Süddeutsche Zeitung

Pop:Loblieder ans Zwielicht

Es kommt immer anders als gedacht: Das neue Album von Die Heiterkeit führt vor, wie man prekäre Zustände geschmeidig nimmt.

Off the Record: die Pop-Kolumne von Luise Checchin

"We learned more from a three minute record than we ever learned in school", sang Bruce Springsteen 1984. Und das stimmt auch heute noch. Pop kann uns die Welt erklären - in unserer wöchentlichen Musik-Kolumne.

"Es wird in Ordnung sein" ist ein Satz, der immer dann gesagt wird, wenn eigentlich gar nichts in Ordnung ist. Für den, bei dem nichts in Ordnung ist, muss der Satz deshalb wie eine hohle Floskel klingen. Folgen dann auch noch Binsenweisheiten wie "Wenn es soweit ist, werden wir es wissen, es kommt immer anders als gedacht", stünde jeder normale Mensch sofort auf und ließe die Person sitzen, die so etwas von sich gibt.

Die Band Die Heiterkeit macht aus diesen drei Floskeln ein ganzes Lied. "The End" heißt es, ist genau in der Mitte ihres neuen Albums "Pop & Tod I + II" platziert und merkwürdigerweise will man, wenn man es hört, sitzen bleiben und weiterhören. Wieso nur?

Ein Wald aus Zeichen

"Pop & Tod I + II" ist die dritte LP von Die Heiterkeit, die sich vor sechs Jahren in Hamburg gegründet hat, von deren Urbesetzung allerdings nur noch die Sängerin Stella Sommer übrig ist.

Wenn ein Album mit zwei so großen Worten wie "Pop" und "Tod" betitelt ist, wenn es noch dazu als Doppelalbum mit zwanzig Liedern daherkommt, dann liegt die Vermutung nah, dass es sich hier um ein Konzeptalbum handeln soll. Dieses klare Konzept sucht man auf "Pop & Tod" allerdings vergebens, genauso wie tiefschürfende Überlegungen zum Thema Sterben.

Was es dagegen gibt, sind wiederkehrende Motive, Assoziationen, die aufscheinen, verschwinden und in leicht veränderter Form wieder auftauchen: Die Kälte, die Einsamkeit, das dünne Eis, der helle Morgen, die dunkle Nacht. Dazwischen flattert eine "weiße Elster" und "große Bäume verstellen die Sicht".

Ein Wald aus Zeichen ist das, um mit Tocotronic zu sprechen, ohne welche dieses Album natürlich gar nicht zu denken wäre. Tocotronics gewachsene Abscheu vorm Authentischen und ihr Hang zur Verrätselung scheinen auf "Pop & Tod" überall durch, aber Die Heiterkeit hat es geschafft, daraus keinen billigen Abklatsch sondern eine kluge Verbeugung zu machen.

Die Weigerung, sich festzulegen, eine gewisse Undurchdringbarkeit ist es also, die das Album prägt. "Pop & Tod" scheint weniger von ersten und letzten Wahrheiten zu handeln, als vom Zustand dazwischen. Weniger als der Morgen oder der Abend, wird hier der Moment besungen, wenn die beiden sich treffen: das Zwielicht.

Das zeigt sich schon im Hang zum Konjunktiv, in der Vorsicht, mit der Sommer formuliert. Wo andere sagen "Ich liebe es", heißt es bei der Heiterkeit: "Man muss es mögen/ Ich neige dazu". Nichts ist eindeutig, nichts klar oder ganz auf diesem Album. "Betrüge mich gut", ruft das lyrische Ich sein Gegenüber auf und bekennt sich dazu, es "im Zwiespalt" "angenehm" zu finden. Die Dinge sind schwer zu erkennen, sie sind "schwarz auf schwarz, weiß auf weiß", und wenn es nach Sommer geht, ist es gut, dass dem so ist.

Im Dämmerlicht

Diese Biegsamkeit, ja Geschmeidigkeit ist auch in die Musik eingekehrt. Die kehlige Bassstimme von Sommer war schon immer da. Neuerdings aber gibt es weniger scheppernde Gitarren und dafür genau soviel Harmoniegesang, Bass, Schlagzeug und Synthies, wie gerade nötig ist, um eine ungemein hypnotische Sogkraft herzustellen. Die Heiterkeit hat sich schon immer in der Kunst der Reduktion geübt. Auf "Pop & Tod" hat sie zusammen mit Produzent Moses Schneider das Wenige jetzt aber so verdichtet und aufpoliert, dass es ein ganz fantastisches Dämmerlicht zurückwirft.

Nun sieht man im Zwielicht nicht besonders gut, aber das große Kunststück von "Pop & Tod" ist eben, diesem prekären Zustand mit absoluter Gelassenheit zu begegnen. "Distanz als Form von Nähe" heißt es auf "Im Zwiespalt", und tatsächlich gelingt es der Heiterkeit auf diesem Album, kühl, aber nicht unbeteiligt zu klingen, dunkel, aber nicht hoffnungslos. Wer in dieser Haltung, "es wird in Ordnung sein" singt, der darf das. Das sind keine Floskeln, das ist ein Mantra - eines, das man, wenn man es recht bedenkt, viel zu selten hört.

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