Pop:Mit Tricks zur Trance

Das neue Album des Münchner Musikers JJ Whitefield

Von Christian Jooß-Bernau

Irgendwo in "White Queen", nach den Unisono-Läufen von Saxofon, E-Gitarre und Snare-Drum, nach dem Überqueren eines Hochplateaus aus Synthesizerflächen, als das Saxofon neu ansetzt und die E-Gitarre sich in den Sound stürzt, mit einem eskapistischen Solo, dessen Töne durch das Wah-Wah-Pulsen, rechts, links, stereo gegen die Wand springen - irgendwo da löst sich das analytische Hören auf in ein Mitschwingen im Sound, der immer wieder in diesen zehn Stücken unbestreitbar halluzinogene Qualitäten entwickelt.

"Brother All Alone" heißt das Solo-Album des Münchner Weltenmusikers JJ Whitefield, der eben erst mit Karl Hector And The Malcouns das Neo-Kraut-Album "Non ex orbis" veröffentlicht hat. Whitefield aber, ehemals bei den Poets Of Rhythm und aktuell auch bei Embryo, Wiederentdecker des Ghanaers Ebo Taylor, Plattensammler und Soundtiefenforscher in Vergangenheiten am Rande des Popbewusstsein, ist immer im Flow. Veröffentlicht hat er sein neues Album auf dem jungen Berliner Label Kryptox. Gegründet wurde das 2018 von Mathias Modica, der auch Chef des gerade pausierenden Labels Gomma Records ist und hier eine neue Spielwiese für Experimente zwischen Jazz und Kraut bereitet hat.

JJ Whitefield

Soundforscher mit Hang zur Pop-Historie: JJ Whitefield.

(Foto: Stefanos Notopoulos)

Wirklich allein ist der Brother bei seinem Soloausflug nicht, auch wenn er den Bereich der Langhalslauten beherrscht. Einstieg ist das den Globus umspannende "Seven Seas", das Johannes Schleiermacher, der auch Saxofon spielt, mit wellenbewegten Synthieflächen vorbereitet. Bernd Oezsevim ist der Drummer, dessen bis in die Fingerspitzen tänzelndes Afro-Beat-Spiel Whitefield nicht nur auf seinem Synthie-Kraut-Projekt "Rodinia" genutzt hat. Bass spielt Maasl Maier, der mit Karaba und Embryo schon tief in der Szene steckt. "Brother All Alone" ist ein Panorama der sich ständig verbreiternden musikalischen Welt Whitefields.

Natürlich ist da noch das amerikanische Funk-Feeling in manchen Gitarrenmomenten. Aber eben auch die genaue Kenntnis von afrikanischen Szenen. Zuletzt hat Whitefield mit Jagari Chanda gespielt. Der war einst bei W.I.T.C.H. und ist ein Held des sambischen Zamrock der Siebziger. Hier hat Whitefield zur Begeisterung für Fuzz-Pedale gefunden. Gitarrenverzerrer mit einer erstaunlichen individuellen Klangvielfalt, die einen umgehend Jahrzehnte zurückkatapultiert. In "Chilli Chicken" und "Yellow Sari" kommt im Sinne einer Sechzigerjahre-Weltverständnisutopie mit einer elektrischen Sitar noch Indien dazu. Besonders reizvoll ist das in der ersten Nummer umgesetzt, wo die monofone Linie eines Synthesizers mit sich öffnendem und schließendem Filter die mitschwingenden Resonanzsaiten der Sitar vorwegnimmt.

Der deutsche Kraut-Ansatz Whitefields wird auf diesem Album durch einen Willen zu Melodie und Form so kontrolliert, das selbst der Saxofon-Freejazz-Ausbruch in "Rubikon" zur fassbaren Skulptur wird. Die Trance ist auf diesem Album das Ergebnis einer Versenkung in Details, deren Rhythmustricks einen fast ein wenig paranoid machen können. Wer bei "Dreckstück" am Mitzählen scheitert, der muss eben der Platteninfo glauben - es ist ein 39/16-Rhythmus, heißt es da.

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