Süddeutsche Zeitung

Pop-Zwillinge "Jedward":Ein Unglück kommt selten allein

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Den richtigen Ton treffen sie nicht, dafür haben sie den unbedingten Willen, Showstars zu werden: Das dilettantische Pop-Duo "Jedward" spaltet Großbritannien.

C. Kortmann

Die eineiigen Zwillinge John Paul Henry Daniel Richard Grimes und Edward Peter Anthony Kevin Patrick Grimes wissen, dass diese Schlange aus Namen auf keine CD-Hülle passt. Also nennen sie sich nur John & Edward. Oder noch kürzer: Jedward. Außerdem wissen sie, und zwar seit frühesten Kindheitstagen, dass sie Popstars werden wollen, als unzertrennliches Duo - selbst als ihre Eltern jedem ein eigenes Zimmer anboten, blieben sie lieber beim Doppelbettchen.

Im Alter von 18 Jahren erfüllen sich die beiden Iren nun ihren Lebenstraum, der für andere ein musikalischer Albtraum ist. Durch die Castingshow "The X Factor" wurden sie trotz ihres Ausscheidens bekannt, in dieser Woche erscheint die Debütsingle "Under Pressure (Ice Ice Baby)", eine Mash-up-Coverversion von Queens "Under Pressure" und "Ice Ice Baby" von Vanilla Ice, der als rappender Gast vertreten ist. In Großbritannien landete der Song auf Platz 2 der Charts. Ob die "Terrible Twins" mit den supersteilen Schmalztollen aber tatsächlich das nächste große Ding oder nur die neueste Castingshowgeschmacklosigkeit sind, diese Frage spaltet die britische Öffentlichkeit.

Schließlich ist Pop die nationale Volksmusik. Von Popstars wird bei allem medialen Gedöns erwartet, dass ein gewisses musikalisches Talent vorhanden ist. TV-Entdeckungen wie Paul Potts und Susan Boyle zeichneten sich eben durch besondere Stimmen aus. Bei Jedward werden alle Defizite mit tricktechnischen Mitteln überspielt. Live haben sie Mühe, die Töne zu treffen, ihr hektisch aufgeregtes Herdplattentanzen, als stünde die Bühne unter Strom, macht die Sache nicht besser.

Das "mangelnde Talent", das ihnen "X Factor"-Juror Simon Cowell bescheinigte, kompensieren sie durch den unbedingten Willen, Showstars zu sein. In ihren Phantasieanzügen sehen sie aus wie durchgeknallte Friseurlehrlinge beim Karaoke. Popmusik, das Geschäft der Profis, ist in die Hände von Dilettanten gefallen - für die Briten ein Kulturschock, wie ihn die Grup Tekkan mit ihrer amateurhaften Soulballade "Wo bist du, mein Sonnenlicht?" 2006 in Deutschland auslöste.

Ist es schlecht oder ist es gut, weil es lustig ist? Premierminister Gordon Brown bezeichnete Jedward in diplomatischer Diktion als "not very good". Sein politischer Gegner David Cameron liebäugelte als Fan frühzeitig mit dem Kauf eines "Jed we can!"-T-Shirts. Robbie Williams schätzt ihre "ganz andere Art von Entertainment", Shakira und Lady Gaga interessieren sich für eine Zusammenarbeit. Schwer zu sagen, ob die Jedward-Twins ähnlich wie der Hefeaufstrich Marmite eine rein britische Spezialität bleiben. Ihre irische Heimat fand jedenfalls den richtigen Dreh, um von Jedwards Ruhm zu profitieren: Die Tourismusbehörde schaltete Radiospots, in denen sie sich für die "Frisuren und die PVC-Anzüge"des Duos entschuldigte.

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Quelle:
SZ vom 17.2.2010
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