen die Luft ausgeht, ist ihre Botschaft so simpel wie deutlich: Die Party geht weiter. Früher Cool Britannia, heute Brexit. Der Abend vor dem Untergang ist immer.

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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