Pop:Party gegen den Untergang

Lesezeit: 4 Min.

Erfundene Figuren, sagen Damon Albarn und Zeichner Jamie Hewlett, seien die ehrlichste Antwort auf eine Welt, in der praktisch nichts mehr echt oder glaubwürdig sei. (Foto: AP)

Die Welt dreht durch - und Damon Albarn reaktiviert die Comicband "Gorillaz". Aber kriegt ihr Album "Humanz" den Irrsinn da draußen wirklich zu fassen?

Von Max Fellmann

Mit der Energie von Damon Albarn könnte man eine mittelgroße britische Kleinstadt versorgen, Beleuchtung, Nahverkehr und alle Pubs inklusive. Der Mann ist 49, er hat an die dreißig Platten veröffentlicht und die halbe Welt bereist, er hat Hits geschrieben, den berüchtigten Britpopkrieg würdevoll hinter sich gebracht, Opern komponiert, Musicals inszeniert, algerische Musiker auf englische Rockfestivals gebracht, zwischendurch einen Orden von der Queen bekommen, die erfolgreichste Cartoonband der Welt ins Leben gerufen, er hat . . . uff, kurz Luft holen, also: Es würde für drei prächtige Karrieren reichen. Aber Albarn brennt und brennt und brennt. Vor zwei Jahren mussten ihn die Sicherheitsleute beim Roskilde-Fest mit sanfter Gewalt von der Bühne tragen, weil er nach fünf Stunden mit seinem "Africa Express Project" einfach nicht aufhören wollte. Albarn will mehr. Immer mehr.

Jetzt belebt er die Gorillaz wieder, die Comicband, die er sich 1998 zusammen mit dem Zeichner Jamie Hewlett ausgedacht hat. Gemessen an Verkaufszahlen sind die Gorillaz sein mit Abstand erfolgreichstes Projekt, weit erfolgreicher als seine alte Band Blur. Offiziell bestehen die Gorillaz aus vier Comicfiguren - Sänger 2D, Bassist Murdoc, Gitarristin Noodle und Drummer Russel Hobbs. Man kann das einen harmlosen Gag finden, die Figuren traten als Hologramme mit Madonna bei den Grammys auf, sie gaben Trickfilm-Interviews, alles nett. Aber Albarn und Hewlett meinen es durchaus ernst. Sie sagen, sie hätten sich die Gorillaz damals ausgedacht, weil erfundene Figuren die ehrlichste Antwort seien auf eine Welt, in der praktisch nichts mehr echt oder glaubwürdig sei.

Die Comicfiguren sind mehr als ein Gag, das Projekt hat eine starke politische Dimension

Auf gewisse Weise also stimmig, dass sie jetzt wieder auftauchen, mit dem fünften Album "Humanz". Die Welt ist noch irrer und wirrer als vor 15 Jahren. Smartphones, Social Media und Fake News haben einen Kommunikationsirrsinn befeuert, der damals kaum zu ahnen war. Begriffe wie "Authentizität" haben sich dreimal um ihre eigene Achse gedreht und bedeuten rein gar nichts mehr. Der mächtigste Mann der Welt ist eine unberechenbare Comicfigur, die nichts ernst meint oder alles oder wieder ganz anders, und das ist leider kein bisschen lustig. Die Welt ist irre und irre gefährlich - und ja, vielleicht passen da die Gorillaz tatsächlich wieder genau ins Bild.

Man übersieht leicht, dass das Albarn/Hewlett-Projekt von Anfang auch eine starke politische Dimension hatte. Das Erfolgsalbum "Demon Dayz" behandelte Themen wie den Irakkrieg und die Waffengewalt in den britischen Vorstädten. "Plastic Beach" entwarf eine Welt voller Müll. "Humanz", das neue Album, entstand im vergangenen Jahr während des US-Wahlkampfs. Albarn erklärt: "Ich habe allen gesagt, stellt euch vor, ihr seid in Amerika nach der Inauguration, worst case scenario - wie würdet ihr euch in dieser Nacht fühlen? Machen wir eine Party-Platte zum Thema 'Die Welt dreht durch'."

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Dafür hat er wieder viele Gäste ins Studio geladen. Früher haben schon Bobby Womack, Snoop Dogg, Mark E Smith, sogar Lou Reed mit den Gorillaz gearbeitet. Diesmal sind manche Gäste so jung, dass sie schon mit den Gorillaz aufgewachsen sind: Benjamin Clementine, die Rapper Vince Staples und Danny Brown, die Sängerin Kali Uchis. Dazu kommt altgedientes Personal wie Graham Coxon, Grace Jones, Jean-Michel Jarre und De La Soul.

Gut. Und jetzt: die Musik? Tja. Oje. Über weite Strecken ist "Humanz" ein loses Sammelsurium von leider höchstens halbguten Songs. Was die besten Alben der Gorillaz ausmachte, war die ziemlich einmalige Verschmelzung von Hip-Hop, Indie-Pop und Weltmusik. Vor 15 Jahren war das ganz weit vorn. Heute, nachdem Leute wie Kanye West, Frank Ocean, Kendrick Lamar es schaffen, mit teils sehr experimentellem Material auch den Mainstream zu erreichen - oder anders gesagt: Nachdem auch der Mainstream viel experimenteller und offener geworden ist, wirken die Gorillaz fast ein bisschen hinten dran. "Humanz" ist bei aller demonstrativen Wildheit eindimensional geraten. Da ploppt die meiste Zeit ein mäßig bissiger Drumcomputer vor sich hin, jemand rappt ein paar Zeilen, dann geht's erst mal nicht weiter, später fiepsen Synthesizer so billig herum, dass nicht ganz klar ist, ob sie ironisch gemeint sind. Dazwischen ein paar Soundcollagen und Zwischenspiele. Das war's auch schon fast.

Die Musik? Tja. Oje. Schönster Moment ist der Gesang von Albarn - im Chor mit Noel Gallagher

Es gibt Ausnahmen. Der Song "Saturnz Barnz" ist eine gelungene Mischung aus Hip-Hop und Chorgesang, fast sakral, mittendrin Albarn selbst, eine kleine Melodie singend, fast unschuldig. Gelungen ist auch "Let Me Out" mit den Gästen Mavis Staples und Pusha T, auch da kommt die Gorillaz-spezifische Mischung zum Tragen, Beats, Raps, Gospel, Albarns verträumtes Britpop-Gesäusel.

Aber sonst? "Strobelite" dudelt so weg, Soulfunkparty, 90er-Jahre. "Momentz", mit De La Soul als Gästen, überrascht mit einer unglaublichen Böller-Bassdrum - sonst passiert nichts Großes. Albarn hat die einst so fantastische Grace Jones ins Studio eingeladen - sie singt aber kaum, das Ergebnis klingt wie etwas, das Skrillex passiert, wenn er auf der Computertastatur einschläft. "Busted and Blue" wiederum ist hübsch, aber eher wenig Gorillaz: Albarn singt verträumt über ein paar spärlichen E-Piano-Akkorden, künstliche Streicher buttern den Hintergrund zu. Schön, stimmungsvoll, eine Art Blur-B-Seite.

Trumps und Obamas Namen sind mit Piepsen überblendet

Die Texte kriegen den Irrsinn der Welt da draußen natürlich nie richtig zu fassen, wie auch? Bis auf ein paar eher allgemein gehaltene Slogans bleibt "Humanz" vage. "All the world is out of our hands / Change come to pass / You'd best be ready for it". Namen wie Trump oder Obama tauchen zwar in den Liedern auf, sind aber mit Piepsen überblendet. Ein Akt der Selbstzensur: Albarn sagt, er habe im letzten Moment bewusst alle konkreten Nennungen vom Album verbannt, er hatte das T-Thema schon vor der Veröffentlichung satt. Nachvollziehbar, einerseits - andererseits kommt einer, der die Wahrheit sagen will, nun mal nicht weit, wenn er die Dinge nicht beim Namen nennt.

Ein durchwachsenes Album also. Aber der schönste Moment ist dann sowieso ein ganz anderer, einer, in dem plötzlich etwas rührend Zwischenmenschliches aufblitzt. Der Abschluss-Song "We Got the Power" ist gemeint als Ansage gegen die irre, wirre, hasserfüllte Welt da draußen. "We've got the power to be loving each other" singt Albarn - im Chor mit Noel Gallagher. Dem Mann, mit dem Albarn vor gefühlt hundert Jahren öffentlich stritt, Oasis gegen Blur, der lächerliche Krieg der Britpop-Helden. Damals sagte Großmaul Gallagher öffentlich, er hoffe, Albarn fange sich Aids ein und sterbe daran. Die beiden haben sich längst versöhnt. Aber dass Albarn nach all den Jahren ausgerechnet mit Gallagher zusammen die Worte "We've got the power to be loving each other" singt: Das hat Größe.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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