Süddeutsche Zeitung

Pop und Politik:Punk ist schon lange tot

Lesezeit: 4 min

Nach dem "Wir sind mehr"-Konzert in Chemnitz flackern Popdebatten wieder auf, die mehr über ihre Autoren als über die Kultur verraten.

Von Jan Kedves

Ein Gratis-Konzert zu organisieren ist besser, als kein Gratis-Konzert zu organisieren. Mit 65 000 Menschen gegen rechts auf die Straße zu gehen ist besser, als nicht mit 65 000 Menschen gegen rechts auf die Straße zu gehen. Wenn man sich darauf einigen kann, müssen einem viele der Diskussionsbeiträge, die es in den vergangenen Tagen zu "Wir sind mehr - Aufstehen gegen rechte Hetze" am Montag in Chemnitz zu lesen gab, überflüssig erscheinen. Es ist scheinbar wie immer: Zeilen müssen geschunden und interessante Meinungen müssen kundgetan werden, am besten hübsch provokante - wie zum Beispiel gestern in der Welt, die allen Ernstes betrauerte, dass in Chemnitz am Montag der Punk gestorben sei.

Eigentlich war man sich sicher gewesen, dass Punk sowieso längst tot sei. Bei der Welt war er es anscheinend noch nicht. Weswegen dort noch einmal auf Campino von den Toten Hosen eingedroschen wurde, weil er den "Urmythos postmoderner Jugendkultur" bagatellisiere und "Gute-Laune-Polka mit Sonntagsschulmoral" singe. Man muss Campino nicht toll finden. Aber er scheint ein Mensch zu sein, der es in Zeiten wie diesen ratsam findet, als konservativ in dem Sinne aufzutreten, dass er die demokratische Grundordnung verteidigen möchte und sich Rassismus und nationalistischer Hetze entgegenstellt. Wer dies nur als Steilvorlage für die Behauptung begreift, dass dies mit den Idealen von Punk nichts mehr zu tun habe, der sollte konsequenterweise auch nicht verschweigen, dass Campino wirklich noch zu den harmloseren Gekippten des Punk gehört. Viele Alt-Punks sind wirklich zu rechten Deppen geworden. Allen voran John Lydon von den Sex Pistols. Er lobpreist in Interviews heutzutage am liebsten den Brexit und Donald Trump. Männer wie er sind der Grund, dass Punk tot ist, nicht ein Konzert gegen rechts in Chemnitz.

Die Sex Pistols provozierten einst mit ihrer Sehnsucht nach "Anarchy in the UK" und sangen Songs wie "Einmal Belsen war wirklich vortrefflich". Nur die dümmsten und popfernsten Menschen nahmen damals an, das sei genau so gemeint, wie es gesungen war, nämlich als Aufruf zu Chaos und Verharmlosung des Holocaust. Hatte man nicht gelernt, dass Pop-Lyrik eben nicht immer automatisch eine Anleitung zum Nachmachen ist? Anscheinend nicht. Denn wenn es um eine Punkband wie Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern geht, tut man heute so, als gebe es keinen Interpretations-Spielraum, keine ironische Ebene. Dass Feine Sahne Fischfilet in ihren Songs darüber singen, Steine in Polizeiwachen zu werfen, mag Polizisten und vielen anderen nicht gefallen. Es hat dazu geführt, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. Das muss sie nicht für ein Konzert gegen rechts disqualifizieren. Vor allem, wenn es genug Anzeichen dafür gibt, dass der Verfassungsschutz in diesem Land auch gerne mal auf dem rechten Auge eher blind und auf dem linken Auge dafür kurzsichtig ist.

Vielleicht zeigt sich hier aber auch nur, wie schwierig es mit dem Pop immer noch ist, auch in den Feuilletons, in denen es eigentlich nur zwei Arten gibt, mit Pop umzugehen: Entweder nimmt man ihn nicht ernst, oder dann auch gleich zu ernst. Häufig wird er nur als Bespaßung und Auflockerung betrachtet, und wenn sich der Pop dann mal selbst ernst genug nimmt, um zu sagen: Wir stehen auf gegen rechts - dann gibt's auf die Mütze.

Worauf man den Fokus legt, kann verräterisch sein. Jede Sekunde, in der man meint, skandalisieren zu müssen, dass Frank-Walter Steinmeier den Besuch des Chemnitzer Konzerts mit dieser vom Verfassungsschutz beobachteten Band empfohlen hat, ist vertane Zeit. Die hätte man sinnvoller damit verbringen können, sich den Bericht anzusehen, den die Journalistin Antonia Yamin im Juni bei dem Rechtsrock-Festival in Themar, Thüringen, gedreht hat.

Für ein Konzert, das die Vielfalt feierte, standen schon sehr viele weiße Männer auf der Bühne

Yamin durfte mit ihrem israelischen Kamerateam (aus welchen Gründen auch immer) als einzige Medienvertreterin das Gelände betreten. Dort traten Bands wie Brutal Attack oder Die Lunikoff Verschwörung auf. Die wurden teils von der Polizei von der Bühne geholt, weil sie verbotene Nazi-Lieder sagen. In dem Video (Titel: "The Jews are hiding the truth: what the neo Nazis in Germany think") sieht man doch sehr deutlich, wer die wahren Feinde der Verfassung sind. Dass der Bericht auf Youtube bislang nur 21 000 Mal angesehen wurde, während viel Tinte über Feine Sahne Fischfilet vergossen wird, ist beschämend für Deutschland.

Natürlich sollte wie immer gelten: Kritik gerne! Aber doch an der richtigen Stelle. Die FAZ tat am Montag so, als sei die politische Erweckung von Popmusikern etwas grundsätzlich Dubioses. Sie spöttelte über die in Chemnitz aufgetretenen Rapper Marteria und Casper, diese seien "bislang nicht durch politische Botschaften aufgefallen". Die Besucher des Konzerts wurden als "Gegner der rechtsradikalen Ausschreitung" bezeichnet. Statt einfach als "normale Menschen".

Nun gab es am Montag tatsächlich etwas zu kritisieren, nur verschwiegen das sowohl die Welt als auch die FAZ. Die Tatsache nämlich, dass in Chemnitz fast keine Frauen und kaum Menschen mit migrantischen Hintergründen auf der Bühne standen. Bei einem Konzert gegen Rassismus, bei dem die Vielfalt gefeiert werden sollte. #wirsindmehr? Ja, wunderbar. Aber es waren eben vor allem mehr weiße Männer, die da oben standen. Die Rapperin Nura, die ihren Hit "Ich bin schwarz" sang und sich dazu eine Regenbogenflagge umlegte, musste jedenfalls ganz schön viele Repräsentationen auf einmal schultern: Frauen, Migranten, Queere. Das könnte man beim nächsten Mal bestimmt ausgewogener programmieren. Wobei es ja noch am allerbesten wäre, wenn es gar kein nächstes Mal geben müsste.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2018
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