Max Weissenfeldt lehnt an der blätternden, schmutzig-weißen Fassade einer Kolonialvilla in Saltpond, Ghana, die Digitalkamera im Anschlag. Während dem Berliner Musiker der Schweiß über die Stirn auf das rotgeblümte Hemd perlt, gibt er Regieanweisungen: "Links-rechts-links, hau ihn zu Boden wie Bruce Lee!" Immer wieder erledigt der ghanaische Held des Musikvideos, das hier gerade entsteht, den Schurken mit seinen Fäusten. Es ist eine etwas holzschnittartig inszenierte Beziehungsgeschichte, in die Weissenfeldt in seinem Berliner Studio nur noch ein paar Sprechblasen montieren wird. Die Magie der Sache entsteht durch die Musik: hüpfende Bässe, etwas Orgel und eine luftig kontrapunktierende Gitarre - wie die James-Brown-Band im Palmweinrausch. "All die Musik, zu der wir im Westen gerne tanzen, hat hier ihre Ursprünge: in den Rhythmen Westafrikas", sagt Schlagzeuger und Produzent Weissenfeldt. Wie ein Showman wirkt er nicht. Eher ähnelt der 40-Jährige einem Feldforscher, der seinen spleenigen Ideen folgt.
Mindestens zweimal im Jahr kommt Weissenfeldt nach Ghana. Sein Job hier? Kombinieren. In diesem Fall trifft eine in seinem Kreuzberger Studio eingespielte Afro-Funk-Nummer auf die Stimme des Videohelden Roy X. Der ghanaische Sänger und Rapper ist der jüngste Sohn des 80-jährigen Highlife-Stars Ebo Taylor.
"Wir haben in Ghana unsere Highlife-Vergangenheit jahrzehntelang vergessen", sagt Roy X in seinem kleinen Studioverschlag in Saltpond, wo er zwischen Friseursalon und Krämerladen mit Weissenfeldt das Video bearbeitet: "Es sind Typen wie Max, die sich dafür begeistern und meinen Vater Ebo Taylor zurück auf die Festivalbühnen holen." Letztlich profitiere auch seine eigene Hip-Hop-Musik davon. Roy klickt eine Percussion-Spur an, ein traditionelles Drum-Loop, das ihm Max eingespielt hat: "Ich wäre vorher nie auf die Idee gekommen, unsere eigene Tradition zu samplen."
"Ohne die Poets of Rhythm wäre die Popgeschichte etwas anders verlaufen."
Weissenfeldt kennt die schwarzen Traditionen Afrikas und der Diaspora wie wenige andere westliche Musiker. "Soulpower des 21. Jahrhunderts", schwärmte eine amerikanische Hip-Hop-Seite. Seine Musik entsteht an Zwischenorten und auf Reisen. Sie lebt vom "Black Atlantic". So nennt der afrobritische Kulturkritiker Paul Gilroy die Hybridkultur, die der Austausch zwischen den westafrikanischen Hafenstädten, New Orleans, den USA und Europa ständig aufs Neue hervorbringt. So ist Max Weissenfeldt zu einem der interessantesten deutschen Musiker der Gegenwart geworden. Im vergangenen Jahr reiste er mit seiner neuen siebenköpfigen Berliner Band, den Polyversal Souls, quer durch Ghana, spielte auf Marktplätzen und nahm vor Ort Teile des gemeinsamen Debütalbums "Invisible Joy" auf.
Als Trommler beherrscht Weissenfeldt Mandinke-Rhythmen so gut wie Hip-Hop-Beats: "Meine eigene Plattenfirma Philophon ist ein Stein im Gemeinschaftshaus einer globalen menschlichen Kultur, wie wir sie zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte erleben." Man könne die Globalisierung nicht nur wirtschaftlich denken. Sie komme auch einem kulturellen Austauschbedürfnis entgegen: "Ich mag den Kosmos in seiner Vielfalt."
Dafür reiste er oft monatelang mit nicht viel mehr als seinen Drumsticks in der Welt herum. In Amerika spielte er mit Veteranen des Sun Ra Arkestras, in Burma studierte er die traditionelle Saing-Waing-Musik, er tourte er mit der sagenumwobenen Münchner Weltmusik-Formation Embryo mehrmals durch den Maghreb - um daraus schließlich eine Art Esperanto des Funk zu entwickeln.
Wenn Weissenfeldt für sein Label Songs mit ghanaischen Rappern und äthiopischen Orglern einspielt, dann spielt er stets selbst mit. Am Schlagzeug verflüssigt er die Traditionen und leitet sie um. Selbst der ghanaische König von Kumasi war einmal von Weissenfeldts Soul-Zaubereien so beeindruckt, dass er bei ihm eine Komposition in Auftrag gab.
Angefangen hat alles in München mit einer Band namens Poets of Rhythm. Max Weissenfeldt, ein junger Hip-Hop-Fan, der eine goldfarbig besprühte Plastikkette vom Baumarkt durch die Straßen seiner Heimatstadt trug, blieb damals an den Samples seiner Lieblingstracks hängen: Wo kamen die nur her? Zusammen mit seinem Bruder Jan und drei weiteren Schulfreunden spürt er dem Sound obskurer Sechzigerjahre-Singles aus New Orleans und Memphis nach und löste - kein Witz - bald ein weltweites Funk-Revival aus. Die New Yorker Hipstersoul-Szene um das Label Daptone eiferte den Vorbildern von der Isar nach. 2006 nahm Mark Ronson schließlich das gefeierte und sagenhaft erfolgreiche zweite Album "Back To Black" der Retrosoul-Königin Amy Winehouse mit den Dap Kings auf, der Daptone-Studioband. "Ohne die Poets of Rhythm", sagt Daptone-Gründer Gabe Roth, "wäre die Popgeschichte womöglich anders verlaufen. Wir hätten ohne sie nie den analogen schmutzigen Funk von Sharon Jones und Amy Winehouse geschaffen."
Die Weissenfeldts blieben allerdings nicht im Retrosoul stecken, sondern erweiterten als Whitefield Brothers ihr Repertoire um Ethio-Jazz und Afrobeat. Irgendwann hörte Dan Auerbach von den Black Keys einen ihrer Tracks und engagierte Max als neuen Lieblingsschlagzeuger. So tauchte der Name Weissenfeldt plötzlich auf großen amerikanischen Pop-Alben auf. Auf Dr. Johns phänomenaler Comeback-Platte "Locked Down" etwa, die Auerbach produzierte, oder dem ebenfalls von Auerbach produzierten famosen dritten Album "Ultraviolence" der somnambulen Retropop-Diva Lana Del Rey.
Dieser Job finanzierte übrigens am Ende Weissenfeldts großen Traum: Den goldenen Schnitt zu finden zwischen Accra, Addis Abeba und New Orleans - in einem alten, höhlenartigen Fabrikdachgeschoss in Berlin-Kreuzberg. Er nennt es die Joy Sound Studios. Gästen wird dort in einer Sofa-Ecke mit abgewetztem Perserteppich, handgemalten Jazz-Postern und einer gelb abgeklebten Neonröhre grüner Tee serviert.
Der Laptop dort ist voller Feldaufnahmen: Gospelgesänge und Musik mit bluesigen afrikanischen Kologo-Lauten, die er während eines zweiwöchigen Aufenthalts in Bolgatanga ganz im Norden des Landes an der Grenze zu Burkina Faso einsammelte: "Ich habe vor Ort mit einem Keyboard Song-Skizzen komponiert und dann in meinem Hotelzimmer aufgenommen. Einmal drängten sich sieben Musiker euphorisch singend zwischen Bett, Schrank und Schreibtisch. Solche Momente sind ein großes Geschenk." Dass er dafür 16 Stunden in einem etwas heruntergekommenen Bus aus der Hauptstadt Accra anreisen musste, und anschließend zwei Wochen mit einer Infektion im Krankenhaus verbrachte - halb so schlimm.
Sein großer Stolz ist die Instrumentensammlung: eine alte Leslie-Hammond-Orgel, ein elektrisches Wurlitzer-Piano, ein Synthesizer aus dem Jahr 1961 und - "unendlich schwer zu finden" - eine 40 Jahre alte finnische Transistor-Orgel. Weissenfeldt drückt ein paar Tasten, improvisiert eine seiner typischen, warmen pulsierenden Basslinien. Klingt nach Patina und Hip-Hop-Avantgarde. Und passt ganz selbstverständlich zu den ghanischen Rhythmen, die Toningenieur Benjamin Spitzmüller im Nebenraum laufen lässt.
Schon seit 2012 feilt er mit Weissenfeldt an ihrem unverwechselbaren Sound, irgendwo zwischen Afrofuturismus, Retrosoul und der Erdigkeit früher Aufnahmen von Art Blakey oder Aretha Franklin. "Mich kratzen unsere nächtlichen Sessions immer noch so auf wie damals die Proben mit den Poets im Keller unserer Mutter in München", sagt Max Weissenfeldt. Wenn er aus dem Dachfenster schaut, sieht er ein paar Hundert Meter spreeaufwärts ein Hochhaus. Auf dessen Fassade leuchtet in riesigen blauen Buchstaben der Name des größten Musikkonzerns der Welt: "Universal". Früher, zu Zeiten der Poets of Rhythm, waren die großen Plattenfirmen, Radio-Hits, der Pop-Mainstream die großen Feinde. Heute sieht er das nicht mehr so eng. Universal schickt ihm seine Künstler. Der deutsche Hip-Hop-Star Max Herre wird der erste sein. Weissenfeldt freut sich darauf: "Irgendwann pilgern doch alle nach Afrika - und mein Studio ist eben der nördlichste Vorposten Afrikas."