Popkolumne:Weltuntergänge sind nicht ausgeschlossen

Popkolumne: Darf als zertifizierte Highbrow-Künstlerin gelten: Cate Le Bon.

Darf als zertifizierte Highbrow-Künstlerin gelten: Cate Le Bon.

(Foto: H. Hawkline)

Cate Le Bon besingt "Pompeii", das "Animal Collective" schaukelt auf mikrodosiert psychedelischen Schiffchen durch die Zeit. Und "The Divine Comedy" kommen im Best-of-Status an.

Von Juliane Liebert

Wer sagt, Avantgarde ist immer anstrengend und seit der Postmoderne eh tot? Alles Quatsch. Cate Le Bon avantgardisiert flauschig mit Singvogelmelodien in einem liebreizenden elektro-akustischen Zaubergarten. Lieber betören als verstören. Die walisische Musikern hat bereits mit John Cale gearbeitet und war für den Mercury Prize nominiert, darf also als zertifizierte Highbrow-Künstlerin gelten. Aber wie gesagt, vor Hirnmartereien muss sich niemand fürchten. Was nicht bedeutet, dass es nichts zu denken gäbe.

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Immerhin heißt das neue Album "Pompeii" (Mexican Summer/Membran), Weltuntergänge sind also nicht ausgeschlossen. Der Abglanz unserer Krisen dräut in den Augen des Gegenübers: "Did you dream about Pompeii / Your eyes always give it away." In die vulkankonservierte Stadt wird dann auch jede Angst geschickt ("Every fear that I have / I send it to Pompeii"). Dazu jaulen durchaus freundliche Synthesizer. Die Drums trotten stoisch, eine Gitarre zirpt wie eine poetisch gestimmte Zikade, der Hall ist weit und weich. Und wenn es zwei Songs weiter ums Wegrennen geht ("Running Away") lauten die ersten Zeilen: "Take your gloves off / I'm not scared anymore." "Pompeii" ist angstlösender, die Außenwelt intelligent verdrehender Pop geworden. Weder Schutz- noch Samthandschuhe nötig.

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Ist die Panik erst einmal abgeschüttelt, kommt bald die Lust aufs Tanzen zurück. Wer den Zaubergarten auf den Dancefloor mitnehmen will, kann Gretas "Forever We'll Be Dancing" (W.A.S. Entertainment) in den CD-Player schieben. Ja, in einer besseren Welt sollte es ein CD-Player sein, denn die Herzfrequenz-Tracks der kopenhagenbasierten Deutschen klingen zwar alles andere als nostalgisch, aber irgendwie materiell und digital zugleich - als wollten sie ihre Hörer mit einem lieben Laser abtasten. Der etwas dämliche Anglizismus "kopenhagenbasiert" ist hier deshalb auch angemessen, denn tatsächlich meint man, eine gute Portion skandinavischer Diskomusikkompetenz in Gretas Songs zu hören. Einschläge von Kirmestechno schließt das nicht aus. Die werden aber mit Kunstgeigen geschmückt, wie sie sonst nur in Eighties-Chansons säuseln. Textlich erreicht diese charmante Stampfmusik nicht ganz das Niveau von Cat Le Bon, aber wer "das Herz wird weich, schlägt immer gleich" singt, hat natürlich recht.

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Nachdem der Takt des wilden Lebens zurück in die Extremitäten und Organe getanzt ist, steht ein Ausflug auf den bewusstseinserweiternden Bauernhof an. Dort wartet das Animal Collective mit streichelbarem Pop und schaukelt den Zeitgenossen auf mikrodosiert psychedelischen Schiffchen durch die Zeit. "Time Skiffs" (Domino Records) sirrt, klingelt und pluckert, wie es nur erfahrene Poptierchen zustande bringen. Die Gruppe um den auch als Solokünstler umtriebigen Noah Benjamin Lennox alias Panda Bear hat bereits zehn Alben vorgelegt. Fast alle wurden von Journalisten und dem nicht rezensierenden Publikum gleichermaßen gemocht. Auch "Time Skiffs" kann man nur schwer nicht mögen. Dafür sorgt allein der Reichtum an wunderlichen Geräuschen. Und wie sollte man jemandem böse sein, der zu einem Hoppelhasen-Beat verkündet: "I do believe there's a conscious in things / Don't believe in the time", und den Song anschließend mit Chören versieht, die als Kreuzung aus Gospel und Musical noch die groteskesten Textzeilen doppelt unterstreichen. Vor der Beliebigkeit retten das Tierkollektiv seine Pfötchen für den Groove, zum Beispiel im Tribute an den Experimental-Heroen Scott Walker, "Walker", das von einem saftigen Bassakzent getrieben wird. 47 und eine halbe Minute dauert diese Schulstunde in angewandter Open-Mindedness. Das reicht auch. Aber schön war's, wir bereuen nichts.

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Als Nachtisch gibt es dann noch "Charmed Life" (Pias/Divine Comedy Records), ein Best-of von The Divine Comedy. Die gibt es immerhin seit 1989, und vermutlich wird es sie noch geben, wenn auch der letzte aufrechte Musiker Spotify verlassen hat und eine neue Ära anbricht. Oft sind auf Best-of-Alben ja die Songs, die man am liebsten hat, nicht vertreten. Aber diese Auswahl ist nicht nur für alte Fans geeignet, sondern auch für alle, die sich neu in die komplexe, Scott-Walker-esque Welt der Band stürzen wollen wie in einen sofagroßen Kuchen. Trost mit einem guten Schuss Gemeinheit, Streicher, die richtige Menge Pop und Glanz und viele, viele Klangkalorien. Schade ist nur, dass das umwerfende Cover von "Party Fears Two" es nicht auf die Veröffentlichung geschafft hat, aber man kann eben doch nicht alles haben, was man sich so wünscht.

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