Pop:Tanzen unterm Schicksalsbeil

Faun

Tor in fremde Welten: Die Gruppe "Faun" mit Oliver "Satyr" Pade (zweiter v. r.) und Fiona Frewert (dritte v. l.) begibt sich in die Welt der Mythen.

(Foto: Ben Wolf)

Irreführend: Die Gruppe "Faun" wühlt in nordischen Mythen

Von Michael Zirnstein

In seiner früheren Band Projekt Paul musste Oliver Pade noch Überzeugungsarbeit leisten, wenn er eine gezupfte Akustikgitarre in den deutschsprachigen Indierock einzubringen gedachte. "Mit Mittelaltermusik wären die Jungs komplett überfordert gewesen", erinnert er sich gut 20 Jahre später. Die "Jungs" waren Florian Zwietnig, der einmal mit den Elektropunks Mediengruppe Telekommander Kritiker jubeln lassen sollte, und am Schlagzeug Peter Brugger, nun mit den Sportfreunden Stiller Strahlemann der Deutsch-Pop-Welt.

Oliver Pade ging - unter dem Künstlernamen Satyr - seinen Weg. Mit kaum geringerem Erfolg. 1999 gründete er in Gräfelfing Faun und scharte für seine Vision eine Truppe aus Fachkräften um sich. Gerade Fiona Frewert mit holdem Gesang und einer Begabung für alte Instrumente sowie Niel Mitra mit Drumcomputer und Synthesizer prägten einen fortschrittlichen Sound in der rückwärtsgewandten Branche. Die Schwarze Szene feierte ihren "Pagan-Folk" als "die helle Seite des Mondes". Die Liebe schlug bei einigen allerdings in Wut um, als der Mond allzu hell erstrahlte: Faun bekamen 2013 für "Von den Elben" einen Vertrag von Universal, wurden (schlecht) beraten, von externen Liedermachern massentauglichere Stücke einzuholen, und traten im Schlagerfernsehen bei Carmen Nebel auf - ein goldener Top-Ten-Käfig.

Die Band freilich sieht das anders: "Wir sind immer unserer Intuition gefolgt." Die passt gerade jetzt in eine Zeit, in der viele sich mit Folk beruhigen und in romantisierte Mittelalterreiche wie "Game of Thrones" flüchten. "In der immer rationaleren Welt haben die Leute ein Grundbedürfnis nach etwas Zauberhaften", sagt Pade. Das neue Album ist gerade auf Platz drei in die Album-Rangliste eingestiegen. Es heißt "Midgard", wie die Welt der Menschen in der Mythologie der Germanen, und handelt viel von den alten Kulturen im Norden, vor allem den Wikingern.

Mit denen haben sich Faun schon beschäftigt, lange bevor die Fernsehserie "Vikings" auftrumpfte und die Masse den archaischen Viking-Clap der isländischen Fußball-Fans nachklatschte. Frewert bekam als Kind von ihrer Mutter die Sagen der "Edda" vorgelesen, auch klingende Namen wie das Sonnenpferd Alswinn oder die Weltesche Yggdrasil sind für sie "Traumerinnerungen von früher". Die Band lebt die Mythen: Im August 2015 feierten die Sechs das Erntedankfest Lughnasad in der Lüneburger Heide, sie tanzten, musizierten und schliefen auf Stroh: "Wir haben das zelebriert, das ist tief verwurzelt", sagt Fiona Frewert, daran denke sie, wenn sie das neue Stück "Sonnenreigen" singt: "König Sommer führt den Tanz/ dem ich folg im Blütenkranz/ und so dreht sich unser Kreis/ in der altbekannten Weis."

Das klingt geradezu harmlos, spiegelt allerdings ein blond-zopfiges Kulturbild, das auch die Nationalsozialisten missbrauchten. Und ähnlich wie Pade ein "Zeitphänomen" erkennt, "seine Ursprünge zu finden", und wie er sich für eine "ungebrochene Traditionslinie im Norden seit dem Frühmittelalter" begeistern kann, suchte schon das SS-Ahnenerbe unter Himmler nach arischen Wurzeln bei den edlen Kriegern im Norden. Wickie und die starken Männer sind immer noch ein Idealbild für Neonazis. Faun distanzieren sich explizit von der politischen Vereinnahmung ihrer Kunst. "Das ist unser kultureller Ursprung, das gehört nicht irgendwelchen Leuten, die daraus hochmütige Weltbilder ableiten", sagt Satyr, "es ist wichtig, spielerisch an das Thema heranzugehen, damit nicht immer dieses Schicksalsbeil darüberhängt. Wir selber sind ja Hippies und machen Weltmusik". Sollte sich ein rechter Unhold in ein Konzert verirren, sieht Fiona Frewert das "unter dem Aspekt der Musiktherapie: Vielleicht kann man den für etwas faszinieren, was sein Weltbild infrage stellt, wenn er unsere Lieder der Sepharden, der Juden in Spanien, hört und schön findet".

Mit dieser Einstellung kann man sich Odin, der verwundet an der Weltesche hing und die Runen empfing, unbefangen nähern: Es ist das stärkste Stück des Albums. Wardruna, die düsteren Co-Komponisten der Serie "Vikings", die mit wissenschaftlichem Eifer den authentischen Klang der uralten Musik rekonstruieren, rezitieren dazu wie Schamanen Verse aus "Havamal", der "Rede des Hohen": "Nysta ek diðr, nam ek upp runar. . . " Satyr versteht seine Band "als ein Tor, das die Menschen in diese Welt führt: Wer sich dafür interessiert, kann da weitermachen".

Faun, Di., 22. Nov., St. Matthäuskirche, 11. Mai 2017, Alte Kongresshalle, 21 83 73 00

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