Süddeutsche Zeitung

Pop:Parmesan für die Ohren

Verspult, verspielt und melancholisch: Der wunderbare Musiker Peter Licht, der große Humorist des deutschen Pop, hat ein neues Album aufgenommen.

Von Karin Janker

Die Sonne ist eine gelbe Sau und die Realität ganz schön schwer zu ertragen. Zum Glück gibt es Peter Licht. Der vergleicht auf der Bühne sein künstlerisches Konzept gelegentlich mit einem Parmesanhobel: Wie dieser den Käse abschrabbelt, müsse auch die Realität abgetragen werden, Krümel für Krümel. Was darunter zum Vorschein kommt, ist natürlich keine tiefere Wahrheit; das wäre Anmaßung und die liegt Peter Licht fern. Sondern noch mehr Parmesan, beziehungsweise Realität.

Nach sieben Jahren, in denen man mit deren Unerträglichkeit alleine leben musste, ist nun endlich ein neues Studioalbum von Peter Licht da, sein sechstes. "Wenn wir alle anders sind" versammelt Texte im Licht'schen Jargon der Uneigentlichkeit, vertont als Ohrwürmer. Ein breites und bunt gemischtes Publikum tanzte 2001 zu seinem Hit "Sonnendeck". Im zugehörigen Videoclip rollt ein Bürostuhl durch die Landschaft, als habe hier das Objekt selbst die Fesseln des Kapitalismus abgeworfen und sich die Freiheit erkämpft.

Der Kapitalismus, der "alte Schlawiner", dessen Abgesang er 2006 dichtete, beschäftigt Peter Licht auch auf der neuen Platte. Die ist verspielter, verspulter und verpeilter als die vorherigen. Im "Chipslied" besingt er Chips und Aperol Spritz, in "Candy Käsemann" repetiert er "Und wenn man, wenn man Probleme hat / Hat man in der Regel mehr Probleme / als keine". Noch eine Scheibe Realität abgehobelt, schon befindet man sich am Rand des Absurden. Wer glaubt, dass das alles ironisch ist, der irrt. Kaum etwas liegt Peter Licht ferner. "Ironiker sind feige, weil sie immer auf der sicheren Seite sind", sagte er in einem Interview.

Wer ironisch ist, erhebt sich über die Welt. Das ist eine Sache für hornbebrillte Hipster. Gegen die Ausbeutung anderer Menschen und des Planeten schützt keine ironische Distanz. Man kann sich den Kapitalismus nicht vom Leib halten, also entdistanziert man sich am besten mit Peter Licht im Ohr. Er heilt von der Ironie, und das völlig schmerzfrei.

Sein Konzept als Musiker, Dichter, Sänger, Autor, Künstler, das macht die neue Platte deutlich, ist der Humor, wie ihn der italienische Schriftsteller Luigi Pirandello 1908 in einem Essay beschrieb: Als Bruder der Melancholie bringe der Humor das Missverhältnis zwischen Ideal und Realität zum Vorschein. Pirandello beschreibt ziemlich exakt, was Peter Lichts neue Platte ausmacht. Eine Stelle, die man am besten immer wieder liest, während man die zehn Songs hört: "Eine merkwürdige Empfindung überkommt uns, so als gewännen wir blitzartig Einblick in eine andere als die gewöhnlich wahrgenommene Realität, eine Realität, die jenseits des menschlichen Sehvermögens und außerhalb der Formen menschlicher Vernunft existiert. Der alltägliche Lebenszusammenhang schwebt dann gleichsam in der Leere unseres inneren Schweigens und erscheint uns in äußerster Klarheit als etwas Sinn- und Zielloses." Humor vermittelt Einblicke jenseits der Vernunft, er zeigt die Sinn- und Ziellosigkeit im Alltäglichen.

Bei Peter Licht klingt das im "Kontolied" so: "Gute Nachrichten vom Konto / Es ist was drauf und das ist gut so / Es ist was draufgekommen / Vorher bin ich rumgeschwommen / Ich hatte Schwund / Ich war wund am Herzen / Mein Konto war leer und doof / Jetzt ist es wieder voll und groovt und ruft zu Taten".

Er singt von der Geworfenheit des Menschen, seinem Ausgeliefertsein an die alltäglichen "Hinterfotzigkeiten des Systems", ebenso wie von dem leisen Frohlocken, wenn der Bankautomat Geld ausspuckt. "Die Nicht-so-Gutheit in uns geht gar nicht". Wo ist hier der Sinn, wo beginnt der Unsinn? Inkohärenz ist Peter Licht ein Vergnügen, die Dominanz des Rationalen gilt es zu zersetzen.

Wer die sprachverliebten Wortspiele der "Vierzehn Lieder" (2001) oder die Hymnen von "Melancholie und Gesellschaft" (2008) mochte, findet die neue Platte vielleicht ungewohnt lakonisch, fast maulfaul. Viele Zeilen wiederholen sich, die Zitate aus Pop- und Hochkultur, die er stets so anspielungsreich platzierte, dass sie neuen Hintersinn entfalteten, sind radikal zurückgestutzt. Auch Hymnen gibt es eigentlich keine; stattdessen die liebevolle Parodie einer Hymne: die "Internationale" umgedichtet zur "Emotionale / Hört die Signale!". Aus dem Protestlied wird eine Klavierballade, die sich als Ohrwurm festbeißt: "Borderliner aller Länder! / Grenzt euch ab und macht dicht! / In den Zeiten nach dem Ende der Geschichte / Schmeckt die Suppe nicht!" Diese "Emotionale" verkündet keine Utopie, sondern besingt die reale Dystopie, in der wir leben.

Musikalisch mixt die Platte Reggae-Offbeat, Synthie-Pop und Liedermacher-Folk. Peter Licht ist kein Soundtüftler, Musik ist ihm Medium, und das Medium ist die Botschaft. Das manipulierte Autotune, das ihm die Stimme zur Mickey-Mouse-Tonlage hochzerrt, ist deshalb nicht nur Spielerei: Der Effekt, berühmt geworden mit Chers "Believe", verwischt die vermeintliche Authentizität, entlarvt sie als Marketinggag. Autotune macht die Stimme zum Produkt einer Maschine und glättet sie wie ein Hornhauthobel. Deshalb fehlt dieser Platte nichts, es ist bloß alles weggehobelt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4196028
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.11.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.