Pop:Staatlich geprüft

Carsick Cars

Die Carsick Cars spielten schon als Vorband von "Sonic Youth" und waren in Amerika und Europa auf Tour.

(Foto: OH)

Erst um die Jahrtausendwende kam die westliche Pop-Musik nach China - dann aber geballt. Wie man diese Eindrücke in einem repressiven System verarbeitet, zeigen "Carsick Cars" in der Südstadt

Von Stephanie Mercier

Ein-Kind-Politik, Überprüfung des Internets und eine zurückgehaltene Kultur. China wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein Land das "Sex, Drugs and Rock'n'Roll" zelebriert. Doch seit der Jahrtausendwende bildet sich nach und nach eine Underground-Szene um den Rock. Wie hören sich Bands wie die Beatles, Pink Floyd oder Musiker wie Bob Dylan an, wenn man ihre Lieder zum ersten Mal hört? Dieser für Westler utopische Gedanke ist in der Volksrepublik China Realität. "Die Indie-/Undergroundmusik aus Europa und den USA kam erst mit der Einführung des allgemein für jeden zugänglichen Internets in China an - Anfang der 2000er Jahre", sagt der Autor, Regisseur und Inhaber des Verlags "Fly Fast Records" George Lindt. 2004 drehte er den Dokumentarfilm "Beijing Bubbles", der sich mit der Undergroundmusikszene Pekings beschäftigt. Sein Label vertreibt zudem die Musik einiger chinesischer Bands, wie auch die der Pekinger Indie-Rockband Carsick Cars. Sie werden an diesem Sonntag in der Südstadt in München spielen.

"Für Chinesen gibt es keine musikalische Sozialisation wie bei uns. Wir unterscheiden oft in Beat, Punk, Rock, Electro oder in Schubladen: das klingt ähnlich wie. . .", sagt Lindt. Weil in China mehrere Dekaden der westlichen Musikgeschichte auf einmal eingetroffen sind, gehe man mit den Stilrichtungen viel freier um und scheue sich nicht, experimenteller mit ihnen zu arbeiten. Ein kreatives Privileg, das vom totalitären Regime und der chinesischen Kulturrevolution Mao Zedongs überschattet wird.

Im China des 21. Jahrhunderts gibt es immer noch Beschränkungen, was den Zugang und die Publikation von Liedern betrifft. 2011 veröffentlichte Chinas Ministerium für Kultur einen Index von 100 Songs, die als schädigend für die Republik eingestuft wurden: darunter das Lied "Last Friday Night" der pappsüßen Katy Perry. Sie besingt darin einen übermäßigen Alkoholkonsum und eine "ménage à trois". Was hat das für Auswirkungen auf die chinesische Version von "Sex, Drugs and Rock'n'Roll"? Aufgrund der anderen Sozialisierung werde Rockmusik in China nie mainstreamtauglich sein, erklärt Lindt. Die extreme Selbstdarstellung der Rockmusik auf der Bühne und die explizite Offenheit in den Texten würden in China als unhöflich und eher abstoßend empfunden. Eine Ausnahme stellt der stärker westlich beeinflusste Teil der Bevölkerung dar - eine Minderheit. Was die "Qualitätskontrolle", also die inhaltliche Zensur, angeht, darf man in China "alles schreiben und singen, was sich nicht gegen die Regierung richtet, oder unangenehme Themen betrifft", sagt Lindt. Dennoch finden Bands Schlupflöcher, um diese Kontrollen zu umgehen.

Ein bekanntes Lied der Carsick Cars heißt "Zhongnanhai" - und soll auf eine Zigarettenmarke anspielen. Zhongnanhai bezeichnet aber auch das Hauptquartier der Regierung. Dass Rockmusik in China politisch einen Stein ins Rollen bringt, ist allerdings recht unwahrscheinlich. Die meisten Chinesen seien entpolitisiert und interessierten sich nicht für Politik, sagt Shen Lihui, der Plattenchef von Chinas größtem Indie-Musiklabel "Modern Sky". "Allerdings ist ihre Haltung gegenüber dem System schon für den Mainstream in China politische Aussage und Provokation genug. Chinesische Punks riskieren in der Regel viel mehr, als es je ein Punk im Westen getan hat", sagt Lindt. Die Carsick Cars neigen dazu, das Risiko niedrig zu halten und haben damit viel Erfolg. Sie spielten als Vorband der amerikanischen Noise-Rock-Band Sonic Youth und waren mehrmals in Amerika und Europa auf Tour.

Mit im Gepäck haben sie chinesische, aber auch englische Lieder, die umspielt sind von unüblichen und kreativen Gitarren-Riffs. Je mehr man sich reinhört, desto westlicher klingt das Trio. Unüblich? In einem Podcast mit der New York Times kontert der Leader der Carsick Cars Shouwang und verdeutlicht die klaffende Spalte zwischen Utopie, Stereotyp und Realität, denn: "Deutsche Bands spielen auch nicht andauernd nur Beethoven".

Carsick Cars, Sonntag, 14. Juni, 20 Uhr, Südstadt, Thalkirchner Straße 29

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