Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Demo der Dämonen

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Die interessantesten Pop-Ereignisse der Woche. Diesmal mit Musik von "The National", Carly Rae Jepsen und "HGichT" - und der Frage, was von Leuten zu halten ist, deren Songs klingen wie Systemkritik mit dem Gummihammer, auf Heroin.

Von Jens-Christian Rabe

Der bittersüße Gag des zeitgenössischen Pop ist natürlich, dass die amerikanische Band, die sich The National nennt, eine lakonisch-selbstironische linke Indiepop-Band ist. Ihr am Freitag erscheinendes, achtes Studioalbum "I Am Easy To Find" (4AD) ist wieder voller hymnischer Andachten wie "Oblivions", "I Am Easy To Find" oder "Her Father In The Pool", also herzerwärmendem Indie-Schmalz mit viel zartem Gesang, verhallten Gitarren, getragenen Klavierakkordtupfern und ganz bisschen elektrischem Geklöppel. Anders gesagt: Ob ein paar Popsongs als Schlaf- oder Schmerztablette wirken, kann etwas sehr unterschiedliches sein und hängt längst nicht immer bloß von ihnen selbst ab.

Doris Day ist tot. Sie starb am Montag im Alter von 97 Jahren. Wie kann das sein? "Que Sera Sera (Whatever Will Be, Will Be)", der klügste dumme Song der Popgeschichte, hat sie doch eigentlich schon vor langer, langer Zeit unsterblich gemacht. Es dürfte deshalb kein Zufall sein, dass sie mit "Dream A Little Dream Of Me" auch auf dem famosen Album "Coming Home" (Stereo Deluxe Records) des deutschen Emo-Intellektopop-Königs Jochen Distelmeyer vertreten ist. "Coming Home" ist allerdings keine richtige neue Distelmeyer-Platte, sondern ein Sampler, auf dem er seine wichtigsten Einflüsse zusammengestellt hat. Die Breite seines Geschmacks ist einschüchternd, sie reicht von Day über S.Y.P.H., Andreas Dorau, Chris Gantry, Kris Kristofferson bis zum R'n'B-Genie Missy Elliott und Trap-Rappern wie Young Thug.

Über die Sängerin Carly Rae Jepsen wurde einmal gesagt, sie besäße die Fähigkeit, ein Teenagergefühl sowohl einem neunjährigen Kind als auch einem abgestumpften Erwachsenen verkaufen zu können. Eine präzisere Definition davon, was es heute bedeutet, das Zeug zum Superstar zu haben, gibt es nicht. Jepsens Superhit ist der 2011 veröffentlichte Song "Call Me Maybe", dessen Refrain das Branchenblatt Billboard zum Refrain des 21. Jahrhunderts kürte (und den wirklich nur ganz verbohrte Indiepop-Spießer nicht auch ein klitzekleines bisschen hinreißend finden konnten). Ein vergleichbar großer Erfolg gelang der heute 33-jährigen Kanadierin seither nicht mehr, "I Really Like You" war 2015 nicht zuletzt wegen des Videos mit Tom Hanks allerdings schon noch mindestens die vergnügteste unschuldige Feelgood-Pop-Action des 21. Jahrhunderts. Auf dem neuen Album "Dedicated" (Schoolbay/Interscope) ist wieder alles fluffiger Fluffifluff-Pop, man höre nur "No Drug Like Me" oder "Now That I Found You". Ein neuer Superhit fehlt jedoch. Und das ist in dieser Disziplin doch zu wenig, denn da zählt am Ende nur der superfluffige Superfluff-Pop.

Wenn es dann auch mal wieder genug ist aus dem Lalaland, kann man die bösen Geister des Mainstream-Pop mit dem Avantgarde-Elektro-Trash des Hamburger Performance-Kollektivs HGichT austreiben und mit deren fünftem Album "Jeder ist eine Schmetterlingin". Die Band hat ja schon so wegweisende Zeilen wie "Mein Hobby: Arschloch" erdacht und extrem leiernd, betont unrund und hamburgisch dahingelallt, zu gnadenlos geradeaus pumpendem Bass: "Oma kriegt Stromschlag von Schrittmacher." Man könnte es Systemkritik mit dem Gummihammer nennen, von Leuten, die unüberhörbar mit einer schweren Beruhigungsmittelsucht kämpfen. Schöne Sache. "Demo der Dämomen".

1991 veröffentlichte der britische Rocksänger Bobby Gillespie mit seiner Band Primal Scream das Album "Screamadelica", bis heute ein Meilenstein der Versöhnung von Rock und Dance Music. Man höre nur Songs wie "Movin' On Up" oder "Don't Fight It, Feel It". Postpostmoderner Gospel, so verspielt wie verspult und doch die Tanzfläche nie aus dem Auge verlierend. Ruhm und Ehre hatten allerdings ihren Preis. Im Interview mit dem britischen Guardian fasste Gillespie die Folgen jetzt so zusammen: "Es wurde ziemlich schnell düster. Wir begannen mit Speed, was meine Einstiegsdroge war, dann kam Ecstasy, Kokain, und sehr bald gingen wir zu Heroin über. Ende '92 mussten wir uns entscheiden, ob wir Künstler oder Drogenabhängige sein wollten. Vor elf Jahren habe ich die Drogen aufgegeben." Dass seine beiden Teenager-Söhne von seinem Rock'n'Roll-Leben erfahren, beunruhigt ihn aber überhaupt nicht, sie seien schließlich Kinder des 21. Jahrhunderts: "Wenn sie wollten, könnten sie sich innerhalb von Sekunden ein Video einer Isis-Exekution ansehen. Dagegen ist Rock'n'Roll ein Witz."

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Quelle:
SZ vom 15.05.2019
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