Pop-Stars und die Musikindustrie:Überraschung, es ist ein Album

Pop-Stars und die Musikindustrie: Das Comeback der CD? Adeles neues Album "25" bricht gerade alle Rekorde.

Das Comeback der CD? Adeles neues Album "25" bricht gerade alle Rekorde.

(Foto: dpa)

Streaming-Verweigerer wie Adele zeigen: Noch nie war unklarer, wie Pop vermarktet werden soll.

Von Julian Dörr

Man könnte glauben, das goldene Zeitalter der CD sei zurück. Auch in der Musikindustrie sind die Neunziger wieder da. Von "25", dem neuen Album der britischen Sängerin Adele, wurden in den USA 3,38 Millionen Exemplare allein in der ersten Woche verkauft. So viele wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1991. Und in Großbritannien brachen Adele und ihr drittes Album den Rekord von Oasis' Großwerk "Be Here Now" von 1997.

Das alles klingt verdächtig nach einer guten alten Zeit, als die Musikindustrie noch eine uneinnehmbare Trutzburg, Piraterie und illegale Downloads noch ein ferner Schrecken waren. In diese Zeit passt auch Adeles Verkaufsstrategie. Das neue Album wurde allen Streaming-Anbietern vorenthalten. Spotify? Apple Music? Wer Adele will, muss Adele kaufen. Das Ergebnis: "25" läuft, als hätte es Napster und Pirate Bay nie gegeben. Dies jedoch als Erfolg für die Musikindustrie zu verbuchen, wäre ein Trugschluss. Fakt ist: Noch nie war unklarer, wie Pop vermarktet werden soll.

Apple bietet Musik als exklusives Event-Paket

2015 geht alles, nichts muss. Zumindest für die Künstler von großem Kaliber. Überraschungsalben, Exklusiv-Veröffentlichungen, virale Schnitzeljagden. Digitale Downloads und Streaming gewinnen mehr und mehr an Bedeutung, das Nutzungsverhalten besonders der jüngeren Generation ist im Wandel und nebenbei verändert sich das komplette Musik-Business. Umso interessanter, dass Künstler wie Taylor Swift und Adele ihre Musik bewusst von Spotify fernhalten. John Seabrook warnte kürzlich im New Yorker davor, durch künstliche Verknappung kurzfristige Gewinne über langfristiges Wachstum zu stellen. Denn der eigentlich Leidtragende sei nicht Spotify, sondern die Hörer. Mag sein, dass Adele durch ihren Spotify-Boykott einige Exemplare mehr von "25" verkauft. Dass Musik-Streaming sie überhaupt erst in diese populäre Position gebracht hat, wird aber vergessen.

Im Sommer zwang Spotify-Verweigerin Taylor Swift den Tech-Giganten Apple mit ihrer Forderung nach einer besseren Bezahlung der Künstler beim Streaming-Dienst Apple Music in die Knie. Während die einen mit ihrer Musik einen Kampf führen - entweder für die eigenen Verkaufszahlen oder eine gerechtere Welt -, lassen sich andere Musiker ihre Werke zu exklusiven Event-Paketen schnüren. U2's "Songs of Innocence" tauchte im vergangenen Jahr kostenlos und ungefragt in den Playlisten einer halben Milliarde iTunes-Nutzer auf. Auch wenn dieser kleine Coup vor allem negative Reaktionen hervorrief, schraubt Apple weiter unbeirrt an der Zukunft der Pop-Vermarktung.

Am 1. Juli startete mit Apple Music der Streaming-Dienst des kalifornischen Konzerns. Und viel spannender als der Spotify-Konkurrent ist das integrierte Radio Beats 1. Der Versuchsaufbau: Eine Welt, ein Sender, alle Genres? Die Frage: Kann Monokultur in Zeiten des individualisierten Musikkonsums noch existieren? Wo doch jeder mit seinem eigenen Mix auf den Ohren durch die Welt läuft? Die Idee eines weltweiten Internetradios ist alt und tausendfach umgesetzt. Aber Apple hat dem Konzept zwei entscheidende Faktoren hinzugefügt: Menschliche Star-Kuratoren bespielen einen einzigen Sender. Und so kann man auf Beats 1 Drake, Elton John, Pharrell Williams oder Ezra Koenig von Vampire Weekend in ihren eigenen Radioshows lauschen. Das eröffnet im Vergleich zum U2-Deal ganz neue Möglichkeiten. Künstler können ihre Alben exklusiv bei Apple Music veröffentlichen und zugleich den Radiosender als Promo-Plattform nutzen.

Das Album lebt und es ist ein Cliffhanger

"Compton" von Dr. Dre war so ein neues Rundum-sorglos-Paket des Pop. Überraschend eine Woche vor Veröffentlichung in der eigenen Radio-Show angekündigt, war Dr. Dres großes Comeback-Album erst einmal nur bei Apple Music und iTunes zu hören.

Die einen - Adele und Taylor - verweigern sich dem Streaming, die anderen - Drake und Dr. Dre - setzen auf exklusive Deals mit den Anbietern. 2015 steht sich die Oberschicht des Pop in zwei Lagern gegenüber. Doch es gibt auch einen leidlich erfolgreichen Mittelweg: Jay-Zs Streaming-Dienst Tidal, der von den Musikern selbst geführt wird - digitale Ermächtigung in Zeiten künstlerischer Prekarisierung sozusagen.

Der Ausnahmefall ist Gewohnheit geworden. Kendrick Lamar, A$AP Rocky und Tyler, The Creator - drei große Rap-Alben des Jahres waren einfach da. Und Rihanna? Die fährt gerade zu ihrem - Überraschung! - neuen Album die nervigste Werbekampagne seit Erfindung des Internets. "Anti" sollte übrigens - Überraschung! - vergangenen Freitag exklusiv bei Tidal erscheinen. Passiert ist aber - Überraschung! - nix.

Und was lernen wir jetzt aus der großen Verwirrung des Pop? Erstens: Auch in Zeiten von Downloads und Streaming, ist die Kunstform Album nicht tot. Es ist endlich an der Zeit, diese Mär, die nun schon seit anderthalb Jahrzehnten durch die Kulturköpfe der Welt geistert, zu begraben. Zweitens: Die Kunstform Album hat sich etwas von der Kunstform Serie abgeguckt. Wir leben im Zeitalter der Cliffhanger-Dramaturgie. Es braucht schon ein gewisses Spannungs- und Überraschungsmoment, damit unsere Aufmerksamkeit dran bleibt. Veröffentlicht Kanye West kommende Woche sein neues Album? Oder doch erst nächsten Herbst? Wir bleiben immer aufmerksam, immer auf allen Kanälen unterwegs, immer ein Auge auf dem Twitter-Feed, denn jederzeit könnten wir das nächste große Ding verpassen.

Die HipHop-Legenden vom Wu-Tang Clan haben übrigens gerade das einzige Exemplar ihres Albums "Once Upon a Time in Shaolin" für mehrere Millionen Dollar verkauft. Das ist so exklusiv, dass es wohl niemand jemals hören wird. Egal ob bei Spotify, Apple Music oder auf CD.

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