Süddeutsche Zeitung

Pop:Sturm der Liebe

Lesezeit: 4 min

In Osteuropa ist Ani Lorak ein Superstar mit Helene-Fischer-Status, auch in Russland ist die ukrainische Sängerin erfolgreich. Dadurch gerät sie zwischen die Fronten.

Von Frank Nienhuysen

Die Show ist vorbei, Ani Lorak hat ihr langes weißes Göttinnenkleid und ihren wirklich extrem kurzen schwarzen Rock eingetauscht gegen eine graue Jeans und ein schwarzes Schlabbershirt. Nach zweieinhalb Stunden im Sturm der Windmaschine dürfen ihre langen Haare jetzt in Ruhe baumeln, das Blumenmeer am Bühnenrand ist längst fortgeschafft. "Es war ein großartiger Abend", sagt sie in einem Nebenraum ihrer Garderobe, lächelnd und erschöpft. "Es war mein Publikum." Ein Publikum, das Russisch spricht.

Böblingen, Schwabenland. Die Kongresshalle ist voll, die Menschen sind aus Stuttgart angereist, aus Offenburg, aus Überlingen am Bodensee, Russinnen, Ukrainer, Russlanddeutsche und schwäbische Männer, die von ihren russischen Frauen mitgenommen und vorher aufgeklärt wurden, wer Ani Lorak überhaupt ist. In Deutschland kennen die Künstlerin nicht so viele, außer vielleicht jenen Freaks des Eurovision Song Contests, die noch wissen, dass Ani Lorak vor einigen Jahren mit Shady Lady und freizügigem Kostüm Platz zwei hinter Russland belegt hat. Denn Ani Lorak ist Ukrainerin.

Eineinhalb Wochen ist die 37 Jahre alte Sängerin in Deutschland mit ihrer "Karolina"-Show zwischen Böblingen und Berlin auf Tournee. Sie singt Balladen und Songs, die zwischen Schlager und Pop changieren, russische und westliche Elemente verschmelzen, und jazzig und rockig kann sie auch sein. Spätestens bei ihrer Coverversion von "It's my life", dem einzigen Lied, das sie auf Englisch singt, gerät das Publikum außer Fassung, die Ordner sind kaum noch in der Lage, die mit Blumen nach vorn strömenden Menschen zu bändigen.

In Osteuropa ist Ani Lorak ein Superstar mit Helene-Fischer-Status, und das seit fast zwei Jahrzehnten. Sie war Sängerin des Jahres in ihrer Heimat Ukraine, sang Lieder des Jahres, und ob sie nun in Russland Konzerte gab oder in der Ukraine, das war lange Zeit so grenzenlos fließend und völlig einerlei, als würden Andreas Gabalier und DJ Bobo in Dortmund auftreten oder Helene Fischer in St. Gallen. Loraks Songs drehen sich um Liebe und Glück und Sonne im Leben, und das versteht sich hier wie dort. Aber selbst mit solchen globalen Gefühlswelten ist es nicht mehr so einfach, es kommt inzwischen auch darauf an, wo man über sie singt.

Die Ukrainerin war schon früh in Russland erfolgreich, Russland ist ein extrem großer Markt. Dort musste sie für einen Fernsehwettbewerb schon 1995 ihren Namen Karolina rückwärts zu Ani Lorak buchstabieren, weil schon eine Mitstreiterin so hieß. Sie ließ sich Songs vom russischen Komponisten Filipp Kirkorow produzieren, doch seit Beginn des politischen Konflikts schauen Russen und Ukrainer deutlich genauer hin, wer wo auf die Bühne geht. Ani Lorak trat weiter in Moskau auf und ließ sich Auszeichnungen überreichen, als im ostukrainischen Donbass bereits der Pulverdampf nach oben zog. Im März dieses Jahr trat sie im Kremlpalast in einem schicken Kleid auf, als der russische Modezar Valentin Judaschkin seine neue Kollektion präsentierte. Die Künstlerin hat ihren Beruf ausgeübt, so leicht ließe sich das vielleicht sagen. Ani Lorak sagt, "ein Künstler muss frei sein". Aber es hat auch empfindliche andere Ansichten gegeben. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow nannte Ani Loraks Verhalten einmal eine "Provokation für die Gesellschaft", gewaltbereite Nationalisten stürmten vor drei Jahren in der Schwarzmeerstadt Odessa einen Konzertsaal und torpedierten ihren Auftritt. Alles Liebe, Glück und Sonne? Nein, nicht nur. Ani Lorak sagt, "Ich fühle Schmerz", und zur Sicherheit noch mal auf Englisch, "I feel pain."

Sie singt über Liebe und reine Herzen. Solo-Konzerte in der Ukraine gibt sie aber lieber nicht

Die Zeiten sind für Osteuropas Künstler schon seit Langem schwierig geworden. Auch für Ani Lorak. Im Jahr 2005, kurz nach der Orangenen Revolution hatte sie sich praktisch schon für den Eurovision Song Contest qualifiziert, als man ihr im letzten Monat das Hip-Hop-Duo Greenjolly vorzog, das damals mit einer Revolutionshymne die patriotische Stimmung in der Ukraine am deutlichsten fasste. Lorak dagegen hatten manche auf der falschen Seite der Barrikaden geglaubt. Es gab Vorwürfe, sie habe den moskautreuen Viktor Janukowitsch unterstützt. Ani Lorak will das nun klarstellen. "Ich habe ihn nie unterstützt. Das ist ein schmutziges Spiel." Sie und ihre Fans fühlten sich damals um den ESC betrogen. Drei Jahre später vertrat die Sängerin dennoch die blau-gelben Farben ihres Landes - und wurde Zweite, hinter dem Russen Dima Bilan.

Aber die Zeiten sind noch einmal deutlich sensibler geworden, auf allen Seiten. Die russische Kultband Maschina Wreme ni bekam Ärger mit den russischen Kulturbehörden, weil sie nach Ausbruch des Konflikts in der Ukraine auftrat. Andere russische Sänger wiederum sind im Baltikum und der Ukraine verpönt. Ani Lorak sagt, sie singe über Liebe und reine Herzen, doch während auf Moskaus Straßen bereits Plakate für eine Ani-Lorak-Show Anfang März kleben, scheut sie sich, in der Ukraine Einzelkonzerte zu geben. Nach der Deutschland-Tournee wird sie in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eine Neujahrsshow aufzeichnen, aber ein Solo-Auftritt? "Ich bekomme Anfragen, es gibt auch kein Auftrittsverbot gegen mich, aber im Moment möchte ich einfach nicht." Es gehe eine gewisse Gefahr von Radikalen aus, sagt sie. "Es ist alles sehr kompliziert derzeit."

Ani Lorak hat die Ukraine nicht verlassen, sie lebt in Kiew, und sie will nun auch öffentlich ein Bekenntnis zu ihrer Heimat ablegen. In Böblingen, das Konzert ist halb vorüber, spricht sie das Publikum an. Sie könnte Englisch reden, aber sie weiß, dass auch in Deutschland ihre Fans Russisch wohl besser verstehen, jedenfalls sagt sie, dass sie die Ukraine liebe und "wie wichtig es ist, daran zu erinnern, wo man herkommt". Es wirkt, als wolle sie da etwas gerade rücken. Dann singt sie weiter, über Liebe und reine Herzen. Darüber sind sich alle einig.

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Quelle:
SZ vom 13.11.2017
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