Süddeutsche Zeitung

Pop:Oden an die Endlichkeit

Versöhnliche Finesse und Songs von fast barocker Schönheit: Das abstrus tröstliche neue Album der us-amerikanischen Avantgarde-Indierock-Band "Deerhunter".

Von Martin Pfnür

Es wirkt erst mal etwas zynisch, wenn die Band Deerhunter aus Atlanta, Georgia als Reaktion auf das zunehmende "Verschwinden von Kultur, Humanität, Natur, Logik und Emotion", das sie im Presseschreiben zu ihrer neuen Platte feststellt, mit einer Art Konzeptalbum über den Tod reagiert. Im Angesicht der spalterischen Politik Donald Trumps und den Reizüberflutungen der Digitalisierung bringt einen der Gedanke an die menschliche Endlichkeit ja nicht wirklich weiter.

Und doch lässt sich der Zynismusverdacht, der sich hier auch in Form eines hyperpessimistischen Albumtitels wie "Why Hasn't Everything Already Disappeared?" (4AD) auftut, bereits nach dem ersten Hören weitestgehend entkräften. Denn anders als im Fall des latent todessehnsüchtigen und weltschmerzgetränkten Dark Wave der Achtzigerjahre ist der Tod auf "Why Hasn't Everything Already Disappeared?" eher etwas ganz Normales und Relativierendes; etwas, dessen Unvermeidlichkeit und Universalität freudig umarmt und der ganzen politischen, klimatischen und kapitalistischen Überhitzung da draußen mit reichlich morbidem Charme gegenübergestellt wird. Motto: Habt keine Angst, bleibt cool, freut euch eures Lebens, das Ende kommt sowieso!

Die Songs sind diesmal von fast barocker Schönheit

So in etwa könnte man jedenfalls den an sich eher weniger beruhigenden Tenor dieser Songs deuten, deren inhaltliche Abgründe die Band um den ebenso exzentrischen wie kulturpessimistischen Sänger, Gitarristen und Texter Bradford Cox wiederum grandios mit einer Musik kontrastiert, die man in dieser melodischen Süße noch nicht von ihr kannte.

Fanden Deerhunter als experimentierfreudige Pop-Avantgardisten bereits auf ihren früheren Alben zu immer wieder neuen musikalischen Ansätzen, die sie sich weit über die stilistischen Grenzen des Indie-Rock hinweg zwischen punkigen und ambienten, psychedelischen und dream-poppigen, garage-, noise-, und krautrockigen Sounds und Strukturen zusammenschmolzen, so ist das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit der walisischen Songwriterin und Produzentin Cate Le Bon von fast barocker Pop-Schönheit. Schon im ersten Song "Death In Midsummer" setzen sie mit einer hübsch kreiselnden Cembalo-Figur, einem beatleesk verschunkelten Klavier, synkopischen Drum-Patterns, geschmeidig rollenden Bass- und verkratzten Gitarrenläufen zu einem derart locker dahinfedernden Groove an, dass die von Cox vorgetragenen Endlichkeitsbeschwörungen und Nachrufe an tote Arbeiter aus vergangenen Zeiten in ihrer Morbidität erst mal einsickern müssen. "Some worked in hills / Some worked in factories / Worked their lives away / And in time / You will see your own live fade away", singt er gut gelaunt mit seiner markant näselnden Stimme. Sehen, wie arme Leute ihr Leben wegarbeiten müssen; und dann sehen, wie auch das eigene Leben einfach so verblasst.

Schaurig ist das, klar. Und dabei doch von einer seltsam versöhnlichen Finesse, die auch die restlichen neun Songs des Albums durchzieht, das die Band zu weiten Teilen in der texanischen Wüstenstadt Marfa nahe der Grenze zu Mexiko aufgenommen hat. So hört man etwa schöne Saxophonsätze in der Tradition des Soul-Labels Motown zu einer schmissigen Abrechnung mit der menschlichen Verrohung in "No One's Sleeping"; ätherische instrumentale Synthesizer-Meditationen in "Greenpoint Gothic"; zuckrig piano-verklingelte und xylophon-verklöppelte Indie-Pop-Schwelgereien über die emotionalen Folgen der Perspektivlosigkeit in "What Happens To People"; oder mit der schrägen Spoken-Word-Nummer "Détournement" sogar so etwas wie einen musikalisch untermalten Werbespot aus dem Jenseits, in dem Cox mit heruntergepitchter Stimme und unter freundlichen Grüßen an diverse Länder und Kontinente die Vorzüge der Ewigkeit anpreist.

Keine Frage, eine derart beschwingte und kühn kontrastierte popmusikalische Auseinandersetzung mit dem Tod ist bisher nicht vielen Bands gelungen. Eine am Ende auch noch derart abstrus tröstliche vielleicht sogar noch keiner.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2019
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