Süddeutsche Zeitung

Pop:Sound Stream

Von Jan Kedves

In der Papphülle von Casablanca Records steckte früher vielleicht eine Platte von Donna Summer, in der Hülle von T.K. Disco vielleicht ein Hit von T. Connection. Jetzt umhüllen die alten Pappcover mit den legendären Disco-Logos das neue Album des Berliner Produzenten Sound Stream. Gab es das schon einmal, dass ein Musiker sein neues Werk in verschiedene alte Disco-Hüllen reinsteckt, einen Aufkleber mit seinem Logo draufklebt und das Ganze stilecht in transparente Plastikfolie einschweißt? So viele alte Cover muss man ja erst mal zusammenbekommen. Aber genauso hängen die Unikate der ersten, limitierten Auflage von "Untitled" im Berliner Plattenladen Hardwax.

Die Wiederverwertung der Pappcover hat bei Sound Stream vor allem ästhetischen Wert. Frank Timm ist ein Disco-Liebhaber, der sich vor 20 Jahren ganz der Edit- und Tool-Wissenschaft verschrieben hat, was bedeutet: Er verbastelt in seinem Sampler Fragmente aus bekannten und manchmal auch obskuren Disco-Songs zu perfektem DJ-Werkzeug. Auf der Tanzfläche verfehlen Sound-Stream-Tracks nie ihre Wirkung, obwohl in ihnen nichts allzu offensichtlich nach Hit schreit und der Gesang, der in den Originalen zu hören war, meist herausgeschnitten ist. Timm wiederholt die instrumentalen Soundschleifen so lange und so stur, dass es einem fast stupide vorkommt. Aber so fangen der Funk und die Seelenfülle des historischen Materials erst so richtig schön an zu strahlen.

Timm arbeitet mit strengster Qualitätskontrolle, weswegen Sound Stream nun inklusive des "Untitled"-Albums zum 20. Geburtstag des Projekts auf gerade acht Veröffentlichungen kommt. So bleibt der leicht mysteriöse Ruf gewahrt. Timm selbst redet auch nicht viel. So mag man es im Hardwax-Umfeld und im Berghain, wo Sound Stream regelmäßig auflegt, am liebsten. Nichts zu Persönliches soll vom Disco-Minimalismus und seiner maximalen Wirkung ablenken. Auf "Untitled" ist aus dem Eröffnungs-Track "Love Remedy" ein Loop aus dem Diana-Ross-Klassiker "Love Hangover" herauszuhören. Der erschien 1976 auf Motown. Mit etwas Glück erwischt man bei Hardwax noch das "Untitled"-Exemplar, das im echten alten Motown-Cover steckt.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019
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