Pop und Rassismus:Gestörtes Smitheinander

England sei aufgegeben worden, hat Morrissey in einem Interview verkündet - je mehr Einwanderung, desto weniger Identität. Nun wird dem Popmusiker erneut Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen.

Alexander Menden

Er sei lange ein Fan der Smiths gewesen, schrieb der indischstämmige Autor Jeevan Vasagar jüngst im Guardian, und auch deren Sänger Morrissey sei er bei dessen Soloprojekten treu geblieben. Doch damit sei jetzt Schluss: "Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich Musik nicht mehr anhören kann, die von jemandem gemacht wird, dessen Ansichten man abstoßend findet." Anlass der dramatischen Lossagung war ein Interview Morrisseys mit der Musikzeitschrift New Musical Express (NME), das auf der Insel eine Diskussion darüber losgetreten hat, ob Morrissey ein Rassist sei.

Morrissey

Morrissey im Juni 2006 bei einem Auftritt bei Rock am Ring.

(Foto: Foto: ddp)

Auf die Frage, ob sich der Musiker, der in Italien lebt, vorstellen könnte, nach England zurückzuziehen, hatte dieser laut NME geantwortet: "Obwohl ich nichts gegen Menschen aus anderen Ländern habe, verschwindet die britische Identität umso mehr, je größer die Einwanderung ist." Wenn man nach England reise, habe man "keine Ahnung, wo man ist", so Morrissey, und wenn man durch den Londoner Stadtteil Knightsbridge laufe, kriege man "jeden Akzent zu hören außer dem englischen." NME hatte das Interview unter der - ebenfalls Morrissey zitierenden - Schlagzeile "Englands Schleusen sind offen. Das Land ist aufgegeben worden" veröffentlicht.

Die Zeitschrift hat damit Vorwürfe der Fremdenfeindlichkeit wiederbelebt, die sie schon vor 15 Jahren erhoben hatte, nachdem der Sänger in einen Union Jack gehüllt vor einem Publikum aufgetreten war, in dem sich auch Skinheads befunden hatten. Morrissey verwahrt sich dagegen und kündigt eine Klage gegen NME an. "Rassismus ist unvereinbar mit dem gesunden Menschenverstand und hat meiner Ansicht nach keinen Platz in unserer Gesellschaft", wird er zitiert.

Der enttäuschte Fan Jeevan Vasagar hat sicher nicht unrecht, wenn er sagt, Morrisseys unbedachte Klage über die verschwindende britische Identität sei das "typische Gejammer des Exil-Briten". Wie viele Engländer, die sich in einem Mittelmeerstaat zur Ruhe setzen, ohne auch nur die jeweilige Landessprache zu lernen, sei auch Morrissey bei Reisen ins Heimatland schlicht enttäuscht, dass nicht alles so ist, wie es seinem selbstgezimmerten Nationalideal entspricht.

Sehnsucht nach Stolz, Sehnsucht nach Selbstgewissheit

Es ist in diesem Zusammenhang jedoch hilfreich, daran zu erinnern, dass die gleiche britische Presse, die derzeit Morrisseys vermeintlichen Rassismus diskutiert, kürzlich noch einhellig das Comeback eines Musikers feierte, der auf seinem 2004 erschienenen Album "You Are The Quarry" den Song "Irish Blood, English Heart" veröffentlichte. Darin tauchen die Zeilen auf: "Ich träume von einer Zeit, in der Englischsein keine Bürde ist, in der man zur Flagge stehen kann, ohne Scham, Rassismus oder Parteilichkeit."

Dieser Text redet nicht etwa geifernden Rechtsradikalen wie der British National Party das Wort. Vielmehr beschwört er das nostalgische Ideal eines bis zum Klischee mythisierten Englands herauf, eines Landes der Teesalons und Cricket-Nachmittage, in dem das Herz des britischen Imperiums schlug. Dass Morrissey selbst Spross einer irischen Einwandererfamilie ist, stellt dabei keinen Widerspruch dar, denn ein Grundpfeiler des imperialen Gedankens war ja dessen zivilisierende, integrative Kraft.

Die Sehnsucht nach ungebrochenem Stolz auf "die Flagge" ohne "Scham, Rassismus oder Parteilichkeit" - man denkt hier unwillkürlich an den Union Jack, nicht an das englische Sankt-Georgs-Kreuz - ist letztlich eine Sehnsucht nach der Selbstgewissheit einer "Britishness", welche gerade nicht für Rassismus, sondern für Toleranz stand.

Getarnter Werteverlust

Diese Toleranz gründete allerdings vor allem auf einem Überlegenheitsgefühl seitens der Zentralmacht England. Heute, in einem immer fragmentierter erscheinenden Großbritannien, in dem sich selbst die ältesten Kolonien, Schottland und Wales, allmählich abzuspalten drohen, scheint diese englische Selbstsicherheit unrettbar verloren. Die Engländer, von der umfassenden "Britishness" auf die bisher kaum befriedigend definierte "Englishness" zurückgeworfen, finden sich in einem Land wieder, dessen ethnische Vielfalt sie verwirrt. Die Folge ist eine entsprechend wirre Überfremdungsfurcht, sei es vor osteuropäischen Handwerkern, islamistischen Terroristen oder französischen Fußballern.

Morrissey ist nicht der einzige Exponent der ehemaligen Avantgarde, der heute gleichsam einen Resonanzraum für jene weiße Mehrheit in Middle England bietet, die sich von politischer Korrektheit zensiert und einem schleichenden, als Toleranz getarnten Werteverlust umgeben sieht: Die 66-jährige Punk-Patin Vivienne Westwood hat in diesem Jahr ein "Manifest" veröffentlicht, in dem sie einen Rundumschlag gegen zeitgenössische Kunst, gegen Computerspiele und die Konsumgesellschaft vollführt. Es könnte, knapper formuliert, durchaus als Kommentar in einem erzkonservativen Blatt wie der Daily Mail stehen.

Dass Rassismus-Vorwürfe übrigens einer weiteren erfolgreichen Pop-Karriere nicht unbedingt im Weg stehen müssen, zeigt das Beispiel Eric Claptons. Der fand schon vor mehr als dreißig Jahren sehr viel eindeutigere Worte, als sie irgendwo in Morrisseys unglücklichem NME-Interview auftauchen: Bei einem Konzert in Birmingham pries der Gitarrist 1976 den rassistischen Tory-Politiker Enoch Powell, behauptete, Großbritannien sei "überbevölkert" und drohe "eine schwarze Kolonie" zu werden.

Noch 2004 wiederholte Clapton sein Powell-Lob: Der Politiker habe 1968 "unglaublichen Mut" bewiesen, als er in seiner berüchtigten "Rivers of Blood"-Rede davor warnte, dass die einheimische Bevölkerung bald von Immigranten überrannt und beherrscht werde. Claptons Äußerungen führten 1976 unmittelbar zur Gründung der "Rock against Racism"-Bewegung. Eine ähnliche Reaktion auf Morrisseys Interview ist eher unwahrscheinlich: Seine eigene Tour läuft unter dem Banner einer Kampagne mit dem Titel "Love Music, Hate Racism".

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