Pop:Torkelnde Splitter

Die neue Platte des deutschen Avantgarde-Elektro-Duos "Mouse On Mars" ist ein Konzeptalbum - und ein verblüffendes dazu: Die Musik klingt trotz des überwölbenden Themas nie schwer und theoretisch.

Von Annett Scheffel

Es gibt viele Möglichkeiten, der Welt sein neues Album vorzustellen. Die meisten Pop-Künstler spielen intime Live-Versionen fürs Radio oder Webvideos ein, geben Konzerte oder Partys - an mehr oder weniger ungewöhnlichen Orten. Es sagt deswegen viel über Mouse on Mars und ihre neue Platte "Dimensional People" (Thrill Jockey/Rough Trade), dass die Premiere in Form einer technisch höchst ambitionierten 3D-Soundinstallation stattfand und im Rahmen einer dreitägigen akademischen Konferenz am Massachusetts Institut of Technology (MIT) unter dem Titel "Dissolve Music". Eine passende Überschrift für die Art des Musikmachens, die Andi Toma und Jan St. Werner seit 25 Jahren betreiben: auflösen, andersdenken, zersplittern, neu zusammensetzen.

Toma und St. Werner sind unermüdliche Arbeiter am Begriff der elektronischen Popmusik. Sie sind die Philosophen unter den vielen deutschen Elektronikern, die sich seit den Neunzigern aus der alternativen Techno-Szene entwickelten. Die Musik des Duos aus Köln und Düsseldorf, das seit langem in Berlin arbeitet, war immer schon keinem bestimmten Genre zuzuordnen, jede Platte klang anders. War das noch IDM oder schon ein Post-Rock für das neue Jahrtausend?

Eindeutige Antworten gibt es auch auf dem elften und vielleicht besten Studioalbum keine. "Dimensional People" ist zum Bersten voll mit Ideen und komplexen Strukturen. Ein Konzeptalbum, das sich aber nicht schwer und theoretisch anfühlt wie ein Konzeptalbum, und dessen abenteuerlichen Arrangements wunderbar weit außerhalb des Dunstkreises bekannter Formen liegen. House, Techno, Ambient - all das sind ferne, blasse Muster für diese multidimensionale Musik.

Für "Dimensional People" haben sich Mouse on Mars einen alten Indierock-Gedanken zu Nutzen gemacht: Musik als kollektives Projekt zu verstehen. Rund 50 Gastmusiker sind auf den zwölf organisch ineinander übergehenden Stücken zu hören: Indie-König Justin Vernon alias Bon Iver, die Dessner-Brüder von The National, Zach Condon von Beirut, Avantgarde-Rapper wie Spank Rock oder Nordrhein-Westfalens Ensemble für zeitgenössische Musik. Aufgebaut sind die Tracks dabei wie eine Suite, in dessen Freiräumen nach und nach Menschen zum Vorschein kommen und wieder verschwinden.

Das Album beginnt dem dreiteiligen Titelstück: zum nervösen Rhythmus eines auf Holz geklopften Afro-Beats gesellen sich allmählich Streicherdunst, Hörner und schließlich in "Dimensional People Part III" die Vocoder-Stimme von Justin Vernon. In "Foul Mouth" und "Aviation" lassen Mouse on Mars dann auf eine seltsame, nie gehörte Weise hallende Raps, Harmoniegesang - wie bei den Beach Boys, nur torkelnder und abgehalfterter - und Pedal-Steel-Gitarren zusammenfließen. So richtig wundersam wird es aber erst danach: In "Parliament of Aliens Part I" trifft das Ächzen von Industrial-Noise auf fiedelnden Appalachian-Folk und verqueren Gesang, der klingt, als hätte man ihn durch einen alten Buchla-Synthesizer gejagt. Und in "Résumé" erzählt der fast vergessene Soul-Exzentriker Swamp Dogg seine Lebensgeschichte begleitet von surrenden Maschinenbeats: "In my résumé, what will I say? / About the games I had to play."

Jeder trägt zu diesem improvisierten kollektiven Wahnsinn bei, was er will - eine Erzählstimme, eine Stimmung, einen abstrakter Sound - und Andi Toma und Jan St. Werner lenken als genialische Dirigenten alles in einen kohärenten Sound-Fluss. In Zeiten, in denen Begriffe wie Copyright oder künstlerische Identitäten neu verhandelt werden, ist diese Vorgehensweise so folgerichtig wie aufregend: Der Schwarm treibt sich selbst an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: